Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

244

Polnische Litteratur

wurde besonders der tendenziöse Roman durch Krasicki u. a. gepflegt. Sehr reichhaltig war die polit. Litteratur, worin nach Leszczyński und Konarski Staszyc, Kollontaj u. a. hervorragten.

19. Jahrhundert. Der Verlust der staatlichen Selbständigkeit, argwöhnische Hemmungen oder rücksichtslose Unterdrückungen aller nationalen Regungen, wesentliche Einbußen aller Art, die Schließung oder Überführung der Universitäten (Wilna, Warschau) und der Bibliotheken, die Entnationalisierung des höhern Unterrichts in Preußisch- und Russisch-Polen, die Auswanderungen oder Verbannungen nach 1831 und 1863, die Russisch-Polen mit einem Schlage seiner jüngern Intelligenz beraubten - alle diese Katastrophen haben weder die Entwicklung der Litteratur aufhalten, noch eine geistige Trennung der drei Teilgebiete herbeiführen können; doch hängt von der Gunst der polit. Lage die Regsamkeit der einzelnen Centren (Warschau-Wilna, Posen, Lemberg-Krakau) wesentlich ab. Eine Zeit lang (1832-42) war der Schwerpunkt der geistigen Thätigkeit ins Ausland, in die Emigration nach Frankreich, verlegt. Der Verjüngungsprozeß der Litteratur verlief parallel dem Gang der Litteratur bei den andern europ. Völkern. In den beiden ersten Decennien herrschte zwar noch die pseudoklassische Richtung vor; ihr Mittelpunkt blieb Warschau, ihre Träger waren der Ästhetiker L. Osiński, die Dramatiker Aloizy Feliński (1771-1820, Hauptwerk "Barbara Radziwiłowna"; deutsch von Orion Julius, Berl. 1831) und L. Kropiński, außerdem der Erzbischof Woronicz, Niemcewicz, der mit der neuern Richtung vermittelnde Brodziński, die Koźmian u. a. Den wissenschaftlichen Brennpunkt bildete die Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften, 1801 durch Czacki, Albertrandy, Dmochowski u. a. gestiftet, mit reichen Sammlungen durch Staszyc u. a. ausgestattet (sie wurde 1832 aufgehoben und ihre Bibliothek nach Petersburg übergeführt) und die seit 1801 neu organisierte Universität Wilna mit den beiden Sniadecki, Eusebius Słowacki, Groddeck u. a. Aber die Bekanntschaft mit der deutschen und engl. Litteratur, der Einfluß Werthers, der Balladen- und Romanzendichtung des W. Scott, Byrons und Shakespeares riefen eine litterar. Revolution als Vorläuferin der politischen von 1830 hervor. Im Kampfe zwischen der klassischen und der romantischen Dichtung blieb die letztere Siegerin; Führer in diesem Kampfe war Mickiewicz, neben ihm Malczewski, Goszczyński, Zaleski, Odyniec, Chodźko, die Ästhetiker Mochnacki und Grabowski. Die Katastrophe von 1831 wies der Poesie neue Bahnen; vor den großen Dichtern der Emigration, Mickiewicz, Słowacki und Krasiński, verblaßte die Thätigkeit in der Heimat, eines Bielowski und Siemieński in Galizien, des Generals Franc. Morawski im Posenschen, eines Jul. Korsak, A. Groza, Odyniec u. a. in Russisch-Polen. In jenen drei großen Dichtern erreichte die poln. Poesie ihre Höhe. Nach Abstreifung der romantischen Überschwenglichkeiten und Verirrungen wurde sie jetzt wahrhaft national. Sie verklärt die Vergangenheit ("Herr Thaddäus"), tröstet oder straft die Zaghaften und Feigen und zeigt der künftigen Entwicklung die höchsten Ideale (messianistische Poesie) in Sprache, Bildern und Gedanken, deren Reichtum und Vollendung, Pracht und Fülle, Tiefe und Schwung vorher nicht geahnt, nachher nicht übertroffen werden konnten. Nach dem Verstummen dieser großen Dichter, besonders seit den sechziger Jahren, tritt der Einfluß der Poesie zurück. Ihre bedeutendsten Vertreter sind nunmehr Zaleski, Winz. Pol, Syrokomla, Ujejski, Lenartowicz, Deotyma, dann Zieliński ("Der Kirgise" und "Die Steppen"; deutsch Lpz. 1858), Norwid u. a., unter den neuesten Asnyk und Konopnicka. Die satir. Poesie ist nur durch einzelne glänzende Schöpfungen vertreten (Mickiewicz und Słowacki). Fabeln, zumal politische, schrieben Górecki und Franc. Morawski.

In der dramat. Poesie tritt, abgesehen von den Werken der drei großen Dichter, das histor. und moderne Drama gegen die Komödie zurück. Unter den Dramatikern sind Korzeniowski, Magnuszewski (gest. 1845), als Übersetzer Kamiński (gest. 1855, Direktor des Lemberger Theaters) zu nennen, dann Małecki und Szujski, unter den neuesten Swiętochowski (Okoński), Rapacki u. a. In Komödie und Posse bleibt unübertroffen Graf A. Fredro; neben ihm sind zu nennen sein Sohn, dann M. Bałucki, Narzymski, Kasimir Zaleski, Bliziński u. a.

Roman und Novelle, die heute die schöne Litteratur beherrschen, waren zuerst histor. Genres, Nachahmungen des W. Scott, so die Werke von Niemcewicz, F. Bernatowicz ("Nałęcz", deutsch von Schnaase, Lpz. 1834; "Pojata", deutsch, ebd. 1834), Graf Fr. Skarbek, die ersten Romane von Kraszewski, H. Rzewuski, Czajkowski, M. Grabowski, Dzierzkowski, Ignaz Chodzko, daneben sentimentale (L. Kropiński) und humoristische (Skarbek). Durch erstaunliche Fruchtbarkeit, Vielseitigkeit, Fluß der Darstellung beherrschte Decennien lang Kraszewski dieses Gebiet, neben ihm Korzeniowski, Kaczkowski, hierauf Milkowski (Jeż) u. a. Die höchsten Stufen des modernen poln. Romans bezeichnen die Werke von H. Sienkiewicz und E. Orzeszkowa; neben ihnen sind Zachariasiewicz, Bałucki, Prus (Głowacki), Gawalewicz, Gomulicki, Łoziński u. a. zu nennen; im humoristischen Genre Jan Lam, Wilczyński u. a.

In der Geschichtschreibung hatte schon A. Naruszewicz im 18. Jahrh. den Grund für die Kritik gelegt; sein Werk nahmen auf Lelewel, Jędrzej Moraczewski, Theodor Morawski, Aug. Bielowski, Karl Szajnocha, Julian Bartoszewicz, Heinrich Szmitt, Theodor Narbutt ("Geschichte Litauens") u. a. Diese Werke zeichnen sich aus durch Vorliebe für die republikanischen Institutionen des alten Polens, Verherrlichung seiner Geschichte und Traditionen. Von dieser einseitigen Auffassung wurde die poln. Geschichtsforschung durch die neueste histor. Schule befreit: Jos. Szujski, Michael Bobrzyński, Kaz. Jarochowski, St. Smolka, L. Kubala, Wal. Kalinka, A. Pawiński u. a. Die Quellenkunde förderten A. Kętrzyṅski, Th. Wojciechowski u. a.; die innere Geschichte Th. Korzon, Piekosiński, Łoziński u. a.; die Rechtsgeschichte Maciejowski, Helcl, Hube u. a. Die Geschichte der Revolution von 1830 ist besonders von der Emigration bearbeitet worden, wie Mochnacki, Wrotnowski, K. A. Hofmann, Mierosławski u. a., der Aufstand von 1863 von Agathon Giller u. a. Die Memoirenlitteratur fließt reichlich für die Zeit von 1760 bis 1820 (Memoiren des Königs Stanisław August, Kitowicz, Ochocki, Ogiński u. a.), spärlicher für die folgenden (Wodzicki, Koźmian u. a.). Geogr. und ethnogr. Studien oder bloße Reisebilder verfaßten Winc. Pol, Tripplin (Übersetzer), Giller, Sienkiewicz u. a.

Die erste poln. Litteraturgeschichte schrieb Bentkowski (2 Bde., Warsch. 1814); die ausführlichste