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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Diphtheritis
Organen. Die Veränderungen an der Injektions-
stelle entsprechen denjenigen, welche bei Injektion
der Vacillen auftreten, die in den innern Organen
betreffen hauptsächlich die serösen Häute und die
Nebennieren, welche stark hyperämisch sind. Bei
Injektion des Toxins treten deutlicher als bei In-
jektion der Bacillen Lähmungen auf, und zwar be-
sonders bei den Tieren, welche gegen T>. weniger
empfänglich sind (Hund, Katze, Taube, Kaninchen).
Diese Lähmungen können sich wieder zurückbilden,
in der Regel geht jedoch das Tier unter Abmage-
rung zu Grunde. Wenn das Tier von einer Kultur
nur so viel injiziert erhält, daß es nicht daran
stirbt, so tritt eine Immunität auf, so daß das Tier,
selbst wenn ein Vielfaches der sonst tödlichen Dosis
injiziert wird, nicht zu Grunde geht. Die immuni-
sierenden Stoffe scheinen neben dem Törin in den
Kulturen gebildet zu werden; sie besitzen einen hohen
Phosphoraehalt, passieren im Gegensatz zu den
Toxalbnmmen, wenn überhaupt, nur schwer Thon-
filter und werden bei 100" 0. zerstört, während sie
ein Erhitzen auf 70" ohne Schaden vertragen. Diese
Körper rufen die Immunität nicht direkt hervor,
sondern dadurch, daß sie die Bildung eines Anti-
körpers im lebenden Gewebe veranlassen. Die
Virulenz einzelner Kulturen ist verschieden. Wenn
nun auch nicht der klinische Verlauf der Krankheit
vollkommen der Virulenz der Bakterien parallel
geht, sondern vor allem von der Neaktiou des Or-
ganismus abhängig ist, so scheint doch der Grad
der Virulenz von Einfluß auf den Charakter der
Epidemie: wo hohe Virulenzgrade fehlen, wird die
Epidemie milder verlaufeu, ebenso können das ge-
häufte Austreten von Lähmungen, besonders schwere
Herz-, Nierenerscheinungen u. dgl., auf besondere
Rasseneigentümlichkeiten der Bacillen einer Abstam-
mung zurückzuführen sein. Von diesen minder
virulenten oder ganz ungiftigen Nassen des echten
Diphtheriebacillus sind streng zu unterscheiden die
zuweilen im Munde vorkommenden Pseudo-
diphtheriebacillen, welche eine morphologisch
und kulturell abweichende Art darstellen.
Die diphtherischen Prozesse treten am häufigsten
auf an der Schleimhaut der Nase und des Kebl-
kopfes und folgen dem Respirationswege, während
sie sich viel seltener auf andern Schleimhäuten (der
Konjunktiva, Vaginalschleimhaut u. s. w.) aus-
breiten. Nächstdem sind die anatom. Verhältnisse
bestimmend: die Beschaffenheit des Epithels, des
darunter liegenden Gewebes, vielleicht auch beson-
dere die Vacillen anlockende oder ihr Wachstum be-
günstigende Sekrete, wozu besonders diejenigen Blut-
bestandteile gehören, die aus deu durch die Torine der
Bacillen geschädigten Gefäßen austretenund Pseudo-
membranen bilden. Allein die Bacillen beschränken
sich nicht auf die Membranen, sondern dringen
einerseits in die Tiefe der Gewebe ein und finden
sich andererseits in der Umgebung in der dünnen,
das Epithel überziehenden Schleimschicht. Diese Va-
cillen sind es, welche das Fortkriechen der Membranen
bewirken. Die von ihnen produzierten Giftstoffe
können, da sie unmittelbar der Schleimhaut auf-
liegen, sofort resorbiert werden, und schließlich wer-
den die Vacillen mit dem Speichel, dem Nasen-
oder Vronchialsekret des Kranken fortgeschwemmt
und verleihen so einem anscheinend ungefährlichen
Auswurfe ansteckende Eigenschaften. Wie bei der
weitern Ausbildung der Membranen zuerst die
Bacillen vorhanden sind, so treten auch bei der
ersten Erkrankung die Membranen erst auf, nach-
dem die Bacillen durch ihre Toxine die Gewebe ge-
schädigt haben. Nach dem Abstoßen der Membranen
können stets noch lange Zeit, Wochen-, selbst monate-
lang , virulente Bakterien im Munde nachgewiesen
werden. Außer auf den Schleimhäuten sind Diph-
theriebakterien auch vereinzelt an Wunden nach-
gewiesen worden; allein bei weitem nicht alle Wund-
krankheiten, welche durch Infiltration, Zerfall und
oberflächliche Nekrose zur Bildung eines weißlichen
Belages auf der Oberfläche führen, sind durch den
Diphtheriebacillus verursacht; die geringe Empfäng-
lichkeit der Wundfläche für das diphtherische Gift
wird am besten bewiesen durch das seltene Vorkom-
men der dipbtherischen Erkrankung bei der geradezu
ununterbrochen der Insektion ausgesetzten Wunde
des Luströhrenschnittes.
Eine Vermehrung der Diphtheriebacillen außer-
halb des menschlichen Körpers ist nicht anzunehmen,
die menschliche Schleimhaut ist als die einzige in
Betracht kommende Brutstätte anzusehen. Von hier
aus können sich die Bakterien auf zweierlei Weife
verbreiten: entweder kommen sie direkt, wenn sie
durch Aushusten, Küssen, Benutzen der gleichen
trageir werden, wieder auf einen geeigneten Nähr-
boden, oder, was häufiger ist, es gelangen die diph-
tberiscben Produkte auf leblose Gegenstände:
Wäsche, Gebrauchgegenstände, Eßwaren, Spiel-
sachen, Möbel und Fußboden. Da die Vacillen
gegen Austrocknen sehr widerstandsfähig sind,
können sie sich dort lange lebensfähig erhalten und
gelangen dann wieder auf die Schleimhaut durch
Kontaktübertragung. Ein Transport durch die Luft
auf weitere Entfernungen hin, so daß die Berüh-
rungen nicht mehr in Konkurrenz treten und die
Luft mithin eine specifisch gefährliche Infektions-
quelle repräsentiert, scheint nicht stattzufinden, weil
die Diphtheriebacillcu bei dem Grade von Trocken-
heit, den Luftstäubchen haben muffen, wenn sie leicht
transportierbar sein sollen, absterben. Als Art der
Übertragung durch die Luft kommt vielleicht in Be-
tracht, daß beim Husten feinste Wasserbläschen aus-
gestoßen und durch Luftströme fortgetragen werden,
und so die Träger des Insektionsstoffes sein können.
Allein meist läßt sich mit Sicherheit eine Kontaktinfek-
tion nicht ausschließen. Wenn Infektionsstoffe auf
leblose Gegenstände gelangen, kommt es nur darauf
an, ob sie dort konserviert werden. Die Konservie-
rung und Wciterverbreitung der Bacillen nun wird
von Einflüssen unserer natürlichen Umgebung oder
von Sitten und Gebräuchen abhängen. Niedrige
Temperatur, feuchte Luft und Dunkelheit schützen
die Vacillen am besten vor dem Absterben. Ferner
wird für die Häufigkeit der Erkrankung Erleichte-
rung oder Erschwerung des Transportes des Konta-
giums ausschlaggebend sein. Dichtes Zusammen-
wohnen, häusiges Küssen, Verzehren eines Nahrungs-
mittels, gemeinsames Spielzeug u. s. w. werden die
Übertragung begünstigen. Bei den Ärzten und im
größcrn Publikum besteht noch vielfach die Mei-
nung, daß bestimmte Häuser und Stadtteile von der
Seuche mehr gefährdet sind, daß sog. Diphtherie-
herde bestehen. Allein diese lokale Disposition wird
meist dadurch vorgetäuscht, daß in den betreffenden
Häusern ein starker Wechsel der Bewohner statt-
findet, oder daß daselbst zahlreiche Kinder sind,
welche viel miteinander verkehren, wodurch die
Übertragung erleichtert wird. Von engl. und nord-