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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Rumänien

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Rumänien'

trauen auf die Entwicklungsfähigkeit des Volks und des Staates energisch zu entschiedenen Reformen drängten. Der Führer der Bojaren, Lascar Catargiu, bildete das erste Kabinett des Fürsten Karl. Es folgten bald mehrere liberaler Färbung. In diese Zeit (3. Okt. 1868) fallen das von Joan Bratianu angeregte weittragende Gesetz über die Erbauung einer Eisenbahn, welche die Mitte des Landes durchziehen sollte und deren Ausführung Strousberg und Oppenheim übertragen wurde, und die durchgreifenden Reformen in Verwaltung und Finanzen. Viel Aufsehen erregten die ebenfalls 1868 in der Moldau stattfindenden Krawalle gegen die Juden sowie das Eindringen bulgar. Freischärler in türk. Gebiet. Man schob ohne haltbare Gründe für beides Bratianu die Schuld zu, und dieser nahm im November seine Entlassung. Drei aufeinander folgende konservative Ministerien konnten die erwünschte Ruhe im Staatswesen nicht herbeiführen, und während Joan Ghika 30. Dez. 1870 bis 23. März 1871 die Staatsgeschäfte leitete, fanden zwei wichtige Begebenheiten statt, die beinahe den Zusammenbruch des neuen rumän. Staates nach sich gezogen hätten: Strousbergs Bankrotterklärung, die die Vollendung der Eisenbahn in Frage stellte, und 22. März die Störung des deutschen Friedensfestes in Bukarest, die sich als eine direkte Kundgebung gegen den Fürsten kennzeichnete. Der Abdankung des Fürsten wurde glücklich vorgebeugt, und die Regierung ging auf den hochkonservativen Lascar Catargiu über, der bis zum 16. April 1876 im Amte blieb. Durch ein Übereinkommen mit Bleichröder und der Diskontobank (1872) wurde der Ausbau der Eisenbahnen gesichert. 1875 wurden die ersten Handelsverträge auf freihändlerischer Grundlage abgeschlossen. Das Kabinett zeigte sich jedoch den Zeitforderungen nicht gewachsen; man stand am Vorabend des Orientalischen Krieges ohne ein zielbewußtes polit. Programm, vor einer ungedeckten Staatsschuld von 97 ½ Mill. Lëi, und so gingen die Zügel der Regierung wieder in die Hände der Nationalliberalen über (6. Aug. 1876) unter der Führung Joan Bratianus, der 12 Jahre lang (bis 13. April 1888) die rumän. Angelegenheiten leitete.

An dem Russisch-Türkischen Krieg von 1877 und 1878 (s. d.) sollte die Lebensfähigkeit des rumän. Staates erprobt werden. Bis dahin hatte beim Ausbruch eines Türkenkrieges Rußland regelmäßig R. in Besitz genommen und es durch russ. Generale verwalten lassen. Nun mußte es sich überzeugen, daß R. nicht ohne weiteres mehr ein Durchzugsland für seine Heere war. Diese Erklärung gab Bratianu in Livadia ab, als er im Herbst 1876 den Kaiser Alexander II. auf Befehl des Fürsten Karl begrüßte, und Rußland mußte sich herbeilassen, 16. April 1877 mit R. einen Vertrag abzuschließen, worin allerdings der verlangte Durchzug gewährt wurde, der aber zugleich die feierliche Zusage der Achtung aller rumän. Staatseinrichtungen und die Garantie des vollen Territorialbestandes enthielt. Noch bevor der russ. Aufmarsch an der Donau sich vollzogen hatte, proklamierte R. seine Unabhängigkeit und stellte die Zahlung des Tributs an die Pforte ein (22. Mai 1877). Nachdem die Russen die Donau überschritten hatten und vor Plevna (s. d.) in eine gefahrvolle Lage geraten waren, sah sich der Oberbefehlshaber Großfürst Nikolaus gezwungen, sich an den Fürsten Karl um Hilfe zu wenden, der 20. Aug. mit seiner Armee über die Donau ↔ ging und den Oberbefehl über die gesamten russ.-rumän. Truppen vor Plevna übernahm, mit denen die von Osman Pascha heldenmütig verteidigte Festung 10. Dez. erobert wurde. Nach diesem Siege zogen die Russen über den Balkan, die Rumänen längs der Donau gegen die Festungen Rahova und Vidin. Nach deren Übergabe durch die Türken (21. Nov. 1877 und 26. Febr. 1878) kehrte Fürst Karl mit seiner Armee nach R. zurück. Am 3. März 1878 schlossen Russen und Türken vor den Thoren Konstantinopels den Vertrag von San Stefano (s. d.) ab, worin, trotz des russ.-rumän. Abkommens vom 16. April 1877, die Rückgabe der südbessarab. Distrikte an Rußland festgesetzt wurde. Obgleich R. feierlichen Protest gegen diesen Vertragsbruch einlegte, fügte es sich endlich doch den Beschlüssen des Berliner Kongresses (s. d.) und nahm Nov. 1878 anstatt der bessarab. Distrikte von der Dobrudscha Besitz. Die von den Kongreßmächten verlangte Emancipation der Juden und Gleichberechtigung aller Glaubensbekenntnisse machte eine Verfassungsrevision notwendig, die Okt. 1879 alle auf die Religion begründete Unterschiede in der staatsbürgerlichen Stellung aufhob, dagegen den Erwerb des ländlichen Grundbesitzes von dem Besitze des rumän. Staatsbürgerrechts abhängig machte. Rußland und Österreich-Ungarn erkannten die Unabhängigkeit R.s 1878 an, Italien 1879, die übrigen Mächte 1880.

Nach Beendigung des Krieges ging man an den Ausbau des Staatswesens. Die alten, von den Bojaren beherrschten engen Wahlkollegien machten eine Verfassungsrevision zu ihrer Erweiterung im liberalen Sinne nötig (1884). Es wurden tiefgreifende Gesetze erlassen für Decentralisation der Verwaltung, Besserung des Gerichtswesens, Verbreitung des öffentlichen Unterrichts, Ausbau der Eisenbahnen, Errichtung von Kreditanstalten, vor allem aber für Regelung der Finanzen. Das Tabaksmonopol, das sich in den Händen engl. Pächter befand, und die Eisenbahnen wurden verstaatlicht, die Kopfsteuer zu zwei Dritteln nachgelassen, die technische Verbesserung der Salzbergwerke durchgeführt und das Gleichgewicht im Staatshaushalt trotz der steigenden Staatsbedürfnisse hergestellt. Man schritt zu dem Ausbau der Donauhäfen, zur Errichtung von Staatssilos in Galatz und Braila zur Aufbewahrung des Getreides und von Viehmärkten in Turn-Severin und Küstendže. Mit Ablauf der alten Handelsverträge wurde 1886 ein Schutzzolltarif erlassen und die neue Handelspolitik auf die beschränkte Meistbegünstigungsklausel gegründet. Der erste derartig abgeschlossene Vertrag war der mit der Schweiz (1886): diesem folgten (1887) die Verträge mit Deutschland und der Türkei. Diese veränderte volkswirtschaftliche Politik führte zu einem Zollkriege mit Österreich-Ungarn, der erst 1891 mit dem Erlasse eines mildern, die österr.-ungar. Interessen mehr berücksichtigenden Zolltarifs endigte. Ganz besonders richtete sich das Augenmerk auf die Armee: die Ausgaben für den jährlichen Unterhalt wurden verdoppelt, mehrere hundert Millionen für den Bau von Kasernen, Militärschulen, Arsenalen, Festungen sowie für Bewaffnung und Munition verwendet. Dies konnte nicht ohne Einfluß auf die polit. Stellung R.s im europ. Staatengebilde bleiben. Am 26. März 1881 erhob ein Parlamentsbeschluß R. zum Königreich, Fürst Karl wurde 22. Mai 1881 zum König gekrönt und 1885 die rumän. orthodoxe Kirche durch feierlichen Akt für

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 19.