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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Lebensversicherung

und dem Bericht des Agenten, will der Versicherer von dem Bewerber sich ein Bild machen; sein ärztlicher Beirat soll einzig und allein auf Grund der hierin mitgeteilten Thatsachen die Größe der vom Versicherer zu übernehmenden Gefahr nach der wahrscheinlichen Lebenserwartung bemessen. Es ist ohne weiteres klar, daß jede Möglichkeit der Abmessung des Risikos aufhört, wenn diese Thatsachen gefälscht sind. Die Vertreter der Unanfechtbarkeit wollen den Vertrag auch dann erfüllen, wenn der Versicherte im Lauf der Versicherung durch Willkürhandlungen sein Leben verkürzt, die Fälligkeit der Leistung des Versicherers zu einem frühern als dem erwartungsmäßigen Zeitpunkte herbeiführt (z. B. durch Trunksucht, Duell, Verbrechen, welche lebenverkürzende Todes- oder Freiheitsstrafe zur Folge haben, endlich durch Selbstmord).

Durch Unterschrift des Antrags unterwirft sich der Bewerber den bei der Gesellschaft geltenden Versicherungsbedingungen. Diese enthalten für beide Teile die Richtschnur ihres Verhaltens während der Dauer des Vertrags, z. B. über Prämienzahlung, Versäumung und Stundung derselben, das Verfahren bei Verlust, Verpfändung, Cession der Police, Aufhebung des Vertrags u. s. w. Bei Erreichung eines bestimmten hohen Alters (meist 90 oder 85 Jahre) wird in der Regel die Versicherungssumme dem Versicherten selbst ausbezahlt. Zur Geltendmachung des Anspruchs auf Zahlung einer Todesfallversicherungssumme bedarf es außer der Sterbeurkunde und dem Arztbericht des Nachweises, daß die Police durch rechtzeitige Prämienzahlung in Kraft ist (Prämienquittungen). Die Auszahlung erfolgt gegen Rückgabe der Police; sie kann verweigert werden, wenn die Voraussetzungen für den Abschluß des Vertrags falsch, die Antworten des Antragstellers auf die Fragen des Versicherers in wesentlichen Punkten wissentlich unwahr gewesen sind, besonders was die Ableugnung eigener dem Versicherten bekannter chronischer Leiden, die Verschweigung der Ablehnung bei andern Gesellschaften betrifft; ferner wenn der Versicherte willkürlich sein Leben verkürzt hat. Endet der Versicherte durch Selbstmord, so pflegt die Zahlung der Versicherungssumme, abgesehen von Gesellschaften mit unanfechtbaren Verträgen, nur dann verweigert zu werden, wenn der Versicherte in willensfreiem, nicht geistesgestörtem Zustande Hand an sich legte.

Bei Versicherungen auf den Lebensfall ist zu allen Ansprüchen an die Gesellschaft der Nachweis des Eintritts der Umstände nötig, von denen policemäßig die Zahlung abhängig gemacht wurde. Aussteuerkassen, in der Regel mit Lebensversicherungsanstalten verbundene Einrichtungen, gewähren ihren Teilnehmern gegen einmalige oder jährliche Beiträge bei Eintritt eines bestimmten Jahres, bei Erreichung der Volljährigkeit, zur Verheiratung, beim Beginn eines selbständigen Geschäfts u. s. w. ein gewisses Kapital. Die jährlichen Beiträge sind bis zur Fälligkeit des Kapitals oder bis zum Todestage des Teilnehmers fortzuzahlen. Die Aussteuerversicherung ist eine Erlebensversicherung; gewöhnlich ist dabei die Einrichtung getroffen, daß gegen eine kleine Prämienerhöhung (auch Gegenversicherung genannt) die Prämien – ohne Zinsen – zurückgezahlt werden, falls der Versicherte vor Erreichung des für die Fälligkeit des Kapitals bestimmten Termins stirbt. Außer der einfachen Kinderaussteuer, bei der dies üblich, besteht bei einzelnen Gesellschaften noch Gelegenheit zur Kinderversorgung nach dem System der Tontinen oder der gegenseitigen Beerbung in Altersklassen (Associationen). Hier ist ein Kapital von bestimmter Höhe nicht zugesichert und es bilden alle Beigetretenen, welche in demselben Jahre geboren sind, eine Jahresgesellschaft, welcher die eigenen und die Beiträge der Absterbenden oder mindestens die Zinsen der letztern zufallen. In diesem Falle wird, sobald der Zahlungstermin der Aussteuer eingetreten ist, das vorhandene Kapital nebst Zinsen, abzüglich der Verwaltungskosten, auf die Teilhaber verteilt.

Eine in Deutschland angesichts der gesetzlich bestehenden allgemeinen Wehrpflicht wichtige Abart der Aussteuerversicherung, die Militärdienstversicherung, ist bestimmt, jungen Leuten für den Fall der Ableistung der Dienstpflicht ein Kapital zu sichern. Diesem Sonderzwecke dient seit einigen Jahren die Militärdienstversicherungsanstalt in Hannover.

Die Statistik ist, von Deutschland, der Schweiz und etwa Österreich-Ungarn abgesehen, sehr unzuverlässig. Ende 1890 waren für L. im engern Sinne bei 35 deutschen Anstalten 880252 Verträge über 3662,641 Mill. M., bei 18 österr. Gesellschaften 421093 Verträge über rund 1175 Mill. M. in Geltung, Ende 1889 bei 7 schweiz. Anstalten 55926 Verträge über rund 212 Mill. M. Bei den 18 größern franz. Gesellschaften betrug Ende 1890 die Versicherungssumme rund 2562 Mill. M., bei 83 englischen etwa 8600 Mill. M., bei den im Staate Neuyork zum Geschäftsbetriebe zugelassenen meist amerik. Anstalten endlich sollen sich Ende 1889: 1139894 L. über rund 12500 Mill. M., daneben noch 3276965 sog. Arbeiterversicherungen über 1425 Mill. M. in Kraft befunden haben. Schon diese Ziffern geben trotz ihrer Unvollständigkeit ein Bild von der Bedeutung der L. im Wirtschaftsleben der Kulturvölker. Die Tabelle auf S. 1038 u. 1039 giebt den Geschäftsumfang von 38 deutschen Anstalten zu Ende des J. 1892.

Aus der umfangreichen Litteratur über L. seien genannt: Ph. Fischer, Grundzüge des auf menschliche Sterblichkeit gegründeten Versicherungswesens (Oppenheim 1860; unvollendet); Geyer, Die L. in Deutschland und ihre gesetzliche Regelung (Lpz. 1878); Elster, Die L. in Deutschland (Jena 1880); Karup, Handbuch der L. (2. Aufl., Lpz. 1885); Schönbergs Handbuch der polit. Ökonomie, Bd. 2 (3. Aufl. Tüb. 1891); Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 4 (Jena 1892); Lefort, Les assurances sur la vie et la cour de cassation en 1891 (Lyon 1892); Zustand und Fortschritte der deutschen Lebensversicherungsanstalten im J. 1891, in den «Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik», Supplement 21 (Jena 1893); Krickl, Die österr. Assekuranz-Gesellschaften im J. 1891, in der «Statistischen Monatsschrift» 1893 (Wien 1893); Honig, Die österr.-ungar. Lebensversicherungsgesellschaften im J. 1892 (ebd. 1893); Israel, Die deutschen Lebens- und Unfallversicherungsgesellschaften, 2. Jahrg. (ebd. 1893); ferner finden sich Angaben über die Bewegung des Lebensversicherungsgeschäftes in Österreich-Ungarn, Frankreich und England im «Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen» (21. Jahrg., Berl. 1893, Nr. 5‒7), und in der «Zeitschrift für Versicherungswesen» (17. Jahrg., ebd. 1893, Nr. 37).