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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ketzergerichte - Kendell
prot. Kirche Rechtgläubige und Häretiker und hielt
gegen die letztern selbst blutige Gewaltthaten sür er-
laubt. So wurde im 16. Jahrh. Servet (s. d.) auf
Veranlassung Calvins als K. verbrannt. Die fort-
schreitende Aufklärung erhob jedoch gegenüber allen
Zwangsmaßregeln um religiöser Meinungen willen
die Forderung der Gewissens- und Lehrfreiheit.
Das Recht der erstern ist heute in prot. Ländern
allgemein, in katholischen großenteils anerkannt.
Ketzergerichte, Ketzermeistern, s. w., s. Ketzer.
Ketzin, Stadt im Kreis Osthavelland des preuh.
Neg.-Bez. Potsdam, an der Havel und der Klein-
bahnlinie K.-Nauen (16,3 km) der Osthavelländ.
Kreisbahnen, bat (1890) 3462 E., darunter 284
Katholiken; Post,Telegraph, evang.und kath.Kirche,
eine 1890 vergrößerte Hafenanlage, Sparkasse; be-
deutende Thonlager und 11 Ziegeleien.
Keuchhusten, Stickhusten oder blauer Hu-
sten (^18318 convuläiva, ?6rtu83i8), ein epidemisch
auftretender, über den größten Teil der bewohnten
Erde verbreiteter ansteckender Katarrh der Luftwege,
der namentlich Kinder vom zweiten bis achten Jahre
befällt und sich durch periodische, krampfhafte Husten-
Anfälle charakterisiert. Derselbe zeigt sich vorzüg-
lich im Herbst und Frühjahr und begleitet Masern-
uno Scharlachepidemicn oder wechselt mit diesen
ab. Mädchen und Schwächlinge werden in größerer
Anzahl von ihm befallen als Knaben und kräftige
Kinder. Einmal Befallene sind meist vor erneuter
Erkrankung sicher. DerK. beginnt wie ein gewöhn-
licher fieberhafter Husten, von dem er im Anfang
nur durch das epidemische Auftreten unterschieden
werden kann. Nach wenigen Tagen oder Wochen
verlieren sich die Fiebererscheinungen, und es bleibt
nur der Lungenkatarrh bestehen, welcher durch die
Sekretion eines sehr reichlichen zähen Schleims aus-
gezeichnet ist. Die Ansammlung des Schleims im
Kehlkopf bewirkt zunächst die periodischen krampf-
haften Hustenanfälle, die in ihren Äußerungen cha-
rakteristisch sind. Zuerst wird die Luft langsam,
unter einem pfeifenden Geräusch, durch die krampf-
baft verengte Stimmritze gezogen und dann durch
kurze, schnell abgebrochene Hustenstöße ausgetrieben,
worauf wieder das keuchende Einatmen folgt, bis
der Schleim in die Mundhöhle gefördert ist. Oft
tritt dabei Erbrechen und mit diefem leichtere Ent-
leerung des Schleims ein. Während des Husten-
anfalls ist der Rückfluß des Blutes vom Kopfe ge-
hemmt, das Gesicht wird blau, es kommt selbst zu
Blutungen aus der Nase, dem Ohr, dem Munde,
in die Nugenbindehaut, bisweilen auch zu unwill-
kürlichen Harn- und Stuhlentleerungen, ja mitunter
selbst zu Brüchen. Nach dem Anfall, welcher ge-
wöhnlich 1-2 Minuten, bisweilen aber selbst eme
Viertelstunde dauert, befindet sich das Kind völlig
wohl. Die Zahl der einzelnen Anfälle während
eines Tags ist sehr verschieden; auf der ^>öhe der
Krankheit können sich 30, selbst 40 Anfälle in 24
Stunden einstellen. Nicht bloß der Schleim, son-
dern auch andere, auf den Kehlkopf wirkende Schäd-
lichkeiten (kalte Luft, Rauch, Staub, anhaltendes
Weinen, Ltrger u. s. w.) rufen den Hustenanfall
bervor. Nach Wochen oder Monaten verliert der
schleim seine zähe Beschaffenheit, die Reizbarkeit
der Schleimhaut läßt nach und die Anfälle werden
schwächer, seltener und bleiben zuletzt ganz aus.
Verbreitet wird die Krankheit durch ein im Aus-
wurf und Atem der Kranken enthaltenes Kontagium,
welches übrigens nicht bloß durch die Kranken, son-
Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.
dern auch durch Gesunde oder durch Wäschstücke
und andere Gegenstände, an denen der Auswurf
haftet, übertragen werden kann. Nach den neuern
Untersuchungen besteht dieses Kontagium aus mi-
kroskopisch kleinsten Pilzen, welche sich in den Luft-
wegen einnisten und in den feinen Luftröhrenver-
zwcigungen sowie den Lungenbläschen einen ent-
zündlichen Zustand unterhalten und dadurch das
charakteristische Symptomenbild des K. hervorrufen.
An sich tötet der K. nur in äußerst seltenen Fallen,
kann aber durch Zutritt von Lungenentzündung
u. dgl. gefährlich werden oder durch Hinterlassung
von Lungenemphysem, Brüchen u. dgl. die Gesund-
heit auf Lebensdauer schädigen. Die Annahme,
daß der K. mindestens 18 - 20 Wochen dauern
müsse, ist durchaus unbegründet und verderblich;
bei der nötigen Sorgfalt gelingt es, die Dauer der
Krankheit auf einige Wochen einzuschränken.
Bei frischen Erkrankungen sollen die Kinder im
Bett gehalten und durch warme Decken in gelinden
Schweiß gebracht werden. Das Zimmer muh Tag
und Nacht die gleiche Temperatur haben und mög-
lichst staubfrei gehalten werden. Ferner muß man
die Anfälle abzukürzen suchen, roeil hierdurch auch
die Dauer der ganzen Krankheit abgekürzt wird.
Sobald der Anfall sich (durch Röcheln u. s. w.) an-
meldet, gebe man warme, schleimige Getränke (Brust-
thee, warmes Zuckerwasser, Milch mit Selterswasser
u. dgl.) oder eine Lösung von kohlensaurem Kali
oder Natron (Sodawasser), sorge auch dafür, daß
die Kinder nicht jedem Hustenkitzel nachgeben. Der
Schleim muß nötigenfalls mit den Fingern aus dem
Mund entfernt werden. Daneben leisten öftere Ein-
atmungcn feuchtwarmer Carboldämpfe (ein-bis zwei-
prozentiges Carbolwasser, täglich vier- bis sechsmal
mittels eines Inhalationsapparats eine halbe bis
eine Stunde lang zerstäubt) sowie die Darreichung
narkotischer Heilmittel oft vortreffliche Dienste; von
nenern Mitteln werden besonders Vromoform, Anti-
pyrin und Phenacetin gerühmt. Da die Krankheit an-
steckt (selbst Erwachsene), so trenne man selbstver-
ständlich die noch gesunden Kinder sorgfältig von
den schon erkrankten. In besonders hartnäckigen
Fällen hilft nur Wechsel des Wohnortes, nament-
lich Ausenthalt in warmer, reiner Land- und Berg-
luft. - Vgl. Hagenbach, Der K. (in Gerhardts
"Handbuch der Kinderkrankheiten", Bd. 2, Tüb.1877).
Keuchhustenmittel, s. Geheimmittel.
Keudell, Rob. von, Staatsmann, geb. 27. Febr.
1824 zu Königsberg, studierte 1841-45 in Königs-
berg, Heidelberg und Berlin, wurde 1850 Gerichts-
und 1851 Regierungsassessor in Potsdam. Von 1858
bis 1863 war er Oberpräsidialrat in Breslau. 1863
wurde er von Vismarck als Hilfsarbeiter in das
Ministerium des Auswärtigen berufen. Er war an
Bismarcks Seite in Schleswig-Holstein, in Böhmen
und bei den Verhandlungen des I. 1866, und
folgte ihm 1870 in das Hauptquartier nach Ver-
sailles, sowie im Sommer 1871 nach Gastein und
Salzburg. K. wurde 1864 vortragender Rat un^d
1869 Geh. Legationsrat; im Herbst 1869 ging er als
Kommissar des Norddeutschen Bundes bei Eröffnung
des Sueskanals nach Ägypten. 1871 vom Wahl-
kreise Königsberg i. N. in den Deutschen Reichs-
tag sowie schon früher in das preuß. Abgeordneten-
haus gewählt, schloß sich K. dort der Deutschen
Reichs-(freikonservativen)Partei an. 1872 wurde
K. zum außerordentlichen Gesandten des Deutschen
Reichs in Konstantinopel ernannt, 1873 in gleicher