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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Christlich-lateinische Litteratur

mittelalterlichen Weltchroniken. Ein wichtiges Denkmal der Zeit sind endlich die Briefe des Hieronymus, die zuweilen zu bedeutenden Abhandlungen anschwellen. - Augustinus von Tagaste (353-430), der gewaltigste und tiefste Denker, der umfassendste Geist seiner Zeit, schrieb als Bischof von Hippo Regius die erste Philosophie der Geschichte vom christl. Standpunkte aus, das berühmte Werk "De civitate Dei" in 22 Büchern. Veranlassung hierzu gab ihm die Einnahme Roms durch die Westgoten, welche nach Ansicht der Heiden durch das Christentum verschuldet war. Von einem dogmatisch-dualistischen Standpunkte aus untersucht er die ganze Geschichte und legt sie als Kampf und Sieg des "Gottesstaates" gegenüber dem "Teufelsstaat", oder des Guten gegenüber dem Bösen dar. Die exakte Wissenschaft wie die Spekulation des Mittelalters hat aus diesem Werke die reichste Nahrung gezogen. Ferner sind zu erwähnen seine "Confessiones", die über sein Leben bis zum 43. Jahre Aufschluß geben, sowie die "Retractationes" aus dem J. 427, in welchen er über seine litterar. Thätigkeit handelt, und seine Briefe, die die Bedeutung seiner Persönlichkeit, seines Wirkens und Thuns in helles Licht setzen. - Von Bearbeitern der Kirchengeschichte sowie der Weltgeschichte in christl. Sinne sind hauptsächlich drei bedeutende Männer aus dem 4. und 5. Jahrh. zu nennen. Tyrannius Rufinus aus Aquileja (etwa 345-410) bearbeitete und übersetzte etwa 402 die bis 324 reichende Kirchengeschichte des Eusebius in neun Büchern und führte sie in zwei weitern Büchern bis 395 fort. Obwohl er in diesem Werke nicht eben wissenschaftlich verfuhr, diente seine Übersetzung dem Mittelalter fast ausschließlich für die genauere Kenntnis jenes Gebietes. Sulpicius Severus aus Aquitanien (etwa 365-425), erst Jurist, dann schwärmerischer Verehrer des heil. Martin von Tours, verfaßte um 400 in glänzendem Stile seine zwei Bücher "Chronica" ("Historia sacra"), eine Bearbeitung der Geschichte der Welt von der Schöpfung bis auf seine Zeit (400), die für gebildete Kreise berechnet war. Dieses lebendig und schön geschriebene und zugleich wissenschaftliche Werk war zu wenig auf die Erbauung berechnet und ist daher im Mittelalter fast verschollen gewesen. Sonst hat Severus das Leben und die Wunder des heil. Martin in zwei Werken beschrieben, die zu den gelesensten des Mittelalters zählen. Der span. Presbyter Paulus Orosius schrieb um 417 als Weiterführung des Buches III von Augustins "De civitate Dei" seine sieben Bücher "Historiarum adversus paganos". Es ist eine Weltgeschichte vom apologetisch-christl. Standpunkte, gegliedert nach den vier Weltmonarchien, der babylonischen, macedonischen, karthagischen und römischen, bestimmt zur Widerlegung des Vorwurfs, daß das Christentum schuld sei an dem mit der Völkerwanderung hereinbrechenden Unglück, während der heidn. Kultus das Glück der Welt gesichert habe. Orosius beginnt mit Adam und schließt mit dem J. 417; er erzählt hauptsächlich nach Livius, Justinus und Hieronymus’ Übersetzung des Eusebius. - Im 5. und 6. Jahrh. erhielt die Chronik des Hieronymus Fortsetzungen von teilweise provinzieller Art durch den Aquitanier Prosper bis 455, von dem Spanier Idacius (Hydatius) bis 468 und dem Illyriker Marcellinus Comes bis 534 (Ausgabe von Roncalli, "Vetustiora latinorum scriptorum chronica", Padua 1787). Ebenfalls dem 6. Jahrh. gehört Cassiodorius (s. unten) mit seinem "Chronicon" an, von Adam bis 519, beruhend auf Eusebius, Hieronymus, Prosper u. a. Ferner schließen sich die Verfasser zweier berühmten Volksgeschichten an. Der Ostgote Jordanes verfaßte 551 das Werk "De origine actibusque Getarum", dem Cassiodors gleichnamiges Werk zu Grunde liegt. Cassiodor hatte die Geten mit den Goten gleichgestellt und versuchte in seiner Volksgeschichte eine Aussöhnung der Römer mit ihren got. Beherrschern anzubahnen. Der Auszug des Jordanes ist wie das Hauptwerk geographisch-historisch und von hohem Werte für die Geschichte der ältern Zeit. Das Frankenreich fand seinen Historiker an dem Bischof Gregor von Tours (538-594), der 591 seine zehn Bücher der "Historia Francorum" vollendete. Der lat. Schriftsprache unkundig, hat Gregor hier in der roman. Volkssprache ein an Frische und Naivetät unvergleichliches Denkmal der geistlichen wie der weltlichen Verhältnisse des Merowingerreichs hinterlassen. Der geistliche Standpunkt beherrscht ihn vollständig: er will den Sieg des rechten Glaubens über Ketzerei und Heidentum durch seine Darstellung verherrlichen. Endlich ist noch zweier Geschichtschreiber der brit. Inseln zu gedenken. Gildas Sapiens aus Bath (etwa 516-573) schildert in seinem Werke "De excidio Britanniae" die Drangsale und Leiden seiner Heimat seit der angelsächs. Eroberung, indem er sie als eine von Gott verhängte Strafe nachzuweisen sucht (Ausgaben von J.^[Joseph] Stevenson, Lond. 1838, und San-Marte, Berl. 1844). Beda, Presbyter in Northumberland (674-735), vollendete 731 das bedeutendste seiner Werke: "Historia ecclesiastica gentis Anglorum", in fünf Büchern. Diese Schrift gründet sich auf die besten erreichbaren Quellen und giebt in verhältnismäßig reiner Sprache eine vortreffliche Übersicht über die Kirchen- und Gelehrtengeschichte der angelsächs. Reiche bis 731. In diesem Sinne blieb es für lange Zeit das unerreichte Muster einer treuen und vorurteilslosen Gcschichtsdarstellung.

Auf dem Gebiete der Encyklopädie u. s. w. bleiben, wenn man von dem Neuplatoniker Martianus Capella absieht, dessen Werk "De nuptiis Philologiae et Mercurii" die sieben freien Künste behandelt und von größtem Einfluß auf die christl. Litteratur des Mittelalters war, wenigstens zwei bedeutende Erscheinungen aus sehr später Zeit. Magnus Aurelius Cassiodorius Senator (etwa 480-575), der Begründer der wissenschaftlichen Richtung des eben begründeten Benediktinerordens, war seit 540 unausgesetzt thätig für die Bildung und Belehrung der Mönche, nachdem er vorher im Dienste der ostgot. Könige eine große histor.-polit. Wirksamkeit auch litterarisch entfaltet hatte. Seine Briefe, Erlasse und Verfügungen liegen in den "Variae" gesammelt vor (Ausgabe von Th. Mommsen, Berl. 1894). Seine spätern Werke dienen hauptsächlich dem Zweck, die Klöster nicht bloß zu Stätten der christlichen, sondern auch der klassischen Wissenschaft zu machen. Das wichtigste ist eine allgemeine Encyklopädie "Institutiones divinarum et humanarum litterarum", die dem Mangel einer christl. Universität in Rom abhelfen sollte, welche er mit Papst Agapet hatte begründen wollen. Da letztere nicht zu stande kam, schrieb Cassiodor eine geistliche und eine weltliche Encyklopädie für alle Kleriker unter obigem Titel; er sucht ihnen hierin das notwendige Wissen zu vermitteln. Das letzte seiner Werke: "De orthographia",

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