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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Nordamerikanische Litteratur

gebildet worden. In dieser Form haben die geistvollsten der jetzt lebenden Prosaiker Amerikas mit Vorliebe ihre Gedanken popularisiert. Hier macht sich auch der Einfluß deutscher Philosophie bis zu den jüngsten Ausläufern der Hegelschen Schule herab und der deutschen klassischen Dichtkunst sehr bemerkbar. Ralph Waldo Emerson, der von Geist und Witz übersprudelnde Oliver Wendell Holmes ("The autocrat of the breakfast table") und Henry D. Thoreau, der an zarter Sinnigkeit, an Durchdringung des Naturlebens mit edler menschenfreundlicher Empfindung und an Schärfe der Beobachtung unerreicht dasteht, ragen hier vor allen hervor. Um sie gruppiert sich eine große Menge Schriftsteller, die einen litterar. Sammelpunkt in dem zu Boston erscheinenden "Atlantic Monthly" gefunden haben. Ein etwas leichteres Genre derselben Specialität wird durch eine Zahl von Schriftstellern vertreten, die durch ihren lebendigen, anmutigen, zuweilen fast prickelnden Stil eher an franz. als an deutsche Art erinnern, wie W. G. Curtis, Howells, B. Taylor, F. S. Cozzens, Donald Mitchel^[korrekt: Mitchell] (I.^[nur Initialen, meistens: IK] Maroel^[korrekt: Marvel]) u. a.

In den weitesten Kreisen bekannt geworden sind die Historiker George Bancroft, William H. Prescott, John L. Motley und Francis Parkman. Alle vier zeichnen sich durch gründliches Quellenstudium, scharfe Sichtung, plastische Darstellung und sorgfältige Entwirrung psychol. Probleme aus. Richard Hildreth und James Schouler haben vortreffliche allgemeine Geschichten der ersten 30 Jahre der Republik geschrieben. In neuester Zeit haben John Fiske durch umfangreiche Monographien und Justin Winsor durch seine groß angelegte und mit vielen Mitarbeitern zu Ende geführte "Narrative and critical history of America" (8 Bde., Boston 1884-89) die amerik. Geschichtsforschung sehr gefördert. Unter den zahlreichen Geschichten einzelner Staaten oder Landesteile ragen als besonders wertvoll die Werke von John G. Palfrey, John R. Brodhead, Timothy Flint, Horace E. Scudder, Henry C. Lodge, J. E.^[John Esten] Cooke, W. Barrows, N. S. Shaler, W. H. Browne, J.^[Josiah] Royce, A. Johnston u. s. w. hervor. Die Geschichte der Urbewohner Nordamerikas haben mit großem Forscherfleiß S. G. Drake, F. L. McKenney und James Hall, George Catlin, W. L. Stone, L. H. Morgan und besonders Henry Rowe Schoolcraft (1793-1864) behandelt. Über den Bürgerkrieg schrieben Frank Moore, Horace Greely, Alex. H. Stephens, John W. Draper, Wilson, während General Sherman, Lieutenantgeneral Scott, General Grant u. a. ihre Memoiren herausgaben; ein wertvolles Werk über die Geschichte der amerik. Sklaverei schrieb Henry Wilson. Die allgemeine Weltgeschichte hat keine Bearbeitung gefunden, die sich über das Niveau der Kompilation erhebt; doch sind außer den Werken Motleys, Prescotts, Francis Parkmans, John F. Kirks wertvolle Beiträge zur Einzelgeschichte Europas veröffentlicht worden. B. Mayer und Hubert H. Bancroft sind häufig citierte Autoritäten über die Geschichte Mexikos und der pacifischen Staaten. Noch sind zu nennen die Werke von Parke Godwin (Frankreich), B. Taylor (Deutschland), H. Wheaton (Normannen), Phil. Schaff (apostolische Kirche), H. H. Milman (Juden) u. a. Die amerik. Litteraturgeschichte ist von R. W. Griswold, Tuckerman, J. S.^[John Seely] Hart, C. D. Cleveland, E. A. und G. L. Duyckinck, S. A. Allibone, Moses Coit Tyler, E. C. Stedman, Chas. F. Richardson, A. H. Welsh, E. P. Whipple u. a. behandelt worden. Unter den Biographen sind vorzugsweise Washington Irving, Jared Sparks, Geo. W. Greene, Josiah Quincy, G. Tucker, H. S. Randall, Chas. F. Adams, W. C. Rives, J. C.^[John Church] Hamilton, Parton, J. T.^[John Torrey] Morse, H. C. Lodge, H. Adams, Th. Roosevelt, Karl Schurz, M. C. Tyler, E. M. Shepard, Sanborn, Lounsbury, Higginson, Woodberry, McMaster, J.^[John, 1817-1911] Bigelow u. a. zu nennen. Als bedeutendste Leistung Amerikas auf dem Gebiete der Litteraturgeschichte kann die "History of Spanish literature" von George Ticknor (3 Bde., Neuyork 1849 u. ö.) gelten.

Auf dem Gebiet der Dichtung in Prosa steht Washington Irving (1783-1859) obenan. Sein "Knickerbocker’s History of New York" (1809) hat den Ufern des Hudsonstroms einen poet. Reiz verliehen. Die Zartheit und Sinnigkeit seiner Konzeption, die naive Schalkhaftigkeit der von ihm gezeichneten Figuren aus der holländ. Zeit sichern dem Werke einen bleibenden Wert. Sein "Sketch-book" gilt der hübschen Schilderungen und der anmutigen Sprache wegen auch heute noch als Meisterwerk. Von den Zeitgenossen Irvings verdienen Erwähnung: James K. Paulding (1778-1860), dessen bestes Werk "The Dutchman’s fireside" (1831) ist, Joseph R. Drake (1795-1820) und Fritz-Greene Halleck (1790-1867). James F. Cooper ward durch seine, den Widerstreit zwischen der eindringenden europ. Kultur und dem Naturzustande der Indianer schildernden Romane das Urbild für zahllose Nachahmer; Frl. Catherine M. Sedgwick und Wm. G. Simms, der mit Vorliebe die südl. Staaten zum Schauplatz seiner Dichtungen wählt, gehören zu den bessern. Diese ganze Schule überflügelte Nathaniel Hawthorne durch Gewalt der Sprache und Phantasie, durch Eleganz und Reinheit seines Stils, durch die Zartheit seiner Darstellungen seelischer Zustände und durch Kraft und Schärfe in seinen Schilderungen der Schattenseiten des Lebens. Sein "Scarlet letter" (1850) wird oft schlechthin als das beste Werk der gesamten amerik. Litteratur angeführt. An Bedeutung steht Hawthorne nahe Edgar Allan Poe, der Meister der düstern, unheimlichen und sensationellen Novelle. Von den Novellistinnen ist Harriet Beecher Stowe die populärste; sie hat jedoch mit keinem ihrer zahlreichen Romane einen so beispiellosen Erfolg erreicht wie durch "Uncle Tom’s cabin". Nach 1861 thaten sich besonders hervor: Cincinnatus Hiner Miller, Francis Bret Harte, der dem Kulturroman durch seine poet. Verklärung der kaliforn. Anfänge ein neues Feld eroberte. Durch feinen Humor und glänzende Darstellungsweise zeichnet sich gegenwärtig vor allem Howells aus. Von dem 1861 in der ersten Schlacht des Bürgerkrieges gefallenen Theodore Winthrop sind später die trefflichen Novellen erschienen: "Cecil Dreeme", "John Brent" nud^[korrekt: und] "Edwin Brothertoft". Das Pionierleben in den Vorposten der westl. Civilisation hat Edward Eggleston in seinen Novellen ("The hoosier schoolmaster", "The end of the world", "The mystery of Metropolisville", "The circuit rider") beschrieben, während Henry James jun. ("Roderick Hudson", "The American", "Watch and ward", "The portrait of a lady" eine Gleichgültigkeit in der Lokalfärbung zeigt, die ihm viele Vorwürfe eingebracht hat. Durch kurze Erzählungen ("Men, women and ghosts", 1869) hat sich Elizabeth Stuart Phelps einen Namen gemacht. Ihre Novellen erinnern hier und da