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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Seide
geschieht nach der ältesten Methode derart, daß die
Spule auf einem senkrechten Draht hängt und durch
Streichen mit der flachen Hand umgedreht wird,
während die andere Hand den Faden von dem auf
einer Garnwinde befindlichen Strähn zuleitet. Eine
Vervollkommnung dieses primitiven Verfahrens
war die Anwendung des Spulrads; in neuerer
Zeit haben in europ. und amerik. Moulinieranstal-
ten säst aÜgemein Spulmaschinen von einfacber
Konstruktion Eingang gefunden. Zum Drehen der
einzelnen Fäden dient die nämliche Maschine, welche
zum eiaentlichen Zwirnen angewendet wird. Das
Doublieren, d. H.Zusammenlegen und gemein-
same Aufspulen zweier oder mehrerer gedrehter oder
ungedrehter Nohseidenfäden als Vorbereitung zum
Zwirnen geschieht entweder durch bloße Handarbeit,
oder mittels des Epulrads, oder besser mittels der
Doubliermaschine, deren Einrichtung nur wenig
von derjenigen der Spulmaschine abweicht. Zum
eigentlichen Zwirnen dient die Seidenzwirn-
mühle. auch Spinnmühle oder Filaror^um
genannt, eine Maschine, welche auf jeder Seite
2 - 3 Etagen mit je 60 Spindeln enthält, die mit
einer Geschwindigkeit von 2000 bis 2500 Touren in
der Minute umlaufen. In den letzten Jahrzehnten
ist man mit Erfolg bestrebt gewesen, den Arbeits-
prozeß dadurch zu vereinfachen, daß man mehrere
Operationen, z. V. das Drehen und das Doublieren
der Nohseidenfäden oder das Zwirnen derselben und
das Haspeln der fertigen S., wodurch diefe für den
Handel in Strähne von bestimmter Größe und be-
stimmter Fadenzabl gebracht wird, einer Mascbine
überträgt. Man ist sogar so weit gegangen, alle Ar-
beiten, vom Abhaspeln der Cocons bis zum Drcbcn
oder Zwirnen der Nohseidenfädcn von einer Ma-
schine in ununterbrochener Reihenfolge verrichten
lassen zu wollen, doch haben diese weitgehenden Kom-
binationen bisher keine günstigen Nefultate ergeben.
Die gezwirnte S. kommt in ungcmcin verfchiede-
dener Beschaffenheit vor, je nachdem zu derselben
bessere oder geringere, feinere oder gröbere Rohseide
verwendet und diese mit oder ohne vorläufige
Drehung aus mehr oder weniger Fäden ein- oder
zweimal, stärker oder schwächer gezwirnt wird. Die
Zwirnung ist in allen Füllen um fo schärfer, je feiner
die Fäden sind. Die zu Or gansin verwendete
Rohseide wird von 3 bis 8 Cocons abgehaspelt; sie
erhall vor dem Zwirnen eine starke Nechtsdrehung
und wird aus zwei, seltener aus drei Fäden lwonack
man zwei- und dreifädige Orgcinsin unterscheidet)
links gezwirnt. Die Trama besteht aus 3-12
Coconfüden und wird als ein-, zwei- und dreifädige
unterfchieden. Die einfädige ist ein einfacher, für
sich mäßig stark links gedrehter Nohseidenfäden; die
zweisädige ist aus zwei, die dreifüdige aus drei Noh-
seidenfäden ohne vorläufige Drehung links gezwirnt.
Infolge der fchwächern Zwirnuna ist Trama weicher
und flacher als Organsin, wodurcb der gewebte Stoff
die erwünschte Dichtheit erhält. Eine Mittelgattung
zwifchen Organsin und Trama, die öfters statt der
erstern zur Kette seidener Gewebe verwendet wird,
entsteht dadurch, daß man zwci Nohseidenfädcn stark
zusammcnzwirnt, ohne sie vorher zu drehen. Die
Marabuseide wird meist aus drei Fäden blen-
dendweißer Nohseide nach Art der Trama obne
Drehung der einzelnen Fäden gezwirnt, dann ohne
vorausgehendes Kochen gefärbt, endlich nochmals
und zwar sehr scharf gezwirnt. Die Steisigkeit,
welche der beim Färben fast unverändert bleibende
Brockhaus' Kouvmalions-Lcxikon. 14. Aufl. XIV.
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leimartige Überzug dem Faden verleiht, verbunden
mit der scharfen Zwirnung, giebt dieser Gattung der
S. die für diefelbe charakteristische peitsch enschnur-
ähnliche Härte. DiePelseide oder Pelo ist eine
aus den Cocons der geringsten Sorte erzeugte, meist
als Einlage der Gold- und Silbergespinste dienende
S., die nicht gezwirnt ist, sondern aus Fäden be-
steht , die durch Zusammenlegen und Zusammen-
kleben von 8 bis 10 Coconfüden gebildet werden.
Nähseide (Kusir) wird aus Nohseide von 3 bis
24 Cocons hergestellt, entweder indem man zwei starke
Nohseidensäden einzeln rechts dreht und dann links
zusammenzwirnt; oder indem man zwei ungedrehte
Nobseidcmäden rechts zusammenzwirnt und dann
zwei so gebildete Fäden durch eine zweite Zwirnung
nach links vereinigt; oder indem man bei letzterer
Methode vor der ersten Zwirnung den Eeidenfäden
eine Drebung erteilt. Die der Nähseide ähnliche
Strickseide oder Häkelseide erhält, weil sie
gröber ist und für ihren Zweck weich sein muß,
schwächere Zwirnung. Die kordonnierte S. ist
aus zahlreichen feinen Nohfeidcnfäden zusammen-
gesetzt, die erst einzeln gedreht, dann zu vier, sünf,
sechs oder acht links zusammcngezwirnt werden,
worauf man drei solcher Fäden "durch Zwirnung
nach rcchts vereinigt. Bei der Stick- oder Platt-
seide liegen infolge der sehr schwachen Zwirnung
nach dem Kochen und Färben die Coconfüden sicht-
bar voneinander getrennt.
Der Umsang des Haspels zum Aufwinden der
fertigen S. und die Fadenzahl der Strähne waren
früher in den einzelnen Industrieländern sehr ver-
schieden; erst in neuerer Zeit ist durch Negelung der-
selben eine genaue Kontrolle des Fabrikationsbetrie-
bes sowie die richtige Bestimmung des Feinheits-
grades, das Titrieren (von: frz. titi-6) der S.,
möglich geworden. Nach den Beschlüssen des in
Wien 1873 und des in Brüssel 1877 abgehaltenen
internationalen Kongresses zur Herbeiführung einer
einheitlichen Garnnumerierung foll die Feinheit der
Seidengarne ausgedrückt werden durch das Zehn-
sache der Zahl, welche das absolute Gewicht eines
Fadcnstücks von 1000 m Länge in Grammen an-
gicbt. über die Titrierung in Turin und Mailand
s. Denaro, in Frankreich s. Denier. Das Titrieren,
das sowobl für Nohfeide als für filierte S. an-
gewendet wird, erfolgt gewöhnlich mit Hilfe von
Zeigerwagcn von sehr exakter Ausführung; doch
bedient man sich, wo es sich um die Titrierung
großer Massen bandelt, auch besonders hierfür kon-
struierter, selbstthätig arbeitender Maschinen.
Die S. ist so hygroskopisch, daß sie bis zu 30 Proz.
Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen kann, ohne
eigentliche Nässe zu zeigen. Der Feuchtigkeitsgehalt
wird für den Handel durch die sog. Konditionierung
(s. d.) festgestellt. Die rohe wie die silierte <^. wird
mit dem ihr von Natur eigenen leimartigen Über-
zug, der den Faden hart, steif und fast glanzlos
macht, nur für manche Zwecke verarbeitet, für welche
gerade dicfe Eigenschaften erwünscht sind, wie zur
Herstellung von Beuteltuch, Klcidergaze, Krepp und
Blonden. In den meisten Fällen ist die Beseitigung
des Seidenleims durch Behandlung mit hei.ßer
Seifenlauge, das Kochen, Entschälen, Degom-
mierön oder Degummieren, erforderlich, durch
wclche bei der von Natur gelben S. zugleich der
harzige Farbstoff entfernt wird. öfters wird die ^.,
namentlich wenn sie in dunkeln Farben gefärbt
werden soll, durch Anwendung schwächerer Lauge
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