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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Französisches Recht
königl. Gesetzgebung diente zur Ausgleichung der na-
tionalen Stammrechte, wie hierzu auch das wichtige
von der Kirche ausgehende Recht sehr viel beitrug.
Im Laufe der Zeiten vollzog sich eine Vermischung
der Stämme und die Bildung einer gemeinsamen
franz. Nationalität, die sich mit der Zeit auch in
einem gemeinsamen Nechte Ausdruck zu geben suchte.
Ehe es jedoch hierzu unter einem kräftigen, das
Princip der Nationalität vertretenden Königtum
kommen konnte, mußte erst dieses Königtum selbst
aus der Ohnmacht, in die es mit dem Untergänge
der Karolinger versunken war, sich erhoben und in
langen Kämpfen zu der Herrschaft emporgearbeitet
haben, die es zum Vertreter der centralen Einheit
der Nation und des Staates machte. Der Zwischen-
raum der Gärung, aus welcher diese Gestalt der
Dinge hervorging, ist die Feudalperiode (10. bis
14. Jahrh.), während welcher das Recht sich überall
je nach den verschiedenen gesellschaftlichen Lebens-
treisen und zugleich nach den Artlichkeiten fast ins
Unendliche zersplitterte und die Könige vorerst nur
die ersten unter einer Reihe größerer Lehnsfürsten
waren. Das ganze Land zerfiel in eine Menge
kleiner Feudalstaaten, deren thatsächlich souveräne
Herren untereinander und mit den höhern Herren
nur im Lehnsverband standen, während sie nach
innen sich als eigentümliche Nechtskreise verhielten.
Dazu gestaltete sich noch das Recht nicht nur je nach
den Standen verschieden (was besonders in den
Hof- und Dienstrechten für die nicht vollfreien Unter-
thanen der Varonien hervortritt), sondern es schuf
auch die Kirche in ihren Gebieten und die aus der
Entwicklung des industriellen Besitzes hervorge-
gangcne städtische Freiheit sich ein ganz eigentüm-
lichem Recht. Daß sich trotz aller partikulären Zer-
splitterung eine Gemeinschaft der Rechtsideen fort-
erhielt, war die natürliche Folge des während jener
Periode allmählich ausreifenden Nationalbewußt-
seins. Allein eben in dieser Beziehnng trat ein
Unterschied insofern hervor, als im Süden (der
Langne d'oc) das roman., im Norden (der Langue
d'o'il) das german. Rechtselement das vorherrschende
blieb. Im südl. Frankreich kam man dahin, mehr
und mehr dav schon von früher her eingebürgerte
und leicht zugängliche röm. Recht (äroit "ciit) als
Gesetz zu betrachten, während dem Norden die Orts-
gewohnheiten (couUini6") eigen waren, ein Gegen-
satz, der übrigens nicht zu schroff zu nehmen ist, da
auch im Süden deutsch gefärbtes Recht örtlich auf-
tauchte, im Norden dagegen das röm. Recht wenig-
stens in vielen einzelnen Fragen sich Geltung ver-
schaffte. Daher schreibt sich der Gegensatz zwischen
1^8 du cli'mt ^crit und 1'^8 dn äi oit coutumi^i-,
wenngleich die Grenzen beider Gebiete noch heute
nicht unbestritten sind. Das geschriebene sowohl
als das örtliche Gewohnheitsrecht tonnte durch Er-
lasse der gesetzgebenden Gewalt (Ordonnanzen und
Etablissements) abgeändert werden. Diese Erlasse
gingen nicht bloß von den Königen, sondern auch
von den übrigen Lebnsfürsten aus, und unter den
königlichen waren bis gegen das 12. Jahrh, hin
von wesentlicher Bedeutung nur diejenigen, welche
sich auf die Kronlande bezogen.
Erst von da an erscheinen königl. Verordnungen
mit dem Ansprüche der all geineinen Geltung im
ganzen Reiche, besonders unter Ludwig IX. (dem
Heiligen), und für die Ausbildung des Staats-
organismus wurde die tönigl. Gesetzgebung (dald
mit Ständcn, bald ohne sie gc-übt) vom 13. Jahrh.
an die wichtigste Quelle. Für andere Verhältnisse
behaupteten während der ganzen Feudalperiode die
partikulären Stadt-, Dorf-, Land-, Lehn- und
Dienstmannenrechte ihr Ansehen und wurden des-
halb seit dem 12. Jahrh, vielfach aufgezeichnet. Zu
besonderm Ansehen gelangten daneben die vom
13. Jahrh, an datierenden Rechtsbücher, d. h. Ver-
suche rechtskundiger Männer, das Gemeinsame im
Rechte des Königreichs (unter Anerkennung der
provinziellen Verschiedenheit) in wissenschaftlicher
Ordnung zusammenzustellen. Die spätern suchen
das deutsche Gewohnheitsrecht mit dem röm. Recht
zu vermitteln. Dahin gehören der "(-i-Hiiä eonwinwr
äß ^i'Huck" (hg. von Laboulaye und Dareste, Par.
1868), die "Komme i-uraie" von Boutillier (hg. von
Eharondas le Caron, ebd. 1603 u. ö.) u. s. w. Endlich
bilden noch eine wichtige Quelle für die Kunde des
Rechts dieser Periode die sog. "Olim", d. h. die
Register des Parlaments (hg. von Beugnot, 3 Tle.
in 4 Bdn., Par. 1839-48).
Im I. 1453 wurde der Plan einer amtlichen
Redaktion sämtlicher (^ouwinks gefaßt und seitdem
(1483,1497,1505) beharrlich verfolgt. Eine Samm-
lung derselben enthält der "^ouvßau Oouwmwr
Teuerai" von Vourdot de Richebourg (4 Bde., Par.
1724). Übrigens ist die erste und zweite Redaktion
zu unterscheiden, zwischen welche die Blütezeit der
berühmten, von Cujacius beeinflußten Rechtsschule
siel. Das Übergewicht, welches das röm. Recht durch ?
letztere gewann, hatte zur Folge, daß bei der zweiten
Zusammenstellung weit mehr von dem german.
Rechtselement vernichtet ward als bei der ersten.
Vom Ende des 15. Jahrh, an erreichte das König-
tum in raschem Fortschritte das Ziel einer alles be-
herrschenden Machtstellung und wurde im Verein
mit der von ihm abhängigen Beamten- und Ge-
lehrtenwelt bis zur Französischen Revolution der
alleinige Leiter aller Rechtsentwicklung. Der Ge-
danke einer einheitlichen Gesetzgebung für das ganze
Land trat schon früh (unter Ludwig XI.) hervor und
wurde namentlich von Ludwig XlV. gepflegt, jedoch
erst nach der Revolution wirklich ausgeführt. <
Von den königl. Ordonnanzen, welche man nack-
her auch in teils chronologischen, teils systematischen
Sammlungen vereinigte, waren die ältern ohne zu-
sammenhängenden Plan, je nach dem Anlasse stän-
discher Beschwerden oder sonst wahrgenommener
vereinzelter Reformbedürfnisse erschienen. Mit Lnd-
wig XIV., dessen gesamte Thätigkeit die im König-
tum sich gipfelnde Staatseinheit darzustellen trach-
tete, kam eine größere Planmäßigkeit in die Gesetz-
gebung, und die "0i-ä0uuanc6 civile" von 1667 so- ^
wie die "OrdOuimuc" ci-imiu^lle" von 1670, woran
sich die "Ol'lloinmiic68 8ur 1'H(Innm8trHti0Q 663
vili68" von 1667,1672, 1687, die "Ordonnanz dt53 '
65U1X 6t t'()i'öt8" von 1669, die "Ordonnanz äu
comineroß" von 1673, die "OrdounHneß äs inarinL"
von 1681, die Ordonnanzen über die geistliche Ge-
richtsbarkeit von 1695 und andere anreiben, können
wenigstens als Versuche gelten, die einschlagenden
Rechtsgrundsätze in zukömmlicher Allgemeinheit
auszusprechen. Dasselbe Bestreben wurde unter
Ludwig XV., jedoch mit mehr jurist. Bedächtigkeit,
unter der Leitung des Kanzlers d'Agucsseau, seit
1731 fortgesetzt. Vgl. die von Lauriere begonnene
sog. (^olieotion äu l^ouvre: "Orcloimauc^ ä?8 roig
ä6 I^uce" (21 Bde., Par. 1723-1849), dazu Par-
dessus, tt^adw 5w-c)llo1(>5iHN6" (ebd. 1847); Walker,
"('"Ne( timi complet? cke8 Iui3, 5äit8 etc. ant^risurs