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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ostindien (Geschichte)

pur und Lakhnau waren noch viele andere Orte Zeugen brit. Tapferkeit und Ausdauer. Im Juni und Juli brach auch an mehrern Punkten Mittelindiens, in Mhau, Indaur, Mandeßa, Sagar u. s. w., der Aufstand aus. In Agra mußte sich 5. Juli die engl. Besatzung in die Festung zurückziehen. Zu Dinapur, oberhalb Patna, erhoben sich die Sipahi 23. Juli, besetzten das benachbarte Arra und warfen 29. Juli die von General Lloyd zum Entsatz gesandten Truppen unter eigenem großem Verlust zurück. Im Pandschab, an dessen Nordwestgrenze sowie in Ober-Sindh der Brigadier Jacob Freikorps aus Sikh, Afghanen u. s. w. bildete, wurden vom General Nicholson 17. Juni die Meuterer von Sialkot vernichtet und 20. Juli der Aufstand in Lahaur unterdrückt. Der dortige Oberkommissar Lawrence wußte nicht nur die Bevölkerung in Ruhe zu erhalten, sondern konnte auch einen Teil der engl. Besatzungstruppen nebst einem starken Korps Sikh unter Nicholson, der 25. Aug. die Insurgenten bei Nadschafgarh in die Flucht schlug, nach Dehli schicken, wodurch die Einnahme dieses Brennpunktes der Insurrektion ermöglicht wurde.

Bereits in den Herbstmonaten 1857 war das Schicksal der Empörung entschieden, obschon noch keine Unterstützung aus Europa eingetroffen war. Als endlich massenhafte Verstärkungen eintrafen, wurden diese von Kalkutta aus nach Kanpur hinaufgesandt, wohin der neue Obergeneral Sir Colin Campbell nachfolgte. Schon 3. Nov. stand er an der Spitze der gegen Lakhnau und Oudh bestimmten Armee. Zugleich traf General Sir Hugh Rose in Bombay die Vorbereitungen zu seinem Siegeszuge nach Mittelindien (zwischen dem Narbada und Ganges-Dschamna). Nach dem Falle von Dehli hatte Oberst Greathed an der Spitze einiger fliegender Korps einen Teil der von dort geflüchteten Sipahi 27. Sept. bei Bulandschahr, im Südosten von Dehli, geschlagen, 29. Sept. das Fort Malagarh gesprengt, 5. Okt. das benachbarte Fort von Aligarh eingenommen und 9. Okt. Agra erreicht. Inzwischen war die Umgegend von Kanpur, wo Sir Colin Campbell bei seinem Abzuge nach Lakhnau den General Windham mit nur 500 Mann zurückgelassen hatte, der Sammelplatz der zersprengten Sipahi, der Haustruppen kleiner Lehnsfürsten Mittelindiens sowie der meuterischen Armee des Sindhja von Gwaliar unter Führung des Mahratten Tantia-Topi geworden. Windham zersprengte mit seinen wenigen Truppen 26. Nov. die 1. Division des Gwaliarkontingents, wurde aber in den folgenden Tagen zurückgeworfen. Da rückte Campbell, der 22. Nov. Lakhnau geräumt und nur den General Outram mit einem Beobachtungskorps bei Alambagh zurückgelassen hatte, in Eilmärschen herbei, schlug 6. Dez. die um Kanpur versammelten Sipahi (25000 Mann) und warf sie über die Dschamna zurück, wo sie 9. Dez. von General Hope Grant zersprengt wurden. Der Brigadegeneral Showers schlug die Truppen von Dschodhpur (8000 Mann) wiederholt, namentlich 25. Nov. bei Karnal, und Hauptmann Seaton säuberte mit einem besondern Korps das Doab im Dezember durch seine Siege bei Patiala, Farruchabad und Mainpuri.

Campbell beabsichtigte bei Eröffnung des Feldzugs 1858, die Sipahi aus ihren verschiedenen Stellungen nach Oudh zu drängen und dort mit einem Schlage zu vernichten. Dieser Plan gelangte aber nur teilweise zur Ausführung, indem der Generalgouverneur Lord Canning und sein Rat zu Kalkutta darauf drangen, Lakhnau, den nunmehrigen Hauptsitz der Empörung, ohne Verzug anzugreifen. Der Marsch gegen Lakhnau mußte demnach angetreten werden, bevor die Umschließung von Oudh vollendet war. Lakhnau, wo eine Handvoll Engländer die sog. Residency gegen eine große Übermacht mit staunenswerter Hartnäckigkeit gehalten hatte, wurde 19. März 1858 entsetzt und ganz Oudh militärisch besetzt; aber die Sipahi entrannen und zerstreuten sich, so daß der Kampf in einen sehr gefährlichen Kleinkrieg ausartete. Während der Vorbereitungen zum Zuge gegen Lakhnau brachte Sir Hugh Rose zu Bombay die sog. Malwa- oder Narbada-Armee (6000 Mann, darunter 2500 Engländer) zusammen und bekämpfte Ende 1857 und Anfang 1858 die Rebellion in Mittelindien allenthalben mit Erfolg. Mit der unter Whitlock aus Madras herbeieilenden Heersäule vereinigt, unternahm er die Säuberung aller Berggruppen und Bergthäler bis zur Dschamna hinab. Nachdem 30. März die große Festung Kota am Dschamnazufluß Tschambal von General Roberts genommen war, rückten die verschiedenen Abteilungen der Malwa- oder Narbada-Armee gegen Kalpi an der Dschamna, dem Sammel- und Waffenplatz aller aus Mittelindien und Hindustan Zersprengten, an deren Spitze Tantia-Topi stand. In der Schlacht vom 22. Mai brachte Sir Hugh Rose durch energischen Bajonettangriff die Masse der Rebellen zur Flucht nach Gwaliar, wo sich mit ihnen die aufständischen Haustruppen des Sindhja vereinigten, schlug dann den Feind vollständig in der mörderischen Schlacht vom 19. Juni und führte den Maharadschah Sindhja auf den Thron von Gwaliar zurück. Die meisten Sipahi flüchteten nach Bundelkhand oder nach Radschputana, wo sie nach und nach aufgerieben wurden. Wer von ihnen in die Hände der Engländer fiel, wurde erschossen, gehängt oder vor die Mündung einer Kanone gebunden. Ende 1858 stand in Mittelindien kein Feind mehr im Felde, und die wichtigsten Festungen waren erobert. Die Malwa- oder Narbada-Armee konnte aufgelöst werden.

Nach der Eroberung von Lakhnau hatten sich die Rebellen gegen Nordwesten nach Rohilkhand und in der Richtung nach Nepal im Norden gewandt. Sir Colin Campbell ging nun an die Aufgabe, diese Länder zu säubern. Er nahm 1. Mai Schahdschahanpur, unter großem Widerstande 6. und 7. Mai Bareli in Rohilkhand, und die Provinz war schon gegen Ende des Monats unterworfen. Die flüchtigen Rebellen kehrten jedoch nach Oudh um, wo sie in einzelnen starken Haufen feste Stellungen einnahmen, und zwar unter Leitung hervorragender Führer, wie des Nana Sahib (s. d.), des Firôs Schah, eines königl. Prinzen von Dehli, der Begum oder Königin von Oudh mit ihrem Sohne, sowie einer Anzahl großer Land- und Grundbesitzer (Samindars und Ta'alluqadars). So hatten die verschiedenen Korps unter den Generalen Sir Hope Grant, Napier, Lugard u. a. noch heftige Kämpfe zu besteben, und der Kleinkrieg in der heißen Jahreszeit raffte viele Europäer weg, während sie durch die Regenmonate in ihren Bewegungen gehemmt wurden. Nachdem Campbell die Bevölkerung von Oudh durch seine Proklamation vom 26. Okt. 1858 zur Unterwerfung gebracht hatte, begann er im November aufs neue seine Operationen. Die im Laufe des Monats mehrfach geschlagenen Sipahi