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Vögel
Verweilen der Nahrungsmittel im Schnabel; eine Ausnahme machen in letzterer Beziehung die weichzüngigen Papageien und Enten. Das Gesicht hat meist eine bedeutende Schärfe, die durch eine leichte Accommodation des Auges verstärkt wird. Der Geruch ist stets stumpf, mag bisweilen sogar völlig fehlen, die Nase ist niemals beweglich, ihre Öffnungen auf dem Schnabel angebracht. Ausgezeichnet scharf ist, obgleich ein äußeres Ohr nur bei einigen Eulen wohl entwickelt ist, das Gehör.
Die Fortpflanzung der V. geschieht durch Eier, die, mit einer harten Kalkschale umgeben, das von mehrern Häuten umschlossene Eiweiß und den Dotter enthalten und außerhalb des mütterlichen Körpers durch dessen, oft auch des väterlichen Körpers Wärme, häufig unter Auftreten entzündeter Stellen (Brutflecken) an der Unterseite des Leibes, bebrütet oder durch die der Sonne gereift werden. Ein mehr oder minder künstliches Nest (s. d.), oft auch ein einfaches Baum-, Erd- oder Felsenloch, in seiner wechselnden Beschaffenheit der Lebensweise des Vogels angepaßt, dient zur Aufnahme der Eier und Jungen. Letztere sind entweder sogleich fähig, sich ihre Nahrung meist unter Anleitung der Alten zu suchen (Nestflüchter, Pippel, Autophagae), oder müssen längere Zeit von denselben geätzt werden (Nesthocker, Paedotrophae, Insessores), wobei besonders die in monogamer Ehe lebenden viele Zärtlichkeit entwickeln. Größere Raubvögel legen bei jeder Brut nur 1 bis 2, kleinere bis 6, Singvögel 8 bis 10, Haushühner 40 bis 50 und mehr Eier jährlich, die fast bei allen V. im allgemeinen dieselbe Grundgestalt, aber sehr verschiedene Farben zeigen. Nicht bloß der Kunsttrieb, sondern auch die Geselligkeit vieler V. wird durch den Fortpflanzungstrieb mächtig erregt. Zum Schutze der Brut entstehen bei manchen kolossale, gemeinsam verteidigte Niederlassungen. Andere, denen die Winterkälte nur kurzes Verweilen in ihrer eigentlichen Heimat gestattet, kehren alljährlich in großen Scharen vereinigt zum Brüten dahin zurück. In vollständiger, selbstgefälliger Einsamkeit hingegen leben die großen Raubvögel. Alle V. wechseln zu bestimmten Jahreszeiten ihr Gefieder (Mauser, s. d.) und erscheinen in entgegengesetzten Jahreszeiten verschieden gefärbt (Sommerkleid [s. d.] oder Hochzeitskleid und Winterkleid). Mitunter muß ein junger Vogel sein Gefieder (Jugendkleid) mehrmals wechseln, ehe er die stehende Färbung des reifern Alters erreicht.
Hinsichtlich ihrer geistigen Fähigkeiten stehen, abgesehen von dem erwähnten Kunsttriebe, die V. im allgemeinen sehr niedrig, mit Ausnahme der Papageien und Raben. Was die Lebensdauer betrifft, so leben kleine Singvögel oft 15 und mehr Jahre in der Gefangenschaft, und Papageien haben in diesem Zustande schon drei Generationen derselben Familie überlebt. Hinsichtlich ihrer geographischen Verbreitung sind die V. viel weniger durch Gebirge, Meere, Wüsten beschränkt als Säugetiere. Gute Segler überfliegen solche Räume in wenig Tagen, ja manche V. thun dies periodisch in jedem Jahre (Zugvögel). Auf vielen oceanischen Inseln finden sich V. ohne irgend welche Säugetiere. Häufig haben sie nicht einmal einen bestimmten Wohnsitz, sondern ziehen auf größern Strecken Nahrung suchend periodisch umher (Strichvögel). Andere behalten jedoch beständig denselben Aufenthaltsort (Standvögel). Einzelne Gruppen finden sich freilich nur in bestimmten Gegenden, z. B. die Kolibris in Amerika, die Paradiesvögel auf Neuguinea und den benachbarten Inseln, die Alke in den nördl., die Pinguine in den südl. Polarmeeren. Der freie Verkehr der V. durch den unermeßlichen Luftraum, der vielen eigene heitere Gesang, ihre oft glänzenden Farben u. s. w. haben stets auf den Menschen eigentümlichen Eindruck gemacht und gerade dieser Tiergattung im Zeitalter naiver Naturanschauung etwas Mystisches beigelegt.
Auf den Flug der V. gründete man daher eine besondere Kunst der Wahrsagung (s. Auspizien). Die Religion entnahm von ihnen manche ihrer Symbole, die Dichtkunst versuchte sich frühzeitig an ihrer Verherrlichung. Ökonomisch betrachtet sind die V. durch ihr Fleisch, das fast bei keinem Vogel ungenießbar, bei manchen allerdings widrig riechend und von thranigem Geschmack ist, durch ihre Federn, ihren Mist (Guano), durch Vertilgung schädlicher Tiere sehr nützlich; dagegen schaden sie dem Menschen auch oft durch Beraubung der Felder und Gärten und durch Erwürgen zahmer Tiere.
Ein genügendes System der V. aufzustellen, ist bei der großen Zahl und der gegenseitigen Verwandtschaft der Gruppen noch nicht möglich gewesen. Die ältere Systematik nahm zwei große Vogelgruppen an: die erwähnten Nesthocker und Nestflüchter. Aber zwischen beiden giebt es erstens mancherlei Übergänge und dann sind verwandte V., wie unter den Watvögeln und Schwimmvögeln, teils Nesthocker, teils Nestflüchter. Neuerdings legt man auf das Vorhandensein oder Fehlen eines Brustbeinkamms ein großes, ja wahrscheinlich zu großes Gewicht (s. Straußvögel) und unterscheidet danach V. ohne Brustbeinkamm (Ratidae, nur die Straußvögel) und V. mit einem solchen (Carinatae, alle andern V.). Am besten erscheint das von J. V.^[Julius Victor] Carus vorgeschlagene System zu sein, mit der Modifikation, daß man die Störche (Ciconiae) mit den übrigen Stelzvögeln (Grallae) wieder zu einer Ordnung (Grallatores) vereinigt, von den Tauchern (Urinatores) aber die Pinguine als eigene Ordnung (Sphenisci) abtrennt. Man erhält dadurch folgende 15 Ordnungen: 1) Papageien (Psittaci), 2) Kuckucksvögel (Coccygomorphae), 3) Spechte (Pici), 4) Langhänder (Macrochires), 5) Sperlingsvögel (Passerinae), 6) Raubvögel (Raptatores), 7) Tauben (Gyrantes), 8) Hühnervögel (Rasores), 9) Straußvögel (Brevipennes), 10) Stelzvögel (Grallatores), 11) Siebschnäbler (Lamellirostres), 12) Ruderfüßler (Steganopodes), 13) Langflügler (Longipennes), 14) Taucher (Urinatores), 15) Pinguine (Sphenisci). Abbildungen derselben finden sich auf den zu den betreffenden Hauptartikeln gehörigen Tafeln: Papageien, Kuckucksvögel u. s. w.
Auch die Verwandtschaftsverhältnisse der einzelnen Ordnungen zu einander sind bis jetzt noch nicht klar zu stellen. Besonders wichtig sind in neuester Zeit die fossilen V. geworden, da dieselben durch Zähne in den Kiefern und manche andere Eigentümlichkeiten auf die Entstehung des Vogeltypus aus Reptilien hindeuten. Der älteste Vogel wurde in den lithogr. Schiefern von Solnhofen gefunden (Archäopteryx, s. d.); andere Gattungen (Hesperornis, Ichthyornis) in der Kreide von Kansas (Nordamerika). Alle diese Gattungen hatten Zähne in den Kiefern. Reste gewaltiger Riesen-^[folgende Seite]