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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Großbritannien und Irland (Geschichte 1880-85)

Sprengstoffen zu sichern, das auch die Zustimmung beider Häuser fand, ebenso wie eine frühere Bill, die eine die Mißbräuche der Redefreiheit beschränkende Reform der Geschäftsordnung herbeiführte und sich gegen die Obstruktionspolitik der Iren richtete. Eine Unterstützung wurde der Regierung zu teil durch mehrere päpstl. Erlasse gegen die Landliga, während diese ihre Macht wiederum in der Ermordung des im Prozeß gegen die Phönixpark-Mörder verwendeten Kronzeugen, Jakob Carey zeigte, der als Opfer ihrer Rache, auf einem Dampfschiff vor der Kapstadt fiel. In Ulster in Irland wurde ein erbitterter Kampf zwischen den Nationalligisten und den Orangemännern in tumultuarischen Versammlungen geführt.

Die Verhältnisse in Ägypten nahmen inzwischen eine wenig erfreuliche Wendung. Die Regierung verfolgte auch hier nach dem anfänglichen übertrieben energischen Vorgehen, eine Politik der Halbheit. Während sie für Ägypten selbst von einer Einverleibung absah, aber die Besatzungstruppen im Lande ließ, war ihre Haltung gegenüber den Vorgängen im ägypt. Sudan besonders unrühmlich. Dort hatte sich 1882 ein kriegerischer Prophet, der Mahdi (s. d.) erhoben, den gegen ihn gesandten Hicks Pascha mit seinen ägypt. Truppen bei El-Obeid völlig vernichtet (3. Nov. 1883) und das Land unterworfen. Gladstone entschloß sich dem gegenüber zur Räumung und Preisgabe des halb der Kultur gewonnenen Gebietes. Die große öffentliche Entrüstung über das Verhalten führte Jan. 1884 zur Entsendung Gordons nach dem Sudan, die aber nun wieder mit völlig ungenügenden Mitteln geschah. Der von Suakim aus mit ägypt. Truppen vorstoßende Baker Pascha wurde 5. Febr. 1884 von den Mahdisten unter Osman Digma bei El-Teb in der Nähe von Tokar geschlagen, Ägypten selbst und der Sueskanal bedroht. Gordon wurde in Chartum eingeschlossen, während im Juni 1884 ein angeblicher Versuch gemacht wurde, sich mit Frankreich durch eine Konferenz über ein gemeinsames Vorgehen in Ägypten zu einigen. Endlich entschloß sich Gladstone im August, eine Entsatzexpedition unter Wolseley nach Chartum abgehen zu lassen. Die Bedrängnis des so lange im Stiche gelassenen Gordon hatte indessen ihren Höhepunkt erreicht, und als eine vorgeschickte Abteilung 28. Jan. 1885 endlich bei Chartum ankam, war es zu spät. Am 26. Jan. war die Stadt genommen, Gordon selbst erschlagen worden. (Das Nähere s. Gordon, Mahdi, Sudan.) Dieser durch die Zauderpolitik des Kabinetts verursachte tragische Ausgang rief eine ganz außerordentliche öffentliche Erregung hervor, der Gladstone beinahe zum Opfer gefallen wäre; ein Tadelsvotum wurde vom Oberhause mit großer Mehrheit angenommen und im Unterhause mit nur wenigen Stimmen verworfen. Gegenüber dem Sudan selbst wurden zunächst kostspielige Vorbereitungen zur Wiedereroberung getroffen, bis sich das Ministerium doch schließlich zur völligen Räumung entschloß, die bis Ende Mai 1885 vollzogen wurde. Die engl. Politik beschränkte sich von nun an auf eine Verteidigung Ägyptens gegen das weitere Vordringen des im Sudan völlig siegreich gebliebenen Gegners.

Der Rang im öffentlichen Interesse wurde den ägypt. Dingen streitig gemacht durch die neue Reform des engl. Unterhauses, die vornehmlich das Parlament in der Session von 1884 beschäftigte. Das neue Wahlgesetz dehnte das Haushalterstimmrecht von den städtischen auf die ländlichen Wähler aus und that damit einen bedeutenden Schritt in der fortgehenden Demokratisierung des engl. Unterhauses. Die Zahl der Wähler sollte um etwa zwei Millionen vermehrt werden. Trotz der konservativen Opposition wurde das Reformgesetz im Unterhause 26. Juni in dritter Lesung angenommen; dagegen fanden im Oberhause noch die heftigsten Debatten statt. Die Lords stellten die Forderung, in dieser Frage müsse an die Wähler appelliert werden, worauf die Regierung 14. Aug. die Session vertagte. Der Kampf, der in der Öffentlichkeit fortgesetzt wurde, war ein ausnehmend stürmischer; eine Unzahl von Reformmeetings wurde in den zwei Ferienmonaten abgehalten. Als das Parlament 24. Okt. wieder zusammentrat, stand ein Ausgleich bereits in Aussicht, der dann auch durch Verhandlungen der Parteiführer hergestellt wurde. Am 6. Dez. 1884 wurde der Entwurf zum Gesetz erhoben und darauf ein weiterer Entwurf über die beabsichtigte Neueinteilung der Wahlkreise dem Parlament vorgelegt. Nach festländischem Muster wurden an Stelle der altgeschichtlichen Wahlkreise der Grafschaften und Städte Wahldistrikte nach Maßgabe gleicher Bevölkerungszahl mit etwa je 50000 Seelen gesetzt, deren jeder nur einen Vertreter zu wählen hatte. Dies vereinbarte Gesetz wurde dem 19. Febr. 1885 wieder zusammentretenden Parlament vorgelegt, vollendet wurde die Parlamentsreform mit seiner endgültigen Annahme aber erst 23. Juni 1885, als Gladstone bereits nicht mehr im Amte war.

Diese radikale Parlamentsreform hatte England um ein Bedeutendes dem allgemeinen Stimmrecht näher gebracht; sie war jedenfalls der wesentlichste Erfolg von Gladstones zweitem Ministerium, dessen schwache Seite, die auswärtige Politik, besonders hervortrat. Am stärksten hatte sich dies in dem schwächlichen Verhalten gegenüber dem Sudan gezeigt, und noch ehe man hier zum Ende gekommen war, drohte ein neuer bedenklicher Konflikt mit Rußland über die afghan. Grenzfrage.

Zur Regelung der streitigen Grenze waren von russ. und engl. Seite besondere Kommissionen ernannt worden, die an Ort und Stelle die Grenzlinie feststellen sollten; statt der russ. Kommission kam jedoch die Nachricht von einem Vorrücken der russ. Truppen gegen Afghanistan. Auf engl. Seite wurden Rüstungen vorgenommen, die beschleunigt wurden, als man in London von einem Zusammenstoß hörte, der 30. März zwischen Russen und Afghanen stattgefunden hatte, und dem die Besetzung der Grenzstadt Pendschdeh gefolgt war. Das entschiedene Auftreten des engl. Kabinetts veranlaßte Rußland indes bald wieder in friedliche Bahnen einzulenken und gemeinsam mit England die Grenzfrage zu regeln, doch wurde das endgültige Abkommen erst von Gladstones Nachfolger Salisbury geschlossen. (S. Afghanistan, Bd. 1, S. 174.)

Auch an andern Reibungen fehlte es nicht, da die engl. Regierung eine eifersüchtige und unfreundliche Haltung gegenüber den deutschen Kolonialbestrebungen einahm. Gladstone machte wohl freundliche Worte, hinderte aber das deutsche Vorgehen, wo er konnte. Einen andern Erfolg als eine starke, gegenseitige Gereiztheit erlangte er damit nicht, da Bismarck den deutschen Standpunkt mit Entschiedenheit ihm gegenüber behauptete. Wegen Ägypten kam es im März 1885 zu einer Abkunft zwischen den Großmächten, der zufolge eine, von allen ga-^[folgende Seite]