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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Sterblichkeitsstatistik

wart (nicht wie bei dem direkten Verfahren, wenn nämlich der Tod in hohem Alter, also weit von der Geburt entfernt erfolgt, für eine zum Teil längst vergangene Zeit). Die indirekte Methode zieht sowohl die Lebenden wie die Gestorbenen auf den verschiedenen Altersstufen heran und berechnet daraus die Sterbenswahrscheinlichkeit für jedes Lebensalter, einen Bruch, dessen Nenner die Zahl der in das Lebensalter eingetretenen, und dessen Zähler die Zahl derjenigen Personen bedeutet, die das nächste Lebensjahr nicht erreicht haben. Diese für alle Lebensjahre von der Geburt bis zur äußersten Grenze berechneten Sterbenswahrscheinlichkeiten bilden die Grundlage der Absterbeordnung des Landes, worin die von einer bestimmten Zahl (z. B. 1000, 100 000 u. s. w.) Lebendgeborener am Schlusse der einzelnen Lebensjahre Überlebenden in eine Reihe gestellt sind. Während das durchschnittliche Alter der Gestorbenen durch das Zusammenzählen der von sämtlichen Gestorbenen (überhaupt oder nach Erreichung eines bestimmten Alters) erlebten Jahre und Teilung der Summe durch die Zahl der Gestorbenen gewonnen wird, ist für alle feinern Arbeiten der polit. Arithmetik die Kenntnis der wahrscheinlichen Lebensdauer (Lebenserwartung, vie probable), d. h. desjenigen Alters nötig, welches verfließt, bis die Hälfte der vorhandenen Altersgenossen gestorben ist, desgleichen die der mittlern (durchschnittlichen) Lebensdauer (Vitalität, vie moyenne), d. h. die Anzahl Jahre, welche durchschnittlich von Personen eines bestimmten Alters noch durchlebt wird. Beide Größen werden aus der Absterbeordnung hergeleitet. Eine übersichtliche Zusammenstellung der genannten Werte bildet die Sterbetafel. Übrigens ist die Frage nach der zweckmäßigsten Konstruktion von Sterbetafeln noch nicht endgültig entschieden und hat erst neuerdings wieder den Gegenstand lebhafter Erörterungen der Fachmänner gebildet. (Vgl. Litteratur.) Folgende Daten sind einer auf die deutsche Reichsbevölkerung bezüglichen, für die J. 1871-81 berechneten Sterbetafel entnommen:

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Die Unterschiede in der Sterblichkeit der beiden Geschlechter sind beträchtlich und lassen eine getrennte Behandlung des Geschlechtsverhältnisses der Gestorbenen durchaus geboten erscheinen. Im allgemeinen ist die Sterblichkeit beim männlichen Geschlecht größer als beim weiblichen. Eine Ausnahme bildet insbesondere etwa das Alter von 30 J., in der die Entbindungen zu einer dem weiblichen Geschlecht ungünstigen Verschiebung beitragen. Letzteres würde bei Unterscheidung des Familienstandes noch deutlicher hervortreten, die aber nur bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Altersstufen vorgenommen werden sollte. Günstiger als bei den auf die Gesamtbevölkerung eines Landes bezüglichen Sterbetafeln stellen sich die Mortalitätsverhältnisse nach den Beobachtungen der Lebensversicherungsgesellschaften, weil bei diesen die mit chronischen Krankheiten und sonstigen schweren Leiden behafteten Personen nicht aufgenommen werden, zudem auch die ärmere, gewöhnlich bedrohtere Bevölkerung nicht beteiligt zu sein pflegt. Über die wichtige Frage der Lebensgefährlichkeit der Berufsarten sind bereits viele wertvolle Einzeluntersuchungen angestellt worden, ohne daß es bis jetzt gelungen wäre, eine einheitliche Darstellung zu liefern (s. Unfallstatistik).

Die menschliche Lebensdauer ist unter verschiedenen Verhältnissen verschieden. Im allgemeinen leben die Wohlhabenden länger als die Armen (Berufskrankheiten, schlechte Ernährung), die Verheirateten länger als die Ledigen. Die geistigen Berufsarten Angehörigen weisen eine hohe Lebensdauer auf, namentlich wenn sich mit ihrer Beschäftigung eine gewisse Behaglichkeit verbindet, wie bei Geistlichen, Professoren u. dgl. Weniger günstig gestaltet sich die Lebensdauer bei solchen geistig Thätigen, die großen Aufregungen ausgesetzt sind, weniger geordnet leben (Politikern, Schriftstellern, Künstlern, Schauspielern), am ungünstigsten unter diesen bei Ärzten und Lehrern. Am größten ist die Lebensdauer bei solchen, die sich bei mäßiger Muskelanstrengung viel im Freien aufhalten (Bauern, Soldaten im Frieden, Fuhrleuten, Landwirten, Forstleuten). Auch das Klima ist von Einfluß auf die Lebensdauer; in hochgelegenen, mäßig kalten und trocknen Ländern (Schottland, Dänemark, Schweden, südl. Rußland) finden sich verhältnismäßig mehr alte Leute als in Gegenden mit häufigem Wechsel von Wärme und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit. Ob die Lebensdauer des Menschen gegen früher zu- oder abgenommen hat, darüber sind die Ansichten der Statistiker geteilt; nach Engels eingehenden Untersuchungen scheint die menschliche Lebensdauer in den letzten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts eher eine Abnahme erlitten zu haben, sicher aber hat sie gegenüber frühern Jahrhunderten zugenommen; nur die Zahl der Langlebigen hat abgenommen.

Um für rechtliche Verhältnisse, in denen die voraussichtliche Lebensdauer von erheblicher Bedeutung wird, eine sichere Grundlage zu gewinnen, haben einzelne Rechte hierfür feste Regeln aufgestellt, so das röm. Recht für die Berechnung der Falcidischen Quart (s. d.) in L. 68 pr. D. 35,2, welche dann auch in der Praxis auf andere Fälle angewandt wird. Diesem Vorgange folgend, hat das Sächs. Bürgerl. Gesetzbuch im §. 35 ganz allgemein eine von jener wesentlich abweichende Tabelle aufgestellt. Das Preuß. Erbschaftssteuergesetz vom 30. Mai 1873 enthält im §. 14 für die Berechnung der Steuer eine ähnliche Tabelle. Andere Gesetze, so auch das Deutsche Bürgerl. Gesetzbuch, haben davon abge-^[folgende Seite]