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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Napoleon I.

dem Namen eines Herzogtums Warschau dem König von Sachsen zu. Infolge der erst neuerdings veröffentlichten Abmachungen von Tilsit, bei denen auch eine Teilung der europ. Türkei ins Auge gefaßt wurde, gab N. dem Kaiser Alexander I. Schweden preis, während sich dieser dem Kampfe gegen England anschloß und zustimmte, daß auch andere Staaten zur Teilnahme gezwungen würden. Zunächst kam Portugal an die Reihe. Der Pariser "Moniteur" vom 13. Nov. verkündigte die Absetzung der Dynastie Bragança, weil diese immer zu England gehalten habe, und franz. Truppen besetzten das Land. Dann mußte der König von Etrurien (Toscana) abdanken (10. Dez. 1807), und sein Königreich ward dem franz. Kaisertum einverleibt. Endlich gab ein Familienzwist im span. Königshause auch hier den Vorwand zur Einmischung. König Karl IV. und sein Sohn Ferdinand VII. wurden beide genötigt, auf die span. Krone zu verzichten (5. und 10. Mai 1808), und N. setzte seinen Bruder Joseph zum König von Spanien und Indien ein und gab dessen bisheriges Königreich Neapel an Joachim Murat; das dadurch erledigte Großherzogtum Berg kam unter franz. Verwaltung. Aber nun begann sofort auf der Pyrenäischen Halbinsel der nationale Freiheitskrieg gegen den fremden Usurpator (s. Französisch-Spanisch-Portugiesischer Krieg von 1807 bis 1814) und wurde von England kräftig unterstützt, so daß ein großer Teil der franz. Armee dort beschäftigt blieb. Um selbst mit Macht eingreifen und die widerstrebende Nation zur Ordnung bringen zu können, sicherte sich N. gegen Osten, indem er 27. Sept. 1808 auf einem Kongreß zu Erfurt mit Kaiser Alexander I. zusammentraf, wo das in Tilsit begründete Einverständnis zwischen beiden Mächten unter Anwesenheit einer großen Zahl von deutschen Fürsten bestätigt wurde.

Unmittelbar darauf (Ende Okt. 1808) ging N. nach Spanien, und es gelang ihm, für den Augenblick die nationale Erhebung niederzuschlagen. Auf die Nachricht von großen Rüstungen Österreichs kehrte er aber 23. Jan. 1809 nach Paris zurück, und als die Österreicher 9. April den Krieg erklärten und den Inn überschritten, begab sich N. auf den Kriegsschauplatz und trieb die Österreicher in fünftägigen Kämpfen nach Böhmen zurück; 13. Mai zog er in Wien ein. Hier erfolgte das Dekret vom 17. Mai, das den Kirchenstaat vollends dem franz. Kaisertum einverleibte; Papst Pius VII. wurde gefangen nach Frankreich abgeführt. Als aber N. versuchte, die Donau zu überschreiten (s. Französisch-Österreichischer Krieg von 1809), um das österr. Heer auf dem Marchfelde anzugreifen, erlitt er 21. und 22. Mai die erste Niederlage in der blutigen Schlacht bei Aspern und Eßling (s. d.); nur mit Mühe brachte er seine Armee auf das südl. Stromufer zurück. Nach seiner Vereinigung mit dem Vicekönig Eugen ging er aber wieder über die Donau und erfocht nun 5. und 6. Juli den entscheidenden Sieg bei Wagram (s. d.), worauf 12. Juli der Waffenstillstand von Znaim unterzeichnet wurde. Im Frieden zu Schönbrunn 14. Okt. mußte Österreich 110000 qkm abtreten. Mitten im Siegesglück ward das Leben N.s zu Schönbrunn durch Friedrich Staps (s. d.) 12. Okt. bedroht; doch wurde dies Attentat vereitelt.

Dem Schönbrunner Frieden folgte ein kurzer Zeitraum der Ruhe, wo N. auf dem Gipfel seiner Macht und seines Glücks stand. Nur auf der Pyrenäischen Halbinsel dauerte der Kampf unausgesetzt fort. Um die Zukunft seines Reichs und seiner Dynastie zu sichern, ließ der Kaiser durch Senatsbeschluß vom 16. Dez. 1809 sich von seiner kinderlosen Gemahlin Josephine scheiden. Kaiser Franz von Österreich bewilligte ihm die Hand seiner Tochter, der Erzherzogin Maria Louise (s. d.); die Vermählung fand 1. April 1810 in Paris statt. Dem Sohne, der 20. März 1811 aus dieser Ehe geboren ward, verlieh N. den Titel eines Königs von Rom (s. Reichstadt, Herzog von). Als der König von Holland, Ludwig Bonaparte, nach vielen Reibungen mit N. seine Krone niederlegte, wurde Holland 9. Juli 1810 dem Kaisertum einverleibt. Ein gleiches Schicksal betraf die Republik Wallis 12. Nov. und die Hansestädte Hamburg, Bremen, Lübeck, Oldenburg und einen Teil von Hannover 13. Dez. 1810 (22. Jan. 1811). So reichte das franz. Kaiserreich von der Nordsee bis jenseit des Tiber und vom Atlantischen Meere bis an die Ostsee und zählte 130 Departements. (S. Historische Karten von Europa II, 7.) Paris war die erste, Rom die zweite, Amsterdam die dritte Stadt des Reichs. Die letzten Annexionen Hollands und der Nordseeküsten hatte N. mit der Notwendigkeit einer strengern Handhabung des Kontinentalsystems zu rechtfertigen gesucht; auch an die verbündeten Staaten wurden in dieser Hinsicht immer strengere Anforderungen gestellt. Darüber kam es am Ende zu Zwistigkeiten mit Rußland. Kaiser Alexander I. verweigerte eine weitere Verschärfung der Kontinentalsperre. N. glaubte jetzt die Zeit gekommen, auch den letzten ebenbürtigen Gegner auf dem Kontinent niederzuwerfen, und entbot seine Vasallen und Bundesgenossen zur Heeresfolge gegen Rußland; auch Preußen und Österreich mußten dazu Hilfstruppen stellen. Er reiste 9. Mai 1812 von Paris nach Deutschland ab, und nachdem er in Dresden nochmals die deutschen Könige und Fürsten um sich versammelt hatte, stellte er sich an die Spitze der großen Armee, die an der Weichsel zusammengezogen war und etwa ½ Mill. Soldaten zählte. N. überschritt 24. Juni den Niemen, vertrieb die Russen aus Smolensk 17. Aug. und schlug sie 7. Sept. bei Borodino an der Moskwa. Dann zog er 14. Sept. siegreich in Moskau ein, wo er den Frieden diktieren zu können hoffte. Doch der Brand der Stadt und die Festigkeit Alexanders I. vereitelten alle Hoffnungen. Nachdem N. noch einen ganzen Monat mit nutzlosen Friedensunterhandlungen hingebracht hatte, entschloß er sich, sein durch Marodage, Kämpfe und Entbehrungen bereits sehr gelichtetes Heer zurückzuführen. Aber die furchtbaren Anstrengungen und Entbehrungen auf dem Rückzuge vollendeten die Auflösung der Großen Armee, von der nur geringe Überreste in die Heimat zurückkehrten. (S. Russisch-Deutsch-Französischer Krieg von 1812 bis 1815.) Mitten auf diesem Rückzuge erhielt N. die Nachricht von der Verschwörung des Generals Malet (s. d.). Er übergab 5. Dez. den Oberbefehl an Murat und eilte im strengsten Inkognito mit nur wenigen Begleitern nach Paris zurück, wo er 18. Dez. eintraf.

Während die Russen nach Polen und Deutschland vordrangen und Preußen sich erhob, um die franz. Fremdherrschaft abzuschütteln, war N. mit großartigen Aushebungen und Rüstungen beschäftigt und stellte zum Frühjahr 1813 eine neue zahlreiche Armee ins Feld. Er ging 15. April von Paris nach Mainz, übernahm den Oberbefehl und besiegte die vereinigten preuß.-russ. Heere 2. Mai bei Großgörschen (s. Lützen), 20. und 21. Mai bei Bautzen