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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Kavallerie

deren Erfolge zum Teil durch die der Beschaffenheit nach und im zweiten Teil des Krieges auch der Zahl nach vorhandene Minderwertigkeit der gegnerischen K. begünstigt wurden. Jedenfalls bildet der Krieg 1870/71 einen überaus bedeutsamen Wendepunkt in der Geschichte der K., deren Entwicklung in allen Armeen von diesem Zeitpunkt an einen großartigen Aufschwung genommen hat. Daß in einem zukünftigen Kriege Kavalleriemassen in der strategischen Einleitung eine hervorragende Rolle spielen werden, kann als ausgemacht gelten, wenn auch über die Richtung und den Wert dieser Thätigkeit die Meinungen auseinander gehen; wie sich dagegen die taktische Thätigkeit der K. auf dem Schlachtfelde den neuen Erfindungen der Waffentechnik gegenüber gestalten wird, ist vorläufig eine offene Frage.

Über die Taktik der K. in den verschiedenen Phasen ihrer geschichtlichen Entwicklung s. Fechtart.

Was die verschiedenen Gattungen der K. betrifft, so entwickelten sich aus den schwergepanzerten Rittern des Mittelalters allmählich die mit Pallasch und Pistolen bewaffneten schweren Reiter, auch einfach Reiter genannt, die spätern Kürassiere. Aus den mit längern Feuerrohren bewaffneten und zum Gefecht häufig absitzenden Arkebusieren entwickelten sich die Dragoner, anfangs ein Mittelding zwischen K. und berittener Infanterie, die aber zu Gunsten der kavalleristischen Leistungsfähigkeit den infanteristischen Charakter früher oder später ganz ablegten; am längsten hat sich diese Bedeutung der Dragoner als berittene Infanterie in Rußland erhalten. Aus den nationalen leichten Reiterscharen der Ungarn und Polen entwickelten sich die auch in fremde Armeen übergehenden Typen der Husaren und Ulanen, letztere besonders charakterisiert durch ihre Bewaffnung mit Lanzen. Je nach dem Material von Menschen und Pferden sowie nach Ausrüstung und Bewaffnung unterschied man schon von den frühesten Zeiten an schwere K. (zum geschlossenen Angriff in der Schlacht bestimmt) und leichte K. (für die Aufgaben des Aufklärungs- und Sicherheitsdienstes und des kleinen Krieges, was eine Verwendung beider Gattungen von K. zu beiden Zwecken je nach Bedürfnis natürlich nicht ausschloß). Zur schweren K. zählten stets und in allen Heeren die Kürassiere, zur leichten die Husaren, während Dragoner und Ulanen bald zur schweren, bald zur leichten K. gerechnet, bald als besondere Mittelkavallerie betrachtet wurden. Neben den genannten vier Hauptgattungen kamen in den verschiedenen Heeren auch andere Gattungsnamen vor, die aber stets einer der vier Hauptgattungen entsprechen: Karabiniers und Gendarmen gehörten oder gehören zur schweren, Chevaulegers und Reitende Jäger (Chasseurs à cheval) zur leichten K., Lanciers ist eine anderweitige Bezeichnung für Ulanen; Rußland besitzt in den Kosaken, Frankreich in den Spahis eine eigenartige leichte K.

Gliederung. Die taktische Einheit der K. ist die Eskadron (Schwadron), 4–6 Eskadrons bilden ein Regiment; die weitere Gliederung der höhern Verbände ist in den verschiedenen Heeren sowie in der Friedens- und Kriegsformation verschieden. In Deutschland ist im Frieden die aus zwei oder mehr Regimentern bestehende Brigade der größte rein kavalleristische Truppenteil, der mit je zwei Infanteriebrigaden einem einheitlichen Divisionskommando unterstellt ist (s. Divisionskavallerie), nur das Garde- und 12. (königlich sächs.) Armeekorps haben im Frieden geschlossene Kavalleriedivisionen; im Kriege wird ein großer Teil der K. zu selbständigen Kavalleriedivisionen (s. d.) zusammengestellt, während der Rest den Infanterieverbänden zugeteilt wird. In Österreich und Frankreich ist die K. teils in Divisionen, teils in selbständige Brigaden zergliedert, in Rußland durchweg in Divisionen. In den meisten gegenwärtigen Heeresverfassungen ist der unterschiedliche Begriff der schweren und leichten K., soweit damit die Bestimmung zu einem besondern Kriegszweck verbunden war, d. h. das Princip der Einheitskavallerie (s. d.), verwirklicht. Die Bezeichnung schwere und leichte K. haben, wo sie vorkommen, nur noch die Bedeutung, daß man das vorhandene Material von Menschen und Pferden nicht unterschiedlos zusammenwürfelt, sondern je nach dem schweren oder leichten Schlage in besondere Truppenteile zusammenstellt, was die Ausbildung erleichtert und die Wirksamkeit erhöht; Ausrüstung und Ausbildung, mögen die einzelnen Regimenter Namen haben wie sie wollen, ist darauf berechnet, jeden Kavallerietruppenteil zu jedem Dienst verwenden zu können. Die thatsächliche Verwendung im Kriege läßt zwei verschiedene Richtungen erkennen: die Thätigkeit selbständiger Kavalleriemassen, denen strategische Aufgaben gestellt sind (s. Kavalleriedivision) und die Thätigkeit kleiner Kavallerieabteilungen, welche den Infanterieverbänden zur Erfüllung bestimmter taktischer Aufgaben zugewiesen sind. S. auch Fechtart und Raids.

In Deutschland ist seit 1889 die ganze K. mit der Lanze, dem Karabiner und einem leichten Stichdegen bewaffnet und wird nach einheitlichen Gesichtspunkten ausgebildet; auch der Sattel (früher verschiedene Modelle, deutscher und Bock-Sattel) ist durchweg derselbe. Die Verschiedenheit der Uniformen stört die Verwendung der deutschen K. als Einheitskavallerie durchaus nicht, ist sogar für das schnelle Ralliieren der Regimenter in großen Reiterkämpfen, wo die Mannschaften zahlreicher Regimenter durcheinander gewürfelt werden, von Nutzen. Dagegen erleichtert sie allerdings auch dem Gegner die Orientierung. Am umfassendsten ist der Begriff der Einheitskavallerie in Rußland durchgeführt, wo mit Ausnahme der verschieden uniformierten (aber ebenso wie die andere K. ausgerüsteten und bewaffneten) Garderegimenter die ganze reguläre K. aus Dragonern (s. d.) besteht. – Am weitesten von der Einheitskavallerie entfernt ist man in Frankreich, welches allein noch schwere Panzerreiterregimenter besitzt.

Litteratur. Graf Bismarck-Bohlen, Über die Aufgaben und die Verwendung der Reiterei im Kriege (Berl.1870), Zur Taktik der Reiterei (2. Aufl., Freib. i. Br. 1870), Zeitgemäße Ansichten über K. (Berl. 1872), Betrachtungen über die Formation, Verwendung und Leistungen der Reiterei (ebd. 1872); Jähns, Roß und Reiter (2 Bde., Lpz. 1872); Kähler, Die Reiterei in der Schlacht bei Vionville (3. Aufl., Berl. 1874); von Waldstätten, Über die Verwendung größerer Kavalleriekörper in den Schlachten der Zukunft (Teschen 1874); Beck, Studie über die Taktik der K. (Wien 1875); Denison, History of cavalry (Lond. 1877; deutsch von Brix, Berl. 1879); von Haber, Die K. des Deutschen Reichs. Ihre Entstehung u. s. w. (Hannov. 1877); Kähler, Die preuß. Reiterei von 1806 bis 1876 in ihrer innern Entwicklung (Berl. 1879); von Suttner, Reiterstudien. Beiträge zur Geschichte der Ausrüstung u. s. w. (Wien 1880);

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