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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Kolonien

ist es zudem ein Vorteil, wenn er seine neue Thätigkeit unter Landsleuten und im Zusammenhange mit dem Heimatlande ausüben kann. Andererseits wird auch das Mutterland auf dem Markte seiner eigenen K. wegen der Gleichheit von Sprache, Recht u. s. w. einen Vorsprung besitzen, der sich auch nach polit. Loslösung erhalten wird. So sind die Vereinigten Staaten auch jetzt noch die bedeutendsten Abnehmer engl. Industrieprodukte geblieben. Aber auch solche K., nach welchen des Klimas wegen eine größere Auswanderung nicht stattfinden kann, können eine Quelle des Wohlstandes für jede thatkräftige Nation werden, da der Handel hochstehender Industrieländer nach unkultivierten, aber an Naturprodukten reichen Gebieten hohen Gewinn abwirft. Allerdings birgt eine energische Kolonialpolitik bei dem Wetteifer aller Mächte die Gefahr von polit. Verwicklungen und Kriegen in sich.

III. Geschichtliches. Die früheste aus dem Altertum bekannte Kolonisation ging von den Phöniziern aus, welche vorzugsweise die ältere asiat. Kultur nach dem Mittelmeerbecken trugen, nicht bloß Griechenland damit befruchteten, sondern auch Niederlaßungen an der nordafrik. Küste und im südl. Spanien begründeten. Kulturgeschichtlich noch wichtiger war die griech. Kolonisation, durch welche beträchtliche Abzweigungen der griech. Stämme nach dem Pontusgebiet, Unteritalien, Sicilien, Südgallien geführt wurden und hier blühende Sitze hoher Kultur gründeten (s. Griechenland, Bd. 8, S. 321 a, und Großgriechenland). In der Expansionspolitik der Römer spielte die Kolonisation nur eine untergeordnete Rolle; sie gründeten in eroberten Gebieten Militärkolonien, seit Unterwerfung Italiens auch um arme Bürger mit Grundbesitz zu versorgen, später, besonders in der Kaiserzeit, um die Veteranen anzusiedeln. Von der Bedeutung dieser K. für die Kultur zeugen noch heute zahlreiche Städte Mittel- und Südeuropas.

Aus der Periode des Mittelalters sind die Handelskolonien der Hansa und die kolonisatorischen Eroberungen des Deutschen Ordens und der Schwertbrüder in den Baltischen Provinzen hervorzuheben, während im südl. Europa die kolonisatorischen Staatengebilde der Kreuzfahrer und K. der ital. Städterepubliken in Syrien, Palästina und dem Pontusgebiet bemerkenswert sind.

Ein neues großes Gebiet wurde der Kolonisation der europ. Kulturstaaten zu Beginn der Neuzeit durch die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien und die Entdeckung Amerikas und Australiens eröffnet. Spanien nimmt zeitlich in der Reihe der neuern Kolonialmächte die erste Stelle ein. Die größte Ausdehnung erreichte sein Kolonialgebiet um die Mitte des 16. Jahrh., wo es die Küsten von ganz Südamerika mit Ausnahme des portug. Brasiliens, ganz Westindien, Centralamerika und den südl. Teil von Nordamerika bis hinauf nach Kalifornien, bis zu den Quellgebieten des Colorado und Rio Grande sowie Florida umfaßte. Die Kolonialpolitik Spaniens war aber fast nur auf wirtschaftliche Ausbeutung, besonders der reichen Mineralschätze, durch militär.-bureaukratische Verwaltung und durch Monopolisierung des Handels mit dem Mutterlande gerichtet. Das ganze Kolonialgebiet war in Vicekönigreiche und Generalkapitanate eingeteilt, welchen als oberste Behörde im Mutterlande der Rat von Indien vorgesetzt war. Der andauernde Zufluß von Reichtümern, besonders an Edelmetallen aus den K., führte zur Abwendung Spaniens von eigentlich produktiver Arbeit und damit auch zum Verfall der polit. Macht, während andererseits auch die K. zu innerer Stärke nicht gelangen konnten. Als Spanien seine Herrschaft zur See an England und die Niederlande abtreten mußte, verlor es daher auch den größten Teil seiner K. Während des Napoleonischen Krieges und der folgenden Bürgerkriege sich selbst überlassen, lösten sich die mittel- und südamerikanischen K. vom Mutterlande und verwandelten sich nach und nach in unabhängige Republiken. Aus dem 1810 abgefallenen Vicekönigreich Buenos-Aires bildeten sich die La-Plata-Staaten, aus dem Vicekönigreich Peru die Republiken Peru und Bolivia, aus dem Vicekönigreich Neugranada Columbia, Venezuela und Ecuador. Chile und Mexiko erkämpften ebenfalls ihre Unabhängigkeit. - Portugal hatte bei seinen Entdeckungsfahrten nach Ostindien vornehmlich die Absicht, den Handel mit den Ländern des Indischen Oceans und mit Ostasien zu monopolisieren. Es nahm daher hauptsächlich nur Küstengebiete in Besitz, so die Westküste und Südostküste von Afrika, die Westküste von Indien (Goa), Küstengebiete des Persischen Meers, die Molukken und einzelne Punkte in Hinterindien und an der chines. Küste. Auf das 1500 entdeckte und anfangs wenig beachtete Brasilien wurde erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. größerer Wert gelegt, nachdem man dort Gold- und Diamantfelder gefunden hatte. Von 1580 bis 1640 unter span. Herrschaft und in den Kampf dieser Macht mit England und den Niederlanden verwickelt, verlor Portugal einen bedeutenden Teil seiner K. Durch die 1822 erfolgte Losreißung Brasiliens, den Verlust einzelner Gebiete der afrik. Küste an die Eingeborenen und an die von Arabien hereindringenden mohammed. Seemächte wurde schließlich der ehemaligen Herrlichkeit portug. Kolonialmacht ein Ende gemacht. - Die Holländer benutzten ihren Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, um den mit Spanien vereinigten Portugiesen das mit bewaffneter Macht gehütete Monopol des ostasiat. Handels größtenteils zu entreißen. Die Ausbreitung der niederländ. Kolonialmacht erfolgte hauptsächlich durch die mit dem Privilegium des alleinigen Handels in allen Gegenden jenseit vom Kap der Guten Hoffnung und der Magalhãesstraße ausgestattete Ostindische Compagnie, welche die Portugiesen (seit 1605) von den Molukken, Ceylon Malaka und den Sundainseln vertrieb, dort Handelsniederlassungen begründete und die einheimischen Fürsten allmählich in Abhängigkeit brachte. In Nordamerika gründeten die Niederländer die Kolonie Neu-Niederland, verloren sie aber 1667 an die Engländer. Vorübergehend nahmen sie auch Teile der brasil. Küste in Besitz, die sie 1661 an die Portugiesen verkauften. Dauernde Spuren haben die Niederlassungen holländ. Kolonisten in Südafrika hinterlassen, die zwar zum Teil unter engl. Herrschaft gekommen (s. Kapkolonie), zum Teil aber zu selbständigen Gemeinwesen (Oranje-Freistaat, Südafrikanische Republik) erwachsen sind. Im Gegensatz zu Spanien haben die Niederlande ihren kolonialen Besitzungen einen großartigen wirtschaftlichen Aufschwung, das Emporblühen einer einheimischen Industrie und eines lebhaften Handels zu verdanken. Noch jetzt beruht die Macht Hollands vorwiegend auf seinen überseeischen Besitzungen. - Frankreichs Kolonialpolitik war bis zur Regierung Ludwigs XIV.

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