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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arbeiterfrage (Lohnsystem)
ganzen machen die "Amtlichen Mitteilungen" doch den Eindruck, daß die Fabrikaufsichtsbeamten einen unausgesetzten hartnäckigen Kampf führen müssen, um dem Gesetz nicht nur bei Unternehmern und Arbeitern, sondern auch bei den Behörden, Staatsanwälten und Gerichten Anerkennung zu sichern. Die wichtigsten Reformforderungen werden außer der Trennung von Kessel- und Gewerbeinspektion sein: Schaffung einer Centralinstanz für das Deutsche Reich, Ausstattung des Inspektionspersonals mit einer Unabhängigkeit, die Garantien dafür bietet, daß alles an die Öffentlichkeit kommt, was für sie bestimmt ist, Hinzuziehung von Ärzten, Ausdehnung auf Handwerk, Hausindustrie und Handel.
Besonders lebhaft wird neuerdings von mehrern Seiten die Ernennung weiblicher Fabrikinspektoren befürwortet. Man verlangt sie, weil man denkt, dich es Frauen leichter sein möchte, in denjenigen Industrien, die vorzugsweise oder ausschließlich Arbeiterinnen beschäftigen, diese zur Äußerung ihrer Beschwerden zu veranlassen, vielleicht auch aus Gründen der Sittlichkeit, und beruft sich gern auf das Vorgehen anderer Kulturstaaten. In der That kennt Frankreich diese Einrichtung seit 1874, und seit 1892 giebt es dort 15 Inspektorinnen, von denen 10 in Paris, 5 in den Provinzen thätig sind. Über die Wirksamkeit einer derselben, der Inspektrice von Rouen, die die Arbeiterinnen in Rouen, Le Havre, Dieppe, Elbeuf u. s. w. überwacht, hat der Jahresbericht der Fabrikinspektoren für 1894 sich sehr anerkennend geäußert, ihren Eifer und ihre Korrektheit gerühmt. In dieser Auslassung wird gewünscht, daß alle wichtigern Industriemittelpunkte weibliche Inspektoren bekämen. Wie sich die andern Damen bewährt haben, hebt der Bericht nicht hervor, der überhaupt noch nicht seither auf die principielle Seite der Frage einging. In England wurden zum erstenmal 1893 zwei Inspektricen eingesetzt, die schon im folgenden Jahre auf vier vermehrt wurden, und auch hier hat sich der Centralinspektor in seinem Bericht für 1894 lobend über die neue Einrichtung geäußert. Ihre Notwendigkeit und Nützlichkeit begründet er damit, daß es der weiblichen Arbeiterschaft, die noch dazu der Berufsvereinigungen entbehrt, an einem Organ seither gefehlt Hütte, ihre specifischen Bedürfnisse zu vertreten und an geeigneter Stelle zum Ausdruck zu bringen. Nur den weiblichen Beamtene würde es möglich sein, die richtige Annäherung und Fühlung mit der Arbeiterin in allen Punkten zu gewinnen. Sehr großer Verbreitung erfreut sich das weibliche Fabrikinspektorat min Nordamerika, wo es fast in allen Staaten, in denen eine größere Anzahl von Frauen industriell beschäftigt wird, eingeführt ist. In Österreich haben im Mai 1896 16 Wiener Frauenvereine eine mit etwa 8000 Unterschriften versehene Eingabe an das Abgeordnetenhaus gemacht, in der sie unter Hinblick auf die oben durchgeführte Enquete über Frauenarbeit unter anderm die Anstellung weiblicher Inspektoren verlangten, denen speciell die Überwachung der Verhältnisse der weiblichen Arbeiterschaft übertragen werden soll. In Deutschland agitierten bereits in den J. 1884 und 1885 die damals in der deutschen Arbeiterinnenbewegung stehenden Frauen für den Gedanken, und die Socialdemokraten haben auf ihren Parteitagen seit 1892 nicht unterlassen, darauf bezügliche Anträge zu erörtern. Im Okt. 1894 wurde dann auf einer Versammlung der Leipziger Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins die Notwendigkeit weiblicher Fabrikinspektoren zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht, und schließlich hat der "Bund Deutscher Frauenvereine" den verschiedenen Handelsministerien eine Petition wegen Anstellung weiblicher Inspektoren unterbreitet. Der preuß. Regierungsvertreter hat sich in der Petitionskommission des Abgeordnetenhauses durchaus nicht ermunternd dazu geäußert, vielmehr die Reform unter Hinweis auf die nicht vorhandene technische Vorbildung der Frauen und auf das zweifelhafte Verständnis, das eine staatlich angestellte Fabrikinspektrice bei der Arbeiterbevölkerung finden würde, abgelehnt. Immerhin hat man hier, wie in Baden, wo die Erste Kammer des Landtags 25. Jan. 1896 über die Eingabe verhandelte, und wo der Kommissionsbericht Übergang zur Tagesordnung beantragt hatte, sich doch dazu verstanden, die Petition der Regierung zur Kenntnis zu überweisen. Im Großherzogtum Hessen hat sich die Erste Kammer gerade infolge lebhafter Befürwortung der Großindustriellen unter ihren Mitgliedern für die weibliche Fabrikinspektion ausgesprochen. In der Zweiten Kammer aber stand 15. Febr. 1896 der Antrag des Ausschusses zur Debatte, die Regierung zu ersuchen, "im nächsten Staatsbudget einen Ausgabeposten vorzusehen, um den Fabrikinspektoren weibliche Assistenz beizuordnen". Die Diskussion drehte sich hier gar nicht mehr um das Princip, sondern darum, ob weibliche Assistenten oder selbständige weibliche Fabrikinspektorinnen angestellt werden sollten. Man entschloß sich für Anstellung, mehrerer weiblicher Inspektionsassistenten, und so wird sich vermutlich die Hess. Regierung das Verdienst erwerben, in dieser Angelegenheit von zweifelloser Bedeutung bahnbrechend vorgegangen zu sein.
Lohnsystem. Unter den Maßregeln zur Verbesserung des heutigen Lohnsystems ziehen namentlich die Gewinnbeteiligung und das Prämiensystem die Aufmerksamkeit auf sich. Die Gewinnbeteiligung machte in den letzten Jahren stetige, wenn auch langsame Fortschritte; besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika und in England. Auch aus Frankreich, wo die Idee zuerst aufgetaucht ist, sind einige neue Fälle zur Kenntnis gekommen, während in Deutschland und in andern Ländern keine bedeutenden Erfolge zu erkennen sind. Es soll gegenwärtig in Großbritannien, Frankreich und Amerika übrigens auch nicht mehr als 100 Firmen geben, die diesem System huldigen, und in allen andern Staaten zusammen vielleicht 50. Diese Statistik, wie unvollständig sie immer sein mag, beweist allein zur Genüge, wie wenig Aussicht auf eine allgemeine Anwendung des Systems vorhanden ist. In den Vereinigten Staaten sind (1892) die dortigen Anhänger der Idee zu einem Vereine (Association for the promotion of profit sharing) zusammengetreten, dessen Schriftführer, Gilman, eine eigene Zeitschrift herausgiebt.
Das Prämiensystem ist neuerdings von einem Amerikaner Halsey empfohlen worden als ein Mittel, den Arbeiter zu der höchsten physisch möglichen Leistung zu veranlassen. Es basiert darauf, daß für jede Stute, die der Arbeiter bei Herstellung der betreffenden Arbeit weniger gebraucht, als der Voranschlag vorgesehen, er eine auf einer vereinbarten Skala basierte Prämie erhält. Es ist aber offenbar dieses System, das gegen Ende des J. 1895 in einigen Webereien Augsburgs Eingang gefunden hat, nicht so im Interesse der Arbeiter, als es den Anschein hat. Hohe Prämien zu erreichen, gelingt nur wenigen sehr geschickten Arbeitern.Die Mehr-^[folgende Seite]