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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Kind

des Kindes von der Mutterbrust reichend; in das eigentliche Kindesalter vom Zahnausbruch bis zum Zahnwechsel (Milchzahnperiode, vom Ende des 1. bis zum 7. Jahre), und in das Knaben- und Mädchenalter, vom Zahnwechsel bis zur Pubertätsentwicklung, die in Mitteleuropa bei Knaben um das 16. bis 18. Jahr, bei Mädchen schon um das 14. bis 16. Jahr erfolgt. (S. Pubertät.)

Mit der Geburt des K. tritt eine völlige Umgestaltung der Lebensthätigkeit ein. Während der Fötus das Ernährungsmaterial vom mütterlichen Organismus fertig zugeführt erhält, beginnt beim Neugeborenen mit dem Moment der Geburt die selbständige Respiration sowie die mit der Unterbrechung des Placentarkreislaufs gegebene Umgestaltung des gesamten Kreislaufs, und die selbständige Ernährung durch Nahrungsaufnahme in den Verdauungskanal, Verdauung und Aufsaugung der Nahrungsstoffe. Ferner befindet sich das geborene K. nicht mehr in einem gleichmäßig warmen Raume von der Temperatur seines eigenen Körpers, sondern es muß für die Regulierung zwischen der Wärmeerzeugung und Wärmeabgabe selbst sorgen. Die für das Leben wichtigen Organe haben im Neugeborenen, welcher im Durchschnitt eine Körperlänge von 50 cm und ein Gewicht von 3 bis 3,5 kg besitzt, bereits eine hohe Ausbildung erlangt. Das Gehirn und Rückenmark beträgt ein Achtel bis ein Siebentel des Körpergewichts, beim Erwachsenen nur ein Fünfundvierzigstel; das Herz, die Leber sind gleichfalls verhältnismäßig größer, während die untergeordnetern Organe (Muskulatur, Extremitäten u. s. w.) noch weit zurückgeblieben sind; die Herzthätigkeit ist sehr lebhaft, im Durchschnitt macht das Herz 140 Schläge in der Minute. Einzelne Verdauungsorgane zeigen sich noch nicht so ausgebildet wie bei ältern Individuen; so sind z. B. die Speicheldrüsen noch nicht in Thätigkeit; es werden noch keine Stärkemehl verdauenden Fermente gebildet. Den Sinnesorganen (Gesicht, Gehör) fehlt die nötige Übung; am meisten entwickelt scheint noch der Geschmackssinn zu sein. Das Blut des Neugeborenen ist reicher an festen Bestandteilen, besonders an Blutkörperchen, Eisen und Extraktivstoffen, als das der Erwachsenen, dagegen ärmer an Fibrin und Salzen; seine Gesamtmenge beträgt nur ein Neunzehntel, nicht wie beim Erwachsenen ein Dreizehntel des Körpergewichts. Das Körperwachstum ist in der ersten Lebenszeit nach der Geburt am lebhaftesten. Im ersten Jahre verdreifacht sich das Körpergewicht (bis auf 10 kg), sodaß es später nie mehr um so viel zunimmt.

Die geistige Thätigkeit des Neugeborenen ist auf das geringste Maß beschränkt; es giebt nur Zeichen des Behagens und Unbehagens von sich. Erst etwa von der 10. Woche an schenkt das K. einzelnen Gegenständen seine Aufmerksamkeit, und vom 5. bis 6. Monat an erkennt es seine Umgebung mit Sicherheit. Im 6. bis 9. Monat treten die ersten Zähne Milchzähne) auf (s. Zahn und Zahnen der Kinder). Um das Ende des 1. oder im Anfange des 2. Jahres sind die K. im Gebrauch ihrer Muskeln so weit fortgeschritten, daß sie allein stehen können und Gehversuche machen; um die Mitte des 2. Jahres lernt auch das K. allmählich seine Sprechorgane gebrauchen. Das Wachstum ist noch lebhaft, das Knochensystem noch unvollkommen entwickelt, die Enden (sog. Apo- oder Epiphysen) der langen Röhrenknochen noch durch Knorpel mit dem Mittelstück, der sog. Diaphyse, verbunden; ebenso bestehen die meisten platten Knochen (Becken, Kopfknochen) aus mehrern durch Knorpelmasse verbundenen Stücken. Der Stoffumsatz ist bei den K. während der ganzen Wachstumsperiode bedeutender als bei dem Erwachsenen für gleiches Körpergewicht.

Allen Fleiß und die größte Sorgfalt hat man auf die Ernährung und körperliche Reinhaltung des K. zu richten, und den verkehrten Maßregeln in dieser Hinsicht ist es zum Teil zuzuschreiben, daß von 100 K. 25 vor Erreichung des ersten Lebensjahres sterben. Die beste Nahrung für das K. ist die Milch der Mutter; bei Ammenmilch gedeihen die K. schon weniger gut, indes viel besser noch als bei künstlicher Ernährung. (S. Kinderernährung.) Geringe Verdauungsstörungen verursachen leicht Durchfälle, und diese erweisen sich den K. höchst mörderisch. Mangelhafte Ernährung führt auch oft Knochenkrankheiten (Englische Krankheit), Skrofulose sowie Tuberkulose herbei. Werden die K. unsauber gehalten, so bekommen sie leicht Hautausschläge, selbst Hautgeschwüre; Feuchtigkeit in den Hautfalten (Schenkelfalten) macht die Haut leicht wund (Zinksalbe). Aphthen oder Schwämmchen (s. d.) in der Mundhöhle sind häufige Folgen der Unreinlichkeit (Saugbeutel). Schon bei leichten Unpäßlichkeiten (Verstopfung) bekommen K. leicht Krämpfe, die indes selten von großer Bedeutung und leicht zu heben sind. Ferner sind wirkliche Nervenkrankheiten (Gehirnentzündung) nicht selten. Werden die K., bevor ihr Muskel- und Knochensystem kräftig genug, häufig aufrecht getragen, so tritt leicht bleibende Verkrümmung der Wirbelsäule ein.

Die geistige Entwicklung erfährt vom 2. Jahre an einen lebhaften Aufschwung. Schon früh soll man den Geist und das Gemüt des K. ausbilden, ohne indes das K. mit Arbeit zu belästigen; der anstrengende systematische Unterricht soll solange als möglich (bis in das 7. Jahr) aufgeschoben werden.

Aus dem Schulbesuch drohen dem K. eine Reihe von Gefahren, deren Wichtigkeit erst in der neuesten Zeit hinreichend gewürdigt wurde. Daher bildet neuerdings die Anlage, Einrichtung und Beaufsichtigung der Schulen einen wichtigen Teil der öffentlichen Gesundheitspflege. (S. Schulhygieine.)

Litteratur. Bednar, Kinderdiätetik oder Pflege der K. in den ersten Lebensjahren (Wien 1857); Ploß, Das K. in Brauch und Sitte der Völker (2. Aufl., Stuttg. 1884); Krug, Die Kindererziehung für das erste Lebensjahr (2. Aufl., Lpz. 1884); Fürst, Das K. und seine Pflege im gesunden und kranken Zustande (3. Aufl., ebd. 1886); Preyer, Die Seele des K. (3. Aufl., ebd. 1890); Ammon, Die ersten Mutterpflichten und die erste Kindespflege (33. Aufl. von Winckel, ebd. 1892); Brücke, Wie behütet man Leben und Gesundheit seiner K.? (4. Aufl., Wien 1892); Bock, Das Buch vom gesunden und kranken Menschen (15. Aufl., bearbeitet von M. von Zimmermann, Lpz. 1892-93); Preyer, Die geistige Entwicklung in der ersten Kindheit (Stuttg. 1893).

Im rechtlichen Sinne heißt K. zunächst eine Person, welche im Kindesalter steht (s. Alter und Minderjährigkeit), dann aber auch eine Person im Verhältnis zu den Eltern (s. d.). Das geltende Recht spricht aber auch nicht selten von K. im Sinne von Abkömmlingen (s. d.). über uneheliche oder außereheliche K. s. Uneheliche Kinder. Wegen des Sprichwortes "K. folgt der ärgern Hand" s. Ärgere Hand.

^[Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.]