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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ostindien (Vorderindien)

nischer Entwicklung gelangt. Die Schuld hieran tragen teils das wiederholte Eindringen fremder mongol., hauptsächlich aber moslem. Völker und das von diesen den Hindu während vieler Jahrhunderte aufgelegte Zwangsjoch sowie die hierdurch häufig zerrütteten innern Verhältnisse, teils die, die Stabilität der geistigen Kultur so sehr begünstigende Landesreligion und die durch diese geheiligte Kasteneinteilung. Über die neuesten reformatorischen Bestrebungen s. Hindubewegung. Aber ungeachtet aller Einwirkung fremder religiöser und civilisatorischer Kulturelemente, wie früher des mohammedanischen, seit dem 17. Jahrh. aber des christlich-europäischen, hat sich die uralte specifisch ind. Kultur zu erhalten gewußt, wenngleich mit Bezug auf Poesie, Skulptur und Architektur sowie auch hinsichtlich mehrerer Zweige der Industrie die Leistungen weit hinter die des Altertums zurücktreten. (S. Indische Kunst, Indische Litteratur, Indische Philosophie.)

Erwerbszweige. Der Ackerbau bildete seit ältester Zeit die Hauptbeschäftigung der Bewohner; gegenwärtig bethätigen sich an demselben 171 Mill. Menschen, in einigen Gegenden bis vier Fünftel der Gesamtbevölkerung, die Mohammedaner nicht ausgenommen. Der Boden ist überall, wo eine genügende Bewässerung stattfindet, überaus fruchtbar. Durch Errichtung besonderer Behörden und von Ackerbauschulen, Einführung neuer Kulturen und Methoden durch die Regierung sind Fortschritte erzielt worden. Eine Übersicht über die Anbauflächen (1893-94, in 1000 ha) der wichtigsten Erzeugnisse giebt folgende Tabelle:

Provinzen Reis Weizen Andere Cerealien Zuckerrohr Thee Baumwolle Ölssaat Indigo Tabak

Bengalen 15471 656 4713 439 45 81 1318 249 296

Nordwestprovinzen 2039 1457 7108 430 3 513 361 141 28

Oudh 1186 526 2633 106 - 19 105 6 7

Pandschab 331 3362 5155 133 4 361 480 41 28

Unterbirma 2099 - 11 4 - 4 12 - 13

Oberbirma 492 8 407 1 - 56 161 - 9

Centralprovinzen 1364 1593 2264 15 - 293 1043 - 9

Assam 535 - 27 7 105 1 80 - -

Adschmir - 15 131 - - 26 18 - -

Kurg 31 - 1 - - - - - -

Madras 2718 8 6006 57 2 698 762 179 51

Bombay 980 996 7093 35 - 1291 951 5 40

Berar 15 376 1134 2 - 885 304 - 8

Pargana Manpur - 1 1 - - 1 - -

^[Additionslinie]

Zusammen 27261 8998 36684 1229 159 4228 5596 621 489

Kaffee wird in Madras und Kurg gebaut (5558 ha). Von der Gesamtfläche von 80 Mill. ha geben 11,4 Mill. zweimal Ernte im Jahr. Besonders wertvoll für 'die Hebung der Landwirtschaft sind die großen Anlagen für künstliche Bewässerung, die 1891-92 besonders durch den Gangeskanal, Sirhindkanal im Pandschab und die Systeme der Kaweri, des Kistna und der Godawari in Madras auf 3,7 Mill. ha. ausgedehnt war. Im N. giebt es nur Latifundien und Pachtsysteme, in Mittel- und Südindien nur kleinen Grundbesitz. In Madras sind beide Arten gemischt. Forstwirtschaft und zwar unter deutscher Oberleitung besteht namentlich in Birma, den Centralprovinzen und in Bombay; im ganzen sind 1891-92: 162351 qkm vom Staat reserviert. Nirgends, außer in China, haben Hungersnöte so furchtbar gewütet wie in O., z. B. 1865-66, 1868-69 und 1876-78. Auch die Viehzucht beschäftigt einen großen Teil der Bevölkerung. Wichtig ist besonders die des Schafs und des Rindes. Die Schafe der Ebene liefern die gröbern, die der Berggegenden, namentlich des Himalaja, die feinern Sorten Wolle.

Der Bergbau nimmt dagegen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung in Anspruch. Doch gewinnt man, abgesehen von etwas Waschgold und Silber, Eisen im Dekan, in Birma, Sindh, im Himalaja, im Distrikt Mungir am Ganges, das beste bei Portonovo südlich von Pondichéry; ferner Kupfer zu Khetri in Radschputana und in Singhbum an der Südwestgrenze von Bengalen; desgleichen Blei, Zinn, Kobalt, Alaun, Schwefel und Borax. Steinkohlen werden hauptsächlich in den Distrikten Birbhum (Suri) und Bardwan in Bengalen sowie im Narbadathale gewonnen. 1892 lieferten 87 Kohlenbergwerke mit 34902 Arbeitern 2,65 Mill. t. Salz wird in der sog. Salzkette des Pandschab sowie aus den Seen von Radschputana, aus dem Meere an der Küste von Madras und besonders in den Sundarban des Gangesdeltas in ungeheurer Menge gewonnen. Für Edelsteine ist O. von jeher ein Hauptland gewesen. Diamanten liefert jetzt nicht mehr Partial in der Gegend von Golkonda (s. d.), wohl aber das Bett der Mahanadi im nördl. Dekan sowie das des Kistna und Pennar im südl. Dekan und der Ort Puna in Bundelkhand. Rubinen, Berylle, Topase, Chrysolithe, Saphire, Smaragde, Amethyste, Granaten u. s. w. finden sich auf dem Plateau von Maisur und der Koromandelküste, schöner Jaspis, Achate und Karneole in Gudschrat. Die uralte Industrie hat durch den Aufschwung in Europa außerordentlich gelitten, namentlich die berühmten Baumwoll- und andere Webereien von Dhaka, Murschidabad, Surat u. s. w. Gleichwohl behaupten einige Zweige noch ihren alten Ruf. So die Shawls und Teppiche von Kaschmir, die Teppiche und Seidenzeuge von Multan und Benares, die Musseline verschiedener Art, die Stoffe und Tücher aus Madras und Masulipatam. Auch blühen noch immer die Indigofabriken, Zuckersiedereien, Rum- und Arrakbrennereien, die Bereitung von Kokosnuß-, Kastor-, Lein- und Rosenöl, Lederfabrikation, Waffenschmieden, welche durch den Besitz des Wuzstahls und eine eigentümliche Bearbeitung des Eisens vorzügliche Waren liefern; sodann die Verfertigung goldener und silberner Juwelierarbeiten, die Emailarbeiten auf Gold und Silber in Multan, Haidarabad (Sindh) und Dschaipur, die Schnitzarbeiten aus Elfenbein, Eben- und Sandelholz, die Arbeiten in Perlmutter und Schildpatt, die Diamantschleifereien u. s. w. Daneben entwickelt sich allmählich der moderne Fabrikbetrieb. Es giebt 9 Papierfabriken; Jute verarbeiteten (1894) 27 und Hanf 1 Betrieb mit zusammen 192688 Spindeln, Wolle 5 Betriebe mit 17320 Spindeln; 136 Baumwollspinnereien mit 3,54 Mill. Spindeln zählten durchschnittlich 130570 Arbeiter pro Tag; Sodawasser wird in 76 Fabriken hergestellt; die Eisengießereien liefern bis auf Achsen, Räder, Schienen und Stahlschwellen das gesamte Material für den Eisenbahnbau, in den Städten werden Dachziegel nach europ. Weise hergestellt; die Seidenindustrie macht wenig Fortschritte.

Handel. Der große Produktenreichtum hat seit dem frühesten Altertum die handeltreibenden Völker nach O. gelockt. Im Innern wird der Handel durch die Kaste der Banja(n) (Banjanen), wiewohl nicht mehr in gleichem Maße wie früher, betrieben. Sie be-^[folgende Seite]