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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Polen (Königreich)

sächlich Getreide, besonders Weizen, Holz, Ölsamen, Wolle, Vieh, Borsten, Roßhaare, Häute; eingeführt: Kolonialwaren, Farbstoffe, Baumwolle, Rohseide und Seidenstoffe, Chemikalien, Maschinen, Metalle und Metallwaren, Wein und Kochsalz. P. hat eine Universität in Warschau, 21 Gymnasien, 7 Progymnasien, 4 Realschulen, 9 Lehrerinstitute und 2287 Volksschulen. Die Unterrichtssprache in sämtlichen Schulen ist die russ. Sprache, die auch die Gerichts- und Geschäftssprache bildet. An der Spitze des gesamten Unterrichtswesens steht der Kurator des Lehrbezirks Warschau. Die Verwaltung der röm.-kath. Kirche wird vom Ministerium des Innern aus in Petersburg geleitet und der direkte Verkehr mit der röm. Kurie ist verboten. Die griech.-orthodoxe Kirche steht unter dem Erzbischof von Warschau und Chelm, die evang.-luth. und die reform. Kirche unter je einem Generalsuperintendenten, der zugleich Vorsitzender des betreffenden Gouvernements ist. P. bestand anfangs aus 8 Woiwodschaften, die 1846 in 5 und 1867 in 10 Gouvernements verwandelt wurden: Warschau, Kalisch, Petrikau, Radom, Kjelzy, Lublin, Sjedlez, Plozk, Lomsha und Suwalki. Die selbständige Verwaltung des Landes hat seit 1863 überhaupt aufgehört, und die oberste Leitung führt statt des frühern Statthalters seit 1874 ein russ. Generalgouverneur mit dem Sitz in Warschau.

Geschichte. 1) Gründung, Verfall und Vereinigung des Reichs bis 1300. Als Fürsten der Vorzeit werden Lech und Popiel genannt. Nach dem Tode des letzten Popiel schwang sich Piast (s. d.) zum Herrscher über P. empor, mit dessen viertem Nachfolger Mscislaw I. (s. d.; 962-992) dann die beglaubigte Geschichte P.s beginnt. Diesem gelang es, die zahlreichen poln. Gemeinden zwischen Weichsel und Oder zu einem einheitlichen Staatswesen zusammenzufassen; 966 nahm er das Christentum an und zwei Jahre später gründete er das Bistum Posen. Sein Sohn und Nachfolger Boleslaw I. Chrobry (s. d.) eroberte Pommern mit Danzig und benutzte den Thronstreit in Böhmen, um Krakau und Sandomir (Kleinpolen) sowie Schlesien an sich zu bringen. Er begründete durch die Stiftung des Erzbistums Gnesen die kirchliche Unabhängigkeit P.s von Deutschland und bereitete so die polit. Selbständigkeit vor (1000). Unter seinem Sohne Mscislaw II. (s. d.) schwächten Bruderzwist und Bürgerkrieg die Macht des Reichs. Während der vormundschaftlichen Regierung für Kasimir I. (gest. 1058) brach eine Empörung des Adels und ein Kampf mit Břetislaw (s. d.) von Böhmen aus, die aber durch Dazwischenkunft des deutschen Kaisers Konrad II. beendet wurden. Kasimirs Sohn Boleslaw II. (s. d.) wurde wegen seiner Grausamkeit vertrieben (1079) und sein Sohn vergiftet. Es folgte nun des Königs Bruder Wladislaw I. (gest. 1102), der als Schwager Kaiser Heinrichs IV. in ein friedliches Verhältnis zu Deutschland trat. Nach dem Tode seines Sohnes Boleslaw III. (1139) wurde das Land unter seine vier Sohne geteilt; der älteste, Wladislaw II., erhielt Krakau und Schlesien mit dem Seniorat, Boleslaw IV. Masowien und Kujawien, Mscislaw Gnesen und Pommern, Heinrich Sandomir. Wladislaw II. wurde vertrieben (1146), und nach Boleslaws Tode (1173) vereinigte Mscislaw III. Masowien, Kujawien und Krakau mit Großpolen; doch wurde er 1177 gestürzt und der jüngste der Brüder, Kasimir II., zum König gewählt. Dieser brachte außer Sandomir noch Gnesen zum Reich. Unter Kasimirs Sohn Leszek (1194-1227), dem ersten Wahlfürsten in P., und dessen Sohn Boleslaw V. (gest. 1279) wurden ganze Landschaften von P. losgerissen. Nicht nur trat Schlesien allmählich aus dem Verbände mit P., auch Pomerellen machte sich unter Herzog Swatopluk unabhängig; die heidn. Preußen und Litauer machten zudem fortwährend die Nordgrenzen des Reichs unsicher, bis die Not Konrad von Masowien zwang, die Deutschen Ritter herbeizurufen, die, vereinigt mit dem Polenheer unter Führung Herzog Heinrichs von Breslau in der Schlacht an der Sirgune (1233) den Preußen eine entscheidende Niederlage beibrachten. Seit jener Zeit war die Herrschaft des Ordens gesichert, und P. beteiligte sich nicht weiter am Kampfe gegen die Preußen. Den Mongolen, die das östl. Europa in der schrecklichsten Weise heimsuchten, auch Volhynien, ganz Ungarn, Südpolen bis nach Schlesien hin überschwemmten, stellte sich Herzog Heinrich der Fromme von Schlesien, im Verein mit Boleslaw von Mähren, den Großpolen und den Deutschen Ordensrittern mit einem poln.-schles. Heere bei Liegnitz 1241 entgegen. Heinrich fiel; die Zerfahrenheit im Innern und den unaufhörlichen Zwist unter den Landesfürsten, die nach seinem Tode herrschte, benutzten die Nachbarn, um das wehrlose Land zu verwüsten und ein Stück nach dem andern von demselben abzutrennen. Zudem machten die Tataren wiederholentlich Einfälle in die poln. Gebiete. So geschah es, daß man 1300 dem König Wenzel von Böhmen, der schon Kleinpolen beherrschte, die poln. Krone übertrug; er stellte durch sein kräftiges Eingreifen die Ruhe im Reiche endlich wieder her.

2) Blüte des Reichs 1300-1572. Auf Wenzel von Böhmen folgte Wladislaw IV. (1306-33); er machte Krakau wieder zu einer rein poln. Stadt, die nach seiner Krönung 1320 Krönungsstadt (an Stelle von Gnesen) fortan blieb. Kleinpolen gewann dadurch an Bedeutung, während Großpolen an Ansehen verlor. Besonders bekämpfte er mit aller Macht den Deutschen Orden und stärkte dadurch das Nationalbewußtsein. Wladislaws Sohn Kasimir III. d. Gr. (s. d.; 1333-70) überließ dem Deutschen Orden 1343 das Kulmer Land, Nessau und Pommern. Für das im Westen durch die Abtretung Schlesiens an Johann von Böhmen geschmälerte Reichsgebiet eroberte er 1366 im Osten die russ. Fürstentümer Halicz und Wladimir und vereinigte, nach dem Aussterben der Herzogsgeschlechter, Kujawien, Lentschiza und Dobrzyn mit dem Königreich. Ihm folgte Ludwig von Ungarn (1370-82), der als Enkel Wladislaws IV. Ellenlang die nächsten Ansprüche hatte. Seine Tochter Hedwig, zur Nachfolgerin bestimmt, mußte auf Verlangen des Adels 1386 dem Großfürsten Jagello (s. d.) von Litauen ihre Hand reichen. Dadurch kamen die Jagellonen (bis 1572) auf den poln. Thron und eine Vereinigung von P. und Litauen zu stande. P. wurde jetzt der mächtigste Staat im östl. Europa; es bestand aus dem Königreich P. (d. i. Gebiet Krakau und die Herzogtümer Schlesien, Kujawien, Masowien) und dem Großfürstentum Litauen; gegen die Ostsee ward es abgegrenzt durch das Gebiet des Deutschen Ordens. Auf einem Flächenraum von 1 Mill. qkm wohnten etwa 35 Mill. E. Am 15. Juli 1410 wurden bei Tannenberg die Ordensritter unter Führung Ulrichs von Jungingen von Jagello geschlagen: doch im ersten Thorner Frieden Febr. 1411 trat der Orden