Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

101

Spanien (Geschichte 1875 bis zur Gegenwart)

befreite die von ihnen cernierte Festung Irun, konnte aber keine weitern Erfolge erringen. Da eilte Serrano aufs neue herbei, um an der Spitze von vier Armeekorps einen umfassenden Angriff auf die Karlisten zu machen und sie nach der franz. Grenze zurückzudrängen. Bevor der Plan jedoch zur Ausführung kam, proklamierte General Martinez Campos 29. Dez. 1874 in Murviedro den Sohn der Exkönigin Isabella als König Alfons XII. (s. d.) von S. Die Armee sprach sich für Alfons aus. Das Ministerium Sagasta dankte 30. Dez. ab, Serrano legte den Oberbefehl und die Präsidentschaft nieder, ein Regentschaftsministerium unter Canovas del Castillo (s. d.) bildete sich 31. Dez. unter Alfons XII. König Alfons reiste 6. Jan. 1875 von Paris ab und hielt 14. Jan. seinen Einzug in Madrid. Das Ministerium Canovas, vom König bestätigt, hob Geschworenengerichte, Civilehe und Lehrfreiheit auf, beschränkte die Freiheit der Presse und gab dem Klerus die noch nicht verkauften Kirchengüter zurück. Einer Versammlung von 39 Notabeln wurde ein Verfassungsentwurf zur Beratung vorgelegt. Darin war zwar der Grundsatz der Kultusfreiheit ausgesprochen, aber durch eine unbestimmte Fassung des Art. 11 der Willkür und Unduldsamkeit der Geistlichkeit und Beamten Thür und Thor geöffnet. Die päpstl. Kurie protestierte gegen diesen Artikel und berief sich darauf, daß Canovas ihr die Wiederherstellung des Konkordats von 1851 versprochen habe. Letzterer reichte daher 11. Sept. seine Entlassung ein, worauf Kriegsminister Iovellar die Präsidentschaft des Ministeriums übernahm und sofort dem Vatikan die Unmöglichkeit der Wiederherstellung der kath. Glaubenseinheit nachwies. Der Vatikan zeigte sich nachgiebig, und nun übernahm 3. Dez. Canovas wieder die Ministerpräsidentschaft und Jovellar wurde Generalgouverneur von Cuba.

Der Krieg gegen die Karlisten dauerte zunächst ohne entscheidende Erfolge fort. General Laserna eröffnete 1875 den Feldzug mit einem Vormarsch gegen Estella, wurde aber 3. Febr. 1875 geschlagen und zum Rückzug genötigt. Den Oberbefehl übernahm nun General Quesada. Durch die Kapitulation der Festung Seo de Urgel 26. Aug. wurde Catalonien von den Karlisten befreit. Quesada zog 8. Juli in das von den Karlisten bedrohte Vittoria ein, entsetzte 24. Nov. Pamplona und traf 22. Dez. in Tafalla ein, um mit einer Armee von 100 000 Mann einen entscheidenden Schlag zu führen. Cabrera hatte sich bereits in einem Schreiben vom 11. März dem König Alfons unterworfen, über 200 karlistische Offiziere traten nach Frankreich über; andere erklärten sich für Alfons. General Quesada nahm 29. Jan. 1870 Villa Real, 5. Febr. Durango, 19. Febr. Estella; König Alfons eilte selbst herbei und übernahm den Oberbefehl, hielt 28. Febr. seinen Einzug in Pamplona, während am gleichen Tage Don Carlos, der mit noch 2000 Mann im Thale von Roncesvalles stand, über die Brücke bei Arneguy ging und den franz. Boden betrat.

Inzwischen waren die 20. Jan. 1876 neu gewählten Cortes vom König 15. Febr. eröffnet worden. Der Gesetzentwurf über die allmähliche Aufhebung der Fueros der bask. Provinzen wurde 19. Juli angenommen. Der Verfassungsentwurf samt dem dehnbaren Kultusartikel wurde 24. Mai mit 285 gegen 40 Stimmen genehmigt. Der finanziellen Zerrüttung suchte der Finanzminister Salaverria dadurch abzuhelfen, daß er die Verzinsung der Staatsschulden bis zum 1. Mai 1877 sistierte, von da an nur einen Teil der Zinsen zahlte, den Beamten 25 Proz. Gehaltsabzüge machte und die außerordentliche Kriegssteuer beibehielt. Als sich König Alfons mit der dritten Tochter des Herzogs von Montpensier, Donna Mercedes (geb. 24. Juni 1860), verlobte, verließ Isabella, die seit 1876 in Sevilla gewohnt hatte, im Herbst 1877 S., ließ sich wieder in Paris nieder und söhnte sich dort in demonstrativer Weise mit Don Carlos aus. Doch gelang es, sie abzuhalten, die Abdankung zu Gunsten Alfons' XII. zurückzunehmen. Die Vermählung des Königs fand 23. Jan. 1878 in Madrid statt; aber schon 26. Juni starb die Königin, wie man vermutet, an Gift. Am 25. Okt. feuerte ein Böttcher Namens Oliva y Moncasi eine Pistole auf den König ab; doch traf die Kugel nicht. Nach der Niederschlagung des Karlismus war die nächste Aufgabe der Regierung die Bewältigung des Aufstandes in Cuba; im April 1878 war der größte Teil der Insel beruhigt, und der Aufstand konnte als erloschen angesehen werden. General Martinez Campos legte dem Ministerium die ihm für Cuba nötig scheinenden Reformvorschläge, besonders Abschaffung der Sklaverei, die auf Portoriko bereits durch Cortesbeschluß vom 22. März 1873 abgeschafft war, vor. Da Canovas dieselben den Cortes gegenüber nicht vertreten wollte, nahm er 3. März 1879 seine Entlassung. Martinez Campos bildete ein neues Kabinett; aber seine Vorschläge für Cuba erregten eine Spaltung im Kabinett, was den Rücktritt desselben veranlaßte. Canovas übernahm 9. Dez. 1879 aufs neue die Ministerpräsidentschaft. Das Gesetz über die Abschaffung der Sklaverei ward von den Cortes 21. Jan.1880 angenommen und vom König bestätigt.

Inzwischen hatte sich König Alfons 29. Nov. 1879 mit der Erzherzogin Maria Christina (s. d.) von Österreich vermählt. Die Einwanderung und Niederlassung der 1880 aus Frankreich ausgewiesenen Jesuiten wurde von Canovas, im Widerspruch mit den Gesetzen, geduldet. Die 15. Mai 1880 in Madrid eröffnete Marokko-Konferenz, an der die Bevollmächtigten von 11 Staaten teilnahmen, unterzeichnete 3. Juli eine Konvention mit Marokko. Die Weigerung des Königs, den Gesetzentwurf über die Konvertierung der amortisierbaren Schuld zu unterzeichnen, führte 8. Febr. 1881 einen Kabinettswechsel herbei. Canovas nahm seine Entlassung, und Sagasta, der Führer der gemäßigten Liberalen, übernahm in dem neuen Kabinett die Präsidentschaft. Die Cortes wurden aufgelöst, allen ausgewanderten Spaniern die Rückkehr gestattet und auf dem Gebiete des Unterrichtswesens liberale Einrichtungen getroffen. Die von der Regierung vorgelegten Gesetze über Steuerreform und einen span.-franz. Handelsvertrag wurden 1882 genehmigt, der deutsch-span. Handelsvertrag 1883 angenommen, der republikanische Militäraufstand in Badajoz 5. Aug. 1883 sofort bewältigt. Im September trat König Alfons, in Begleitung des Ministers des Auswärtigen, Marquis de la Vega de Armijo, eine Reise nach Österreich und Deutschland an. Der Kronprinz des Deutschen Reichs machte ihm im Namen des Kaisers schon im November einen Gegenbesuch.

Die Reise des Königs und dabei vorgekommene mißliebige Auftritte in Paris hatten Meinungsverschiedenheiten in dem Ministerium Sagasta veranlaßt, das 10. Okt. 1883 seine Entlassung nahm.