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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gothaer

Stil aufgeführte Loge, das Post- und Telegraphengebäude, die Kaserne, das Herzog-Ernst-Seminar, das Schießhaus mit vorzüglich akustischem Saal, die neue Sternwarte, die Feuerbestattungshalle (1878) auf dem Friedhofe nebst Urnenhalle, in der (bis 15. April 1893) 1200 Leichenverbrennungen stattfanden, und die neuen Bürgerschulen (Arnoldi-, Gotthardt-, Mykonius- und Löfflerschule).

An Unterrichtsanstalten bestehen ein herzogl. Gymnasium Ernestinum, 1524 gegründet als Gymnasium illustre und seit 1861 vereinigt mit der Realschule erster Ordnung (Direktor Dr. von Bamberg, 23 Lehrer, 10 Gymnasialklassen, 223 Schüler, 4 Realgymnasialklassen, 84 Schüler), städtische Real-(höhere Bürger-)Schule, höhere Mädchenschule, neunklassige Mittelschule, höhere Handelsschule (1888), Handelslehranstalt (1817), herzogl. Baugewerk- und Gewerbeschule, ein herzogl. Ernst-Albert-Schullehrerseminar (1839), Köhlersches Kindergärtnerinnenseminar (1851), Privatpensionate, Konservatorium für Musik und Musikschulen u. s. w.; an Wohlthätigkeitsanstalten und Stiftungen: eine Entbindungsanstalt, eine Klinik für chirurgische und Augenkranke, eine Waisenversorgungsanstalt, eine Anstalt für verwahrloste Knaben, ein Armenhaus mit Siechhof, eine Arbeitsanstalt für Bedürftige, das Maria-Magdalenen-Hospital für Hochbetagte, die Karolinenschule zur Heranbildung weiblicher Dienstboten, zwei Kleinkinderschulen, ein Kinderkrankenhaus (Marienpflege), das Schäferstift und andere Stiftungen. Die Sternwarte, 1787 gegründet, befindet sich seit 1857 in einem neuen Gebäude an der Südostseite der Stadt. Die Geographische Anstalt von Justus Perthes (s. d.) ist die bedeutendste in Deutschland. Andere Institute sind die Feuerversicherungsbank für Deutschland (s. Feuerversicherung, Bd. 6, S. 750 a Tabelle) und die Lebensversicherungsbank, beide von Ernst Wilhelm Arnoldi (s. d.) 1821 und 1827 gegründet; ferner eine Privatbank, eine Grundkreditbank, eine Landeskreditanstalt (Staatsinstitut), eine Gewerbe- und Landwirtschaftsbank (1892: 3029 Mitglieder, 30068 M. Reingewinn) und eine Sparkasse. Von den zahlreichen Vereinen sind hervorzuheben: die Innungshalle (Vereinigung der Kaufleute), der Gewerbeverein (gegründet 1823), der Thüringer Gartenbauverein, ein Landwirtschaftlicher Verein, die Gemeinnützige Gesellschaft, der Frauenfortbildungsverein, der Frauenhilfsverein (Zweigverein des vaterländischen Frauenvereins), ein Kunstverein, Verschönerungsverein, die Freimaurerloge "Ernst zum Kompaß", ein Musikverein, ein Orchesterverein und verschiedene Gesang- und gesellige Vereine. G. hat zwei Theater, das herzogl. Hoftheater und das Sommer-Residenztheater. G. ist einer der lebhaftesten Handels- und Speditionsplätze Thüringens. Die Gewerbthätigkeit erstreckt sich besonders auf die Fabrikation von Porzellan, Tabak, geräucherten Fleischwaren (berühmte Cervelatwürste), Schuhwaren, Spritzenschläuchen, Maschinen (Maschinenfabrik und Eisengießerei von Briegleb, Hansen & Co., 250 Arbeiter), mechan. Instrumenten, Fortepianos, künstlichen Früchten, Lampen, Seifen, Wollspinnerei und Zinnspielwaren, Öfen, Ziegeln; auch sind mehrere Kunst- und Handelsgärtnereien vorhanden. Zu erwähnen ist noch die königl. Eisenbahn-Hauptwerkstatt mit über 600 Beamten und Arbeitern. Der Kunst-, Buch- und Musikalienhandel ist durch 16 Firmen vertreten. G. ist Sitz der Gothaischen land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, der 8. Sektion der Norddeutschen Holz- und der 3. Sektion der Thüringischen Baugewerksberufsgenossenschaft.

Südlich vom Schloß und Neuen Museum erstreckt sich der durch prachtvolle Baumgruppen ausgezeichnete Park. Auf der Insel des Parkteiches ruhen Ernst II. und zwei seiner Söhne, ferner Herzog August, dessen Gemahlin Karoline und Herzog Friedrich IV. An den Park schließt sich der Parkpavillon (Restaurationsgebäude mit Gartenanlagen) an. Der nordwestlich von der Stadt gelegene Galberg bietet schöne Aussicht. Eine halbe Stunde nordwestlich der Berggarten mit prächtigen Bäumen und Wegen und einem Aussichts-(Arnoldi-)Turm; 3,5 km südöstlich von G. liegt der Seeberg mit alter Sternwarte, jetzt Wirtschaft. Viel besucht ist der südwestlich von G. gelegene Boxberg, wo alljährlich im Frühjahr und Herbst Pferderennen stattfinden.

Geschichte. Der Ursprung von G. (Gothaha, Gothawe, Gotau) läßt sich bis auf Karls d. Gr. Zeit zurückführen. Der Sage nach wurde es vom Abt Meingoth von Hersfeld, zu welchem Stift es 900 gehörte, mit Mauern umgeben. Der Abt Gotthard (1005-22) erweiterte G. und wurde Schutzpatron der Stadt (Bildnis desselben auf dem Marktbrunnen). Als Stadt wird G. zuerst 1109 genannt. Im 12. Jahrh. kam G. an die Landgrafen von Thüringen und 1247 an die Markgrafen zu Meißen. Noch vor der Zeit der thüring. Landgrafen wurde die Caminata errichtet, welche zur festen Burg, Grimmenstein, erwuchs. 1440 fiel G. an den Kurfürsten von Sachsen, Friedrich den Sanftmütigen, und dessen Bruder Herzog Wilhelm, darauf durch Teilung an letztern und nach dem Tode desselben 1485 an Kursachsen zurück. 1524 begann, nachdem ihr vorher schon Eingang verschafft war, in G. die Reformation (Friedr. Mykonius). Infolge der Schlacht bei Mühlberg (1547) wurde der Grimmenstein zum Teil geschleift, 1552-54 aber wiederhergestellt. Als sich von den drei Söhnen Johann Friedrichs Johann Friedrich der Mittlere zum Beschützer Grumbachs (s. d.) auswarf, wurde G. nach mehr als dreimonatiger Belagerung durch Exekutionstruppen 13. April 1567 übergeben und der Grimmenstein gesprengt. G. war danach bis 1572 im Besitz des zweiten Bruders Johann Friedrichs, Johann Wilhelm, dem Weimar gehörte, und fiel 1638 an letzteres zurück, als die in ihr Erbe wieder eingesetzten Söhne Johann Friedrichs des Mittlern kinderlos starben. Seit Herzog Ernst dem Frommen (1640) ist G. Residenz des Herzogs von Sachsen-Gotha, mit dem 1672 Sachsen-Altenburg vereinigt wurde; seit 1826 ist es neben Coburg Residenz des Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha. (S. Ernestinische Linie und Sachsen-Coburg-Gotha.) - Vgl. Sagittarius, Historia Gothana (mit Tentzels Supplementen, 4 Bde., Jena 1700-16); Beck, Geschichte der Stadt G. (ebd. 1870); Kühne, Beiträge zur Geschichte der Entwicklung der socialen Zustände der Stadt und des Herzogtums G. (ebd. 1862).

Gothaer nannte man die Mitglieder der ehemaligen Mehrheit der Deutschen Nationalversammlung (der sog. Erbkaiserpartei), die nach dem Scheitern der in Frankfurt beschlossenen Verfassung vom 26. bis 28. Juni 1849 in Gotha tagten und sich dahin einigten, den von Preußen angebotenen, dem Frankfurter wenigstens ähnlichen Entwurf einer bundesstaatlichen "Verfassung für Deutschland zu