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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Socialismus

wegen ihres streng religiösen Charakters mehr kirchliche Sekten als socialökonomische Gründungen. Neuerdings hatte Hertzka ebenfalls die Absicht, ein socialistisches Gemeinwesen (Freiland) in Afrika zu gründen, doch scheiterte der Plan, bevor die Expedition am Zielpunkt angelangt war.

Litteratur. Eine reichhaltige Übersicht über die gesamte Litteratur des S. giebt das Werk von Stammhammer, Bibliographie des S. und Kommunismus (Jena 1893). - Vgl. ferner den Artikel S. im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften" (von Adler); die Abhandlung über S. und Kommunismus in "Schönbergs Handbuch der polit. Ökonomie" (3. Aufl., Tüb. 1891); Geschichte des S. (in Einzeldarstellungen von Bernstein, Hugo, Kautsky, Lafargue, Mehring, Plechanow; Stuttg. 1895 fg.); Stegmann und Hugo, Handbuch des S. (Zür. 1894 fg.); R. Meyer, Der Emancipationskampf des vierten Standes (1875 u. 1882); Malon, Histoire du socialisme (5 Bde., Par. 1880-85); Dühring, Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des S. (3. Aufl. 1879); A. Menger, Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag (2. Aufl., Stuttg. 1891); Pöhlmann, Geschichte des antiken Kommunismus und S. I. (Münch. 1893); L. von Stein, Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Zeiten (3 Bde., Lpz. 1850); Laveleye, Der S. der Gegenwart (Halle 1895); Leroy-Beaulieu, Le collectivisme (3. Aufl., Par. 1891); Guyot, Les principes de 89 et le socialisme (Par. 1894); Nordhoff, Communistic Societies of the United States (Lond. 1895); Ferri, S. und moderne Wissenschaft (übersetzt und ergänzt von Kurella, Lpz. 1895); Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen (2. Aufl., Jena 1896); Sudre, Geschichte des S. (Berl. 1887); Kleinwächter, Die Grundlagen und Ziele des sog. wissenschaftlichen S. (Innsbr. 1885); Sybel, Die Lehre des heutigen S. und Kommunismus (Bonn 1872); Adler, Die Grundlage der Marxschen Kritik der bestehenden Volkswirtschaft (Tüb. 1887); Wolf, S. und kapitalistische Gesellschaftsordnung (Stuttg. 1892); Marx, Das Kapital (Bd. 1, 4. Aufl., Hamb. 1890; Bd. 2, 1885; Bd. 3, 1894); Engels, Herrn Eug. Dührings Umwälzung der Wissenschaft (3. Aufl., Stuttg. 1894); ders., Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates (4. Aufl., ebd. 1891); Die Entwicklung des S. von der Utopie zur Wissenschaft (4. Aufl., Berl. 1891); Warschauer, Geschichte des S. und neuern Kommunismus (1. und 2. Abteil., Lpz. 1892-93; 3. Abteil., Berl. 1896); Sombart, S. und die sociale Bewegung im 19. Jahrh. (Jena 1896); Haushofer, Der moderne S. (Lpz. 1896).

Der christliche Socialismus ist keine Abart des S. in dem oben definierten Sinne, daß er eine auf die Kollektivierung der Produktionsmittel oder überhaupt gegen das Privateigentum gerichtete Partei ist, sondern er bezeichnet die Richtung, welche im Gegensatz zur Socialdemokratie vom Standpunkt des Christentums tiefgreifende socialchristl. Reformen zu Gunsten der Schwachen und Besitzlosen fordert, über die Forderungen im einzelnen gehen die Meinungen auseinander. Im evang. Deutschland wurde der christliche S. begründet von Victor Aimé Huber (s. d.) und Johann Hinrich Wichern (s. d.); weitere Ausbreitung erlangte er erst mit dem Wachsen der socialen Mißstände seit dem Beginn der siebziger Jahre, wo das Buch des Pfarrers Todt, "Der radikale deutsche S. und die christl. Gesellschaft" (Wittenb. 1877; 2. Aufl. 1878), den Anstoß zur Begründung der Christlich-socialen Partei (s. d.) durch Stöcker gab, die nach einem zeitweiligen Rückgang einen neuen Aufschwung nahm und sich von Berlin aus über ganz Deutschland verbreitete. Besondere Pflege findet die Idee des christlichen S. auch in den 1882 durch den Bergmann Fischer und den Lehrer Bischof begründeten Evangelischen Arbeitervereinen (s. d., Bd. 17), die gegenwärtig in Deutschland etwa 80 000 Mitgliederzählen. Ein 1892 aufgestelltes Programm, das durch ein Kompromiß zwischen dem von dem Pfarrer Naumann in Frankfurt a. M. geführten linken Flügel und dem unter Leitung des Licentiaten Weber in München-Gladbach stehenden rechten Flügel zu stande kam, fordert: Ausgestaltung der staatlichen Arbeiterversicherung und der Arbeiterschutzgesetzgebung durch Kürzung der Arbeitszeit, Einschränkung der Frauen- und Kinderarbeit sowie der Nachtarbeit, Einführung obligatorischer Fachgenossenschaften, Sicherung des vollen Koalitionsrechts für die Arbeiter sowie Einführung von Arbeitervertretungen in den einzelnen Fabriken. Vorsitzender des Gesamtverbandes der evangel. Arbeitervereine ist Pastor Werth in Schalke (Westfalen). Die Ausschußsitzungen des Gesamtverbandes finden regelmäßig jährlich im Anschluß an die Versammlungen des 1890 von Stöcker und Weber begründeten Evangelisch-socialen Kongresses (s. d., Bd. 17) statt. Diese Versammlungen fanden 1890-93 in Berlin, 1894 in Frankfurt a. M., 1895 in Erfurt statt. - Vgl. Weder, Die Behandlung der socialen Frage auf evang. Seite (Halle 1888); Göhre, Die evangelisch-sociale Bewegung, ihre Geschichte und ihre Ziele (Lpz. 1896). Berichte über die Verhandlungen der evang.-socialen Kongresse (Berl. 1890 fg.); die Zeitschrift "Die Hilfe", hg. von Friedrich Naumann (Frankf. a. M. 1894 fg.).

In England sind die ersten Begründer des christlichen S. die Geistlichen F. D. Maurice und Charles Kingsley, die im Verein mit dem Advokaten Ludlow eine Zeitschrift "Christian Socialist" (1850-51), dann ein "Journal of Association" (1852) herausgaben und eine Gesellschaft zur Förderung der Arbeiterassociationen ins Leben riefen. - Vgl. darüber L. Brentano, Die christl.-sociale Bewegung in England (Lpz. 1883).

Auch die katholische Kirche versucht die sociale Frage in christl. Sinne zu lösen, wie denn Leo XIII. 1891 in einer Encyklika über die Arbeiterfrage die hauptsächlichsten Punkte erörterte, in denen ein Eingreifen des Staates zu empfehlen sei. In Deutschland war es besonders der Bischof Ketteler (s. d.) von Mainz, der durch seine Bücher "Die Arbeiterfrage und das Christentum" (Mainz 1864) und "Die Arbeiterbewegung und ihr Streben im Verhältnis zu Religion und Sittlichkeit" (ebd. 1869) Aufsehen erregte; gegenwärtig wirken in christl.-socialem Sinn vornehmlich Professor Hitze (s. d.), Oberdörffer, Stötzel und Dasbach. Es besteht ein ausgebreitetes geschlossenes kath. Vereinswesen unter Bauern, Handwerkern, Arbeitern, Gesellen u. s. w. In Österreich stehen an der Spitze der christl.-socialen Bewegung, die dort eine starke antisemit. Färbung hat, der Prinz Alois Liechtenstein (s. d.) und der Advokat Lueger. In Belgien bestehen ähnliche Organisationen. - Vgl. von Hammerstein, Das sociale Wirken der Kirche (3. Aufl., Trier 1890); "Arbeiterwohl", Organ des Verbandes kath. Industrieller und Arbeiterfreunde, redigiert von Hitze.