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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Vereinigte Staaten von Amerika (Verkehrswesen)

Verkehrswesen. Das Eisenbahnnetz umfaßte 1. Jan. 1896 eine Länge von etwa 292431 km, d. i. 3,7 km auf 100 qkm Flächenraum und 42,8 km auf 10000 E. Die ersten Eisenbahnen sind 1830 eröffnet, und zwar Strecken der Baltimore- und Ohiobahn (in Maryland), der Schuylkillthal-Eisenbahn- und Schiffahrtsgesellschaft und der Mill Creek- und Mine Hillbahn (in Pennsylvanien) und der Südcarolinabahn (in Südcarolina), zusammen 64 km. 1850 waren 14515 km, 1860: 49280, 1870: 85150, 1880: 150115, 1890: 268409 und 1895: 292431 km vorhanden. Die Entwicklung zerfällt in drei Abschnitte. Der erste geht bis zur Vollendung der ersten beiden Überlandbahnen 1869. Bis in die Mitte der fünfziger Jahre fand ein lebhafter Aufschwung im Eisenbahnbau statt. Es wurden die Hauptlinien der östl. Gebiete bis nach den Großen Seen hergestellt. Während des Bürgerkrieges trat ein Stillstand ein, dem nach Beendigung des Krieges ein neuer Aufschwung bis 1869 folgte. Der zweite Abschnitt reicht bis zu dem großen Zusammenbruch der Grangerbewegung (s. Grangers) für staatliches Eingreifen in die Tariffeststellung 1873; der dritte Abschnitt ist der Zeitraum der Verschmelzungen und Verbindungen. Auf den Niedergang 1874-78 folgte eine ausgedehnte Bauthätigkeit bis 1883; 1884 und 1885 tritt große Zurückhaltung ein, während 1886 wieder ein Aufschwung bemerkbar ist und 1887 die stärkste bis dahin vorgekommene Bauthätigkeit (19000 km) ausweist. Dann trat eine Verlangsamung ein; 1893/94 betrugen die Neubaustrecken nur 4645, 1894/95 nur 3134 km. Die Anlagekosten betrugen 1. Juli 1894 für 284154 km rund 45345,19 Mill. M. An Lokomotiven waren 1. Juli 1895: 35699 und an Personen-, Gepäck- und Güterwagen 1270561 vorhanden. Die Länge derjenigen Bahnen (außer Hochbahnen), von denen amtliche Berichte vorliegen, betrug 1. Juli 1895: 177746 engl. Meilen (285993 km); befördert wurden 1894/95: 507 Mill. Personen und 697 Mill. t Güter. Die Betriebseinnahmen betrugen 1894/95: 1075,4, die sonstigen Einnahmen 132,4, die Betriebsausgaben 725,7 Mill. Doll. Von den Aktien lieferten 3475,64 Mill. Doll. (70,06; Proz. des Aktienkapitals) keine Erträge, von den Prioritäten (Bonds) 614,33 Mill. Doll. (10,23 Proz.) keine Zinsen. Das Jahr 1893/94 hatte mit einem Fehlbetrage von 46 Mill. Doll. abgeschlossen, der sich zwar für 1894/95 um 16 Mill. Doll. verminderte, doch haben zahlreiche Gesellschaften neue Anleihen aufgenommen oder ihre Reserven angegriffen, um Dividenden u. s. w. zahlen zu können; in den beiden Jahren machten diese Beträge 76 Mill. Doll. aus.

Durch die Krisis im J. 1893 sind 74 Eisenbahngesellschaften mit einem Umfange von 29340 Meilen (= 47237 km) und einem Anlagekapital von über 7 Milliarden M. in die Hände von Massenverwaltern gekommen. Darunter befanden sich einige der hervorragendsten Bahnen, wie die Philadelphia and Reading- (6310 km), die Northern Pacific- (8390 km), die Union Pacific-Eisenbahn (13110 km) u. s. w. In den J. 1884-94 sind im ganzen bei 347 Bahnen von 130940 km Länge und mit einem Anlagekapital von 4271,372 Mill. Doll. Zwangsverwaltungen eingesetzt. Zwangsverkäufe haben von 1876 bis 1894 bei 593 Bahnen mit einer Länge von 100681 km und einem Anlagekapital von 3528,125 Mill. Doll. stattgefunden. Am 1. Juli 1895 befanden sich 169 Gesellschaften mit Bahnen von 37856 engl. Meilen Länge und einem Anlagekapital von 2432 Mill. Doll. (der vierte Teil des Gesamtanlagekapitals der amerik. Eisenbahnen) in Konkurs.

Die Eisenbahnen sind sämtlich Privatbahnen und befinden sich im Eigentum von 1965 Eisenbahngesellschaften, von denen jedoch 1894/95 nur 788 selbständig ihren Betrieb führten. Die Gesellschaften haben von der Regierung vielfach bedeutende Landschenkungen erhalten, die Central- und die Union-Pacific-Eisenbahngesellschaft unter andern auch einen Geldvorschuß von 275 Mill. M. Die Staatsaufsicht erstreckt sich wesentlich auf den Betrieb, insbesondere die Mehrung der Betriebssicherheit und auf das Tarifwesen (s. Eisenbahnrecht und Eisenbahntarife). Die Folge dieser mißlichen Zustände ist eine Konkurrenz zwischen den Eisenbahnen, heftige Tarifkriege, durch die Handel und Verkehr, aber auch die Finanzen der Eisenbahnen sehr geschädigt werden, und schließlich die mehr und mehr fortschreitende Vereinigung der Eisenbahnen zu gewaltigen Monopolen mit allen den Gefahren, die mit der Ausübung solcher Monopole durch unverantwortliche Privatunternehmer verbunden sind.

Von den größern Eisenbahngesellschaften sind außer den Pacific-Eisenbahnen (s. d.) und den unter Amerika (s. d., Eisenbahngesellschaften) angeführten Eisenbahnen noch besonders zu erwähnen die sog. Trunk Lines (s. Trunk-Eisenbahnen) zwischen dem Atlantischen Ocean und den Großen Seen, die Boston- und Maine-Eisenbahn (2080 km), die Maine-Central-Eisenbahn (1322 km), die Baltimore- und Ohio-Eisenbahn (3305 km), die Neuyork-Central- und Hudson-River- (4140 km, Hauptbahn der Familie Vanderbilt, s. d.), die Neuyork Lake Erie and Western- (3170 km), die Neuyork-, Ontario- and Western-Eisenbahn (767 km), die Cleveland-Columbus-Cincinnati-St. Louisbahn (2977 km); ferner die verschiedenen von Chicago nach allen Richtungen sich erstreckenden großen Eisenbahnnetze, darunter die Chicago-Northwestern (6875 km), die Chicago-Milwaukee-St. Paul (9210 km) und die Chicago-Rock-Island-Pacific (5808 km). Ein großes Netz umfaßt die im Südosten belegene Louisville-Nashville-Eisenbahn (7651 km einschließlich der von ihr mit betriebenen Strecken). Die angrenzende Missouri-, Kansas- und Texas-Eisenbahn hat eine Ausdehnung von 2953 km; als eine der großartigsten Gebirgsbahnen der Welt, die die schönsten Gegenden der Felsengebirge durchzieht, gilt die schmalspurige Denver-Rio Grande-Eisenbahn (2706 km). Den demokratischen Sitten und großen Entfernungen entsprechend, fällt das Klassen- und Coupésystem europ. Bahnen ganz fort. Man kann durch einen Personenzug ganz hindurch wandern, und Zeitungen, Erfrischungen, Schlafeinrichtungen u. s. w. sind allgemein erhältlich. - Vgl. von der Leyen, Die nordamerik. Eisenbahnen in ihren wirtschaftlichen und polit. Beziehungen (Lpz. 1885); ders., Die Finanz- und Verkehrspolitik der nordamerik. Eisenbahnen (2. Aufl., Berl. 1895); Röll, Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens, Bd. 1 (Wien 1890); Archiv für Eisenbahnwesen (1889-97); Poor, Manual of the railroads of the United States (Neuyork, jährlich).

Im Verhältnis zu den Bahnen ist das Kanalnetz zwar unbedeutend, aber für das Frachtwesen stellenweise sehr wichtig. Kanäle (3800 km) giebt es besonders in Ohio, Pennsylvania, Neuyork und Illinois. Die Landwege sind meist in schlechtem Zustande.

Die Handelsflotte belief sich 30. Juni 1896 auf 22908 Fahrzeuge mit 4,70 Mill. Registertons,