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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Krimgoten - Kriminalstatistik
Seit 1441 bildete das Land den Hauptbestandteil des
Chanats der K., welches Sultan Mohammed II.
1475 unter die Oberhoheit der Pforte brachte. Schon
unter Peter d. Gr. begannen die russ. Angriffe auf
die K., deren Unabhängigkeit die Pforte im Frieden
zu Kücük-Kainardza (1774) zugestehen mußte. Diefe
selbständige Stellung währte nur kurze Zeit; 1783
trat der letzte Chan der K., Schagin-Girei, gegen ein
Jahrgeld seine Länder an Rußland ab. 1854-55
war die K. Schauplatz des Krimkrieges (s. Orient-
krieg). - Vgl. Remy, Die K. in ethnographischer,
landschaftlicher und hygieinischer Beziehung (Lpz.
1872); Telfer, ^ke ^rimea and iranZcancHZiI.
(2 Bde., Lond. 1876); Sosnogorow, Führer durch
die K. (russisch, 5. Aufl., Odessa 1889).
Krimgoten, s. Ostgoten. fahren betreffend.
Kriminal (lat.), das Strafrecht oder Strafver-
Kriminalanthropologie, die auf die Straf
rechtswissenschaft angewandte Anthropologie oder
(nach Liszt) die wissenschaftliche Untersuchung der
körperlichen und geistigen Eigenart des Verbrechers
und die Feststellung der in dieser gelegenen Bedin-
gungen des Verbrechens. Die Hauptvertreterin der
K. ist die neuere ital. (positive) Schule des Straf-
rechts und deren Begründer, Cesare Lombroso (s. d.).
Er untersuchte 383 Verbrecherschädel und stellte
Maße und Gesichtsausdruck von 3839 Verbrechern
fest; Tausende von Individuen wurden geprüft, ob
sie tättowiert seien, ihre Sprache, Handschrift u. s. w.
untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen
werden dahin festgestellt: Der Verbrecher hat eine
geringere Hirnschädelentwicklung, das Hirngewicht
ist unter der Norm, er hat abstehende Ohren, schief-
gestellte Augen, vermindertes Schmerzgefühl, herab-
gesetzte Tastempfindlichkeit, gesteigerte Empfindlich-
keit für magnetische und Meteorolog. Einflüsse. Die
Gangart des Verbrechers ist eine andere als die
normale. Die Gesichtsfalten und Runzeln sind
beim Normalen anders gestaltet als beim Ver-
brecher; von den untersuchten Verbrechern im Alter
von 25 bis 39 I. hatten Unterlidlängsfalten
20 Proz., gleichalterige Normale 6,3 Proz. Auf
Grund dieser Untersuchungsmethode gelangt Lom-
broso zur Feststellung eines besondern Verbrecher-
typus, des ä6iw<iii6iit6 nato (geborener Verbrecher),
und zur Beantwortung der Fragen, ob in ihm eine
besondere Menschenart vorliegt, und ob man es
etwa mit einem Patholog. Produkt zu thun hat.
Die Antwort, welche Lombroso giebt, bejaht beide
Fragen gleichzeitig. Pathologisch stellt er den Ver-
brecher dem "moralisch Irren" gleich; anthropologisch
erklärt er die Verbrechernatur aus einer sog. Rück-
schlagsbildung, dem Atavismus (s. Erblichkeit).
"Der größte Teil der Eigenschaften des Wilden",
sagt er, "sowohl der körperlichen als auch der geisti-
gen, findet sich bei dem Verbrecher wieder. So die
Anomalien am Schädel und am Gesicht. Der Ata-
vismus erklärt uns den Charakter und die Fort-
pflanzung gewisser Verbrechen, und er macht es er-
klärlich, warum die Strafe so wenig wirksam ist.
Das Verbrechen tritt wie eme Naturerscheinung auf,
gleich denen der Geburt, des Todes, der Geistes-
krankheit, von welcher es oft eine traurige Abart
bildet". Diese Auffassung führt dahin, die Willens-
freiheit, Zurechnungsfähigkeit und Strafe im Sinne
des heutigen Strafrechts zu bestreiten. In der
That hat nach der Lehre der kriminalanthropolog.
Schule die Strafe ihren Grund nur in der Not-
wendigkeit einer Gegenwehr der menschlichen Ge-
sellschaft gegen ein gemeingefährliches Wesen: den
Verbrecher. Das Verbrechertum aber besteht aus
fünf Kategorien: zwei Hauptgruppen (geborener
Verbrecher und Verbrecher aus Leidenschaft) mit je
einer Unterart (irrer Verbrecher und Gelegenheits-
verbrecher) und einem Verbindungsgliede zwischen
den beiden Hauptgruppen (Gewohnheitsverbrecher).
Vierzig Prozent aller Verbrecher gehört zu den ge-
borenen Verbrechern mit ihren Ab- und Unterarten;
sie sind in besondern Anstalten lebenslänglich einzu-
sperren; andern gegenüber soll Geldstrafe oder auch
wohl einmal körperliche Züchtigung an die Stelle
der ersten Gefängnisstrafe treten. Eine bedeutsame
Stelle nimmt die Lehre von den Straffurrogaten
ein, wie z. B. die Erleichterung der Ehescheidung
statt der Bestrafung des Ehebruchs, und die Pro-
phylare des Verbrechens. Ausgehend von der
Wahrnehmung der geringen Wirksamkeit der gel-
tenden Strafgesetze erstreckt sich die Forschung der
K. auf den Einfluß, welchen Bevölkerung, Gewerbe,
Alkoholgenuß, Klima, Witterung, Jahreszeiten,
Finanzlage, Politik auf die Kriminalität haben
mögen, und es werden Vorschläge zur Verhütung
der Verbrechen gemacht: durch administrative Maß-
regeln zur Bekämpfung der Trunksucht, zur Über-
wachung der Prostitution und zur Behandlung der
Jugendlichen. (S. auch Gerichtliche Psychologie und
Internationale kriminalistische Vereinigung.)
Vgl. Bär, Der Verbrecher in anthropolog. Be-
ziehung (Lpz. 1893); Kurella, Naturgeschichte des
Verbrechers (Stuttg. 1893); Naecke, Verbrechen und
Wahnsinn beim Weibe (Wien 1894); Koch, Die Frage
nach dem geborenen Verbrecher (Ravensb. 1894).
Kriminalgericht, soviel wie Strafgericht, s. Ge-
richt. l(S. Civilisten.)
Kriminalist, Kenner, Lehrer des Strafrechts.
Kriminalistische Vereinigung, s.Internatio-
nale kriminalistische Vereinigung.
Kriminalität (neulat.), s. Kriminalstatistik.
Kriminalpolizei, die Polizei, insoweit ihre
Thätigkeit darauf gerichtet ist, die Begehung
strafbarer Handlungen zu verhüten und nach be-
gangener That die Ausübung der Strafgerichts-
barkeit durch Ermittelung von Spuren des Ver-
brechens, Sicherung der Beweise, Ermittelung und
Ergreifung des Thäters zu unterstützen.
Kriminalprozeß, s. Strafprozeh. ^logie.
Kriminalpsychologie, s. Gerichtliche Psycho-
Kriminalrecht, s. Strafrecht. fticht.
Kriminalrichter, soviel wie Strafrichter, s. Ge-
Kriminalfociologie,dicwissenschaftlicheUnter-
suchung des Verbrechens als einer eigenartigen Er-
scheinung des gesellschaftlichen Lebens und die dar-
auf gestutzte Klarlegung der socialen Bedingungen
des Verbrechens (s. auch Kriminalanthropologie).
Kriminalftatistik, eine Abteilung der Iustiz-
statistik, liefert den ziffermäßigen Nachweis der in
bestimmten Zeiträumen hervorgetretenen Erschei-
nungen der Strafrechtspflege (der Kriminalität),
beruhend auf den bei den Gerichten oder der Staats-
anwaltschaft geführten Registern, deren Verarbei-
tung entweder in Justizministerien oder in statist.
Bureaus erfolgt. Im weitesten Umfange begreift die
K. die Strafprozeßstatistik (Freisprechungen,
Verurteilungen, Untersuchungen, Rechtsmittel), die
Verbrechens- und Strafstatistikim engern Snnve
(richterlich erkannte Strafen, Charakter und Motive
des Verbrechens, Personalien der Angeklagten
u.s.w.)und dieGefängnisstatistik als Nachweis
Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.