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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Polen (Königreich)

1 Mill. E. und Österreich 45922 qkm mit mehr als 1 Mill. E. Stanislaus August erhielt ein Gnadengehalt, das er in Petersburg verzehren mußte, wo er 1798 starb.

4) P. nach der Teilung bis zur Gegenwart. Die Ausbreitung der Napoleonischen Macht, für die eine poln. Legion unter Dombrowski (s. d.) gestritten, gab einem Teile von P. wieder eine scheinbare nationale Existenz. Aus dem Tilsiter Frieden und den Abtretungen Preußens ging 1807 das Herzogtum Warschau hervor, welches in König Friedrich August I. (s. d.) von Sachsen seinen Regenten erhielt und nach franz.-rheinbündischen Grundsätzen organisiert ward. Der Wiener Friede (Okt. 1809) vergrößerte das Herzogtum durch die Erwerbung von Neugalizien, und es erwachte die Hoffnung, Napoleon werde mit der Wiederherstellung P.s Ernst machen. Wie unbegründet diese Erwartung war, erwies sich im Feldzuge von 1812, indem Napoleon nur Soldaten aus P. ziehen wollte und an eine Entflammung des Nationalgeistes nicht dachte. Das Herzogtum Warschau fand durch die Katastrophe von 1812 sein rasches Ende. Nach der Bestimmung des Kongresses zu Wien sollte fortan die Stadt Krakau mit ihrem Gebiet eine selbständige Republik bilden, der 1810 an Rußland abgetretene Tarnopoler Kreis an das österr. Königreich Galizien zurückfallen, der Kulmische und Michelauische Kreis, Thorn mit seinem Gebiete, ferner Posen und Teile von Kalisch unter dem Namen eines Großherzogtums Posen an Preußen abgetreten, alles übrige aber mit dem Russischen Reiche als Königreich P. vereinigt werden.

Eine Verfassung, die Kaiser Alexander I. 27. Nov. 1815 erließ, versprach den Polen eine aus zwei Kammern bestehende Landesvertretung und eine eigene Verwaltung, die in Abwesenheit des Zaren ein Statthalter führen sollte. Zwar wurde 27. März 1818 der erste Reichstag eröffnet, aber durch die Zusatzakte zur Konstitution (Febr. 1825) ward die Preßfreiheit beschränkt und die zweijährige Periodicität und Öffentlichkeit der Reichstagsverhandlungen aufgehoben. Der Tod des Kaisers Alexander verschlimmerte das Verhältnis. Der russ. Militärgouverneur Großfürst Konstantin herrschte unbeschränkt, und seit 1826 wurde die Statthalterschaft nicht wieder besetzt. Unter diesen Verhältnissen gewann der Gedanke, die russ. Herrschaft abzuschütteln, immer mehr Anhänger im Lande. Geheime Verbindungen unter der Jugend, im Heere, zahlreiche litterar. Vereine u. s. w. waren die Träger jener Idee. Unter den Gelehrten war es namentlich Lelewel (s. d.), unter den Dichtern Mickiewicz (s. d.), welche die Pflege dieser nationalen Opposition auf dem geistigen Gebiet leiteten. Infolge der Nachrichten von den gelungenen Revolutionen in Frankreich, Belgien u. s. w. brach 29. Nov. 1830 die Insurrektion in Warschau aus. Ein Häuflein Akademiker und Fähnriche überfiel am Abend das Belvedere, die Residenz des Großfürsten, und dieser verließ mit einem Teile der Truppen (die andern waren übergegangen) die Hauptstadt. Bis zum 13. Dez. 1830 hatten die Russen das Königreich P. vollständig geräumt, und das ganze Land erklärte sich einmütig für die Bewegung. Den Oberbefehl über die Armee erhielt General Chlopicki (s. d.); auch ward eine provisorische Regierung unter dem Vorsitze des Fürsten Adam Czartoryski (s. d.) bestellt. Während aber die Demokraten offenen Bruch mit Rußland wollten, dachte die Aristokratie und namentlich Chlopicki an eine friedliche Ausgleichung mit dem Zaren. Letzterer drang jedoch auf unbedingte Unterwerfung, woraufhin Chlopicki seine Stelle niederlegte; Fürst Michael Radziwill ward an seiner Statt zum Oberbefehlshaber des Heers gewählt. Nunmehr sprach der seit Dezember versammelte Reichstag 25. Jan. 1831 die Absetzung des Hauses Romanow vom poln. Throne aus. Aber unterdes war der russ. Feldmarschall Diebitsch-Sabalkanskij (s. d.) mit 120000 Mann über den Bug gerückt und drang gegen Warschau vor. Vom 14. Febr. an folgte Gefecht auf Gefecht. Nachdem die Vereinigung der verschiedenen russ. Armeekorps trotz aller Hindernisse bewerkstelligt worden war, kam es 25. Febr. bei Grochow zur Schlacht. Nach tapferster Gegenwehr mußten die Polen sich über die Weichsel nach Warschau zurückziehen. Radziwill legte das Kommando nieder und erhielt zum Nachfolger den General Skrzynecki. Die Hauptarmeen standen sich darauf wochenlang beobachtend gegenüber, bis 26. Mai eine zweite Hauptschlacht bei Ostrolenka (s. d.) ohne Entscheidung erfolgte. Zu der beiderseitigen Erschöpfung kam noch der Ausbruch der Cholera, die in P. auf die furchtbarste Weise wütete und im Juni auch Diebitsch und den Großfürsten Konstantin hinwegraffte. So fand abermals eine längere Waffenruhe statt. Inzwischen waren die diplomat. Agenten der Warschauer Regierung im Auslande bemüht, für P. Unterstützung nachzusuchen; aber sie fanden überall nur unfruchtbare Sympathien.

Der neue Befehlshaber der russ. Armee, Paskewitsch (s. d.), bewerkstelligte 27. bis 29. Juli den Weichselübergang bei Wroclawek, unweit der preuß. Grenze; dann rückte er auf dem linken Ufer langsam gegen das auf dieser Seite schlecht befestigte Warschau vor. Da Skrzynecki eine Schlacht anzunehmen zögerte, ward er (10. Aug.) des Oberbefehls entsetzt und Dembinski zu seinem Nachfolger ernannt; aber auch dieser mied die Schlacht und zog sich auf Warschau zurück. Unter dem Eindruck dieser Vorgänge erfolgten dort die blutigen Scenen der Nacht vom 15. zum 16. Aug.; mehrere gefangene Generale, des Verrats bezichtigt, wurden aus den Gefängnissen gerissen und ermordet. Die Regierung, an deren Spitze noch immer Fürst Czartoryski stand, dankte ab, und der Reichstag ernannte 17. Aug. den General Krukowiecki zum Regierungspräsidenten, während General Malachowski den Oberbefehl über das Heer erhielt. Paskewitsch rückte mit seiner ganzen Macht gegen Warschau vor. Am 6. und 7. Sept. stürmten die Russen die Stadt; die Polen leisteten verzweifelten Widerstand, aber die Übermacht war zu groß. Da schloß Krukowiecki 7. Sept. morgens eine Kapitulation mit Paskewitsch, der gemäß P. unter Ausbedingung einer Amnestie sich unterwarf. Allein der Reichstag wollte diesen Vertrag nicht genehmigen, worauf Krukowiecki abdankte und Niemojewski Regierungspräsident wurde. Dieser schloß am Abend des 7. Sept. eine bloß militär. Kapitulation, wodurch Warschau und Praga den Russen übergeben wurden; dagegen erhielten die poln. Regierung, Reichstag und Armee freien Abzug nach der Festung Modlin. Von dort aus wurden nochmals Unterhandlungen mit Paskewitsch angeknüpft; dieser forderte unbedingte Unterwerfung und Eidesleistung für den "Kaiser" Nikolaus. Lieber aber gingen die Polen in die Verbannung. Der Rückzug ward von Modlin über Plock nach der preuß. Grenze fortgesetzt. Am 25. Sept. traten Regierung und Reichstag hin-^[folgende Seite]