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Muratori – Murawjew (Bojarenfamilie)
zerstreute seine Schiffe; mit nur 26 Soldaten stieg er 8. Okt. bei Pizzo ans Land, wurde aber bald gefangen genommen und 13. Okt. 1815 erschossen; – Vgl. Colletta, Histoire des six derniers mois de la vie de Joachim M. (Par. 1821); Franceschetti, Mémoires sur les événements qui ont précéde la mort de Joachim Ⅰ (ebd. 1826); Gallois, Histoire de Joachim M. (ebd. 1828); de La Rocca, Le roi M. et ses derniers jours (ebd. 1868); Helfert, Joachim M. Seine letzten Kämpfe und sein Ende (Wien 1878); G. Romano, Ricordi Murattiani (Pavia 1890); de Sassenaye, Les derniers mois de M. (Par. 1896).
Seine Witwe Annunciata (Karoline), geb. 25. März 1782 in Ajaccio, lebte fortan unter dem Titel einer Gräfin von Lipona auf der Villa Campo Marzo bei Triest und starb 18. Mai 1839 zu Florenz. M. hinterließ zwei Söhne und zwei Töchter.
Sein ältester Sohn, Napoléon Achille M., geb. 21. Jan. 1801, ging 1821 nach den Vereinigten Staaten von Amerika, heiratete hier Karoline Dudley, eine Großnichte Washingtons, war während der belg. Revolution Offizier in belg. Diensten, kehrte dann nach Amerika zurück und starb 15. April 1847 auf seinem Gute in Florida.
Napoléon Lucien M., Prinz von Ponte-Corvo, zweiter Sohn des Königs von Neapel, geb. 16. Mai 1803 zu Mailand, ging ebenfalls nach den Vereinigten Staaten und heiratete 1831 Karoline Georgine Fraser, mit der er eine Mädchenerziehungsanstalt errichtete. Nach der Februarrevolution begab er sich 1848 nach Frankreich, wurde 1849 franz. Gesandter in Turin, 1852 Senator und erhielt von Napoleon Ⅲ. den Titel Hoheit für sich und seine Familie. Er starb 10. April 1878 zu Paris und hinterließ zwei Söhne und drei Töchter, von denen der älteste Sohn, Joachim M., geb. 21. Juli 1834, das gegenwärtige Haupt der Familie ist.
Muratōri, Lodovico Antonio, ital. Gelehrter, geb. 21. Okt. 1672 zu Vignola bei Modena, ward bereits 1694 Doktor des Ambrosianischen Kollegiums zu Mailand und Präfekt der damit verbundenen Bibliothek, war seit 1700 Bibliothekar des Herzogs von Modena, wurde Propst von Sta. Maria della Pomposa und starb 23. Jan. 1750. Unter seinen zahlreichen Arbeiten, die sich fast auf alle Gebiete des Wissens erstrecken und durch die er namentlich zum Vater der innern ital. Geschichtsforschung wurde, sind hervorzuheben: «Anecdota» (4 Bde., Mailand; dann Padua 1697‒1713), «Anecdota Graeca» (Padua 1709), «Rerum Italicarum scriptores» (25 Bde., Mail. 1723‒51), «Antiquitates Italicae medii aevi» (6 Bde., ebd. 1738‒42), «Annali d’Italia» (12 Bde., ebd. 1744‒49; deutsch, 9 Bde., Lpz. 1745‒49), «Della perfetta poesia italiana» (2 Bde., Vened. 1724 u. ö.; 4 Bde., Mail. 1821), «Novus thesaurus veterum inscriptionum» (4 Bde., Mail. 1739‒42). Briefe von ihm an Scotti, Contarelli di Correggio, Leibniz wurden neuerdings herausgegeben. – Vgl. Troya, Studi intorno agli Annali d’Italia del M. (2 Bde., Neap. 1877).
Muratorisches Fragment (Canon Muratorii), eins der ältesten Verzeichnisse neutestamentlicher Schriften in bruchstückartigem, vielfach verderbtem lat. Texte zuerst von Muratori (s. d.) im dritten Bande seiner «Antiquitates Italicae» herausgegeben. Es stammt wahrscheinlich aus dem letzten Drittel des 2. Jahrh. n. Chr. und ist für die Geschichte des neutestamentlichen Kanons von großer Bedeutung. Der Anfang, der von den Evangelien des Matthäus und des Markus handelt, ist bis auf wenige Worte verloren gegangen. Außer den Evangelien und der Apostelgeschichte werden 13 Paulinische Briefe aufgeführt. Als unecht und ketzerisch werden die Briefe an die Laodiceer und an die Alexandriner bezeichnet. Außerdem werden als in der kath. Kirche anerkannte Schriften noch der Brief des Judas, zwei Briefe des Johannes, die Weisheit Salomos, die Apokalypse des Johannes und die (jetzt teilweise wieder entdeckte) Apokalypse des Petrus aufgezählt, wogegen dem Hirten des Hermas (s. d.) die Geltung als prophetische Schrift und kirchliches Lesebuch abgesprochen, die von gnostischen Verfassern herrührende pseudonyme Litteratur grundsätzlich verworfen wird. Nach einigen ist der lat. Text Übersetzung eines griech. Originals. Um die Herausgabe und Erklärung des Textes haben sich F. und K. Wieseler, Credner, von Gilse, Hertz, Volkmar, Hilgenfeld, Overbeck und Hesse verdient gemacht. – Vgl. Hesse, Das M. F. neu untersucht und erklärt (Gieß. 1873); Kühn, Das M. F. über die Bücher des Neuen Testaments (Zür. 1892).
Murau. 1) Bezirkshauptmannschaft im österr. Kronlande Steiermark, hat 1385,18 qkm und (1890) 26735 (13296 männl., 13439 weibl.) E. in 46 Gemeinden mit 77 Ortschaften und umfaßt die Gerichtsbezirke M., Neumarkt und Ober-Wölz. – 2) Stadt und Sitz der Bezirkshauptmannschaft sowie eines Bezirksgerichts (738,22 qkm, 11364 E.), an der Mur, in einem Gebirgsthale, hat (1890) 1005, als Gemeinde 1293 E., Schloß und Gut des Fürsten Schwarzenberg mit Brauneisensteinlagern, und bedeutende Eisenindustrie. M. ist das alte Imurio.
Murawjew (spr. -jóff), ehemals souveräne Bojarenfamilie, die, ursprünglich im Großfürstentum Moskau ansässig, 1488 durch Iwan Wassiljewitsch Ⅰ. Ländereien im Nowgorodischen erhielt.
Nikolaj Nikolajewitsch M., geb. 1768 zu Riga, diente einige Zeit in der Marine und im Landheer, gründete dann auf seinem Gute bei Moskau eine Privatlehranstalt für Offiziere (die sog. Schule der Kolonnenführer), aus der mehrere ausgezeichnete russ. Generale hervorgingen. Die Feldzüge 1812‒14 machte M. als Oberst und Stabschef des Grafen Tolstoj mit, schloß die Kapitulation von Dresden ab und nahm hierauf an der Belagerung von Hamburg teil. Nach dem Frieden kehrte er zu seiner Militärakademie zurück, die 1816 Staatsanstalt wurde. Er leitete sie bis 1823 und widmete sich dann der Landwirtschaft. M. starb 1. Sept. 1840 zu Moskau.
Sein ältester Sohn, Alexander M., geb. 1792, wurde als Oberst wegen Teilnahme an der Verschwörung von 1825 nach Sibirien verbannt, aber später zurückgerufen. Beim Ausbruch des Krieges von 1853 nahm er wieder Dienste, ward 1856 Gouverneur von Nishnij Nowgorod und starb 1869 als Generallieutenant und Senator zu Moskau.
Der zweite Sohn, Nikolaj M., geb. 1793 zu Petersburg, trat 1810 in die Armee, focht in den Feldzügen 1812‒15 und im Kaukasus und erhielt 1819 eine Mission nach Chiwa. Er zeichnete sich dann im Russisch-Türkischen Kriege 1828‒29 und 1831 im Feldzuge gegen Polen aus, wo er den Sieg bei Kazimierz entschied und an der Erstürmung von Warschau teilnahm. Ende 1832 ging er als außerordentlicher Bevollmächtigter Rußlands nach Ägypten, um Mehemed Ali zum Friedensschluß zu bestimmen, befehligte die am Bosporus gelandeten russ. Truppen und ward 1835 Befehlshaber des