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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Nauru - Nazarener
socialen Volkslebens soll auf dem Boden eines prak-
tischen Christentums erfolgen, in welchem sich die ver-
schiedenen kirchlichen Richtungen vereinigen. Das
Wesentliche am Christentum ist die Person Jesu, den
N. als Volksmann darstellt. Von der Stöckerfchen
Richtung der Christlich-socialen unterscheidet ficd!
die Richtung N.s durch ihre schärfere Hervorhebung ^
des Arbeiterstandpunktes, den Gegensatz gegen die
Konservativen und das Fehlen des Antisemitismus.
Das 1893 festgesetzte Programm der Evangelischen
Arbeitervereine (s. d.) ist unter feiner hauptsächlichsten
Mitwirkung ausgearbeitet; im Nov. 1896 wurde er
zum ersten Vorsitzenden des National-socialen Ver-
eins (s. d.) gewählt. Er veröffentlichte: "Arbeiter-
tatechismus" (Calw 1889), "Was tbun wir gegen die
glaubenslose Socialdemokratie?" (Lpz. 1889), "Das
sociale Programm der evang. Kirche" (ebd. 1890),
"Was heißt Christlich-social?" (Heft 1, ebd. 1894;
2. Aufl. 1896; Heft 2, 1896), "Sociale Briefe an
reiche Leute" (Gott. 1894), "Jesus als Volksmann"
(ebd. 1894; heft 1 der von ihm herausgegebenen
"Göttinger Arbeiterbibliothek')).
Nauru oderNovodo, früher Pleasant Is-
land, mcist zu den Gilbertinseln gerechnete, poli-
tisch aber zum deutschen Schutzgebiet der Marsball-
inseln gehörige, einsam gelegene Insel der Süd-
see, fast unter dem Äquator und 167" östlich von
Greenwich, ist etwa 5 hkm groß und zäblte (Ende
1894) 1431 Eingeborene (627 männliche und 804
weibliche) sowie 7 Europäer und 1 Manilamann.
Die Insel besitzt keinen Hafen und ist rings von
einem steilen Korallenriff umgeben. Sie erhebt sich
terrassenförmig und oft von grotesken Korallon-
selsen mit zahlreichen Höblen unterbrochen bis zu
50-60 in höhe. Alle Höhen sind ziemlich dicht be-
waldet. In der Mitte der Insel befindet sich ein
großer, etwa 4^ in tiefer Fischteick und bei einem
schönen Palmenhain die Hauptsiedelung Buschdorf.
Da trockne und nasse Jahre abzuwechseln pflegen,
herrscht zuweilen Hungersnot. Hauptnahrungs-
quellcn sind die Kokospalmen und der meist bei
Fackelbeleuchtung betriebene Fischfang. Die ^pracke
der Eingeborenen ist fowohl von der der Marfhall-
infeln als auch der der Gilbertinfeln verschieden.
^Nazarener ist ferner der Name einer Sekte in
Südungarn, in Serbien (hier auch Neugläubige
InovovLi'c^ genannt) und in Kroatien (hier auch
Johannisbrüder ^Ivanova drac^ genannt), die
eng verwandt mit den Baptisten (s. o., Bd. 2) und
den Fröhlichianern ist. Der Gründer derselben ist
der fchweiz. Geistliche Samnel Heinrich Fröhlich
(geb. 1803 in Brugg im Kanton Aargau, gest.
1857), der eine Zeit lang als Missionar der engl.
Baptisten in seiner Heimat wirkte, unter dem Ein-
fluß des Pietismus und des Baptismus seine
Lehre bildete und Gemeinden in der Schweiz (be-
sondere in Hauptwyl im Kanton Thurgau) und im
Elsaß stiftete. Sein Gesangbuch "Neue Zionsharfe"
(Zür. 1855), mit Texten meist englisch-baptistischcn
Ursprungs, ist auch in magyarischer (1866 fg.), slo-
wakiscber (1882) und serbischer (Neusatz 1886) Über-
setzung gedruckt worden. Ein Schmicdegeselle aus
St. Peter im Zalaer Komitat, Namens Ludwig
Hemsey, gelangte um 1835 auf der Wanderung
nach Hauptwyl, schloß sich Fröhlich an und predigte
1840 die neue Lehre in Pest; die nächtlichen Zu-
sammenkünfte erregten bald die Aufmerksamkeit der
Behörden, und der neue Glaubensbote mußte in
die Schweiz flüchten, wo er 1843 in Zürich starb.
Den Namen N. entlehnte Hemsey den Anhängern
des Seidenwebers Joh. Jak. Wirz aus Basel. Die
Lehre verbreitete sich in Ungarn durch Hemseys Ge-
nossen besonders in den Gesängnissen und Straf-
bäusern. Der eigentliche Begründer des südungar.
Nazarenismns war Stephan Kalmar, Sohn eines
Wirtschaftsbeamten aus Pacser im Bäcser Komitat,
ein Mann mit Gymnasialbildung, der um 1854 in
seiner Heimat predigte und noch mit Fröhlich kor-
respondierte, aber von den Behörden in das Wiener
Irrenhaus gesperrt wurde und zu Hause als Winkel-
advokat starb. Die N. wurden unter dem Absolutis-
mus auf Betreiben des kath. und prot. Klerus ver-
folgt, eingekerkert und zwangsweise getauft. Unter
dem konstitutionellen Regime seit 1860 bewegten sie
sich freier und verbreiteten sich in den südungar.
Komitaten stark unter den der calvinischen Kirche
angehö'rigen Ackerbauern und Handwerkern. Ihre
MittelpunktesindjetztHödmezö-Väsärhelya.d.Theiß,
Szegedin, Temesvär und Theresiopel. Ihre Lehre ge-
langte aus dem magyar. Sprachgebiet in die slowak.
Kolonien Südungarns, dann aber auch zudenBana-
ter Rumänen, um 1865 zu den ungar. Serben und
um 1867 zu den kath. Kroaten lHyrmiens. Die
statist. Daten sind unsicher, da viele nur geheime An-
bänger der ^ekte sind. 1891 werden in Ungarn 6829
N. angegeben; Dimitrijevic giebt über 10000 an,
davon 4400 Serben und 1000 Rumänen, andere
Schätzungen beziffern sie mit über 40000. In
Kroatien-Slawonien tauchen sie nur im äußersten
Osten auf. Durch emigrierte Handwerker gelangten
sie auch nach Serbien, besonders nach Belgrad, wo
es an 100-200 N. geben soll. Die N. besitzen keine
feste Organifation. Die Gläubigen sind eingeteilt in
vollkommene Mitglieder ("Brüder und Schwestern")
und in noch sich vorbereitende neue Adepten ("Freunde
und Freundinnen"). Sie verwerfen die Kindertaufe
und taufen ihre Anhänger erst zwischen dem 7. bis
14. Lebensjahre, stets geheimnisvoll nachts in freier
Natur, wobei der Täufling bis zum Gürtel in einem
Fluß oder (^umpf untertaucht. Sie haben keine
Geistlichkeit, sondern nur Älteste (magyar. eiöiMo;
serb. 3wi'68ina) der Gemeinden, vor denen sie ihre
Ehen schließen. Ihr Gottesdienst besteht aus nächt-
lichen Zusammenkünften mit Gebeten und Lektüre
der Heiligen Schrift (befonders aus dem Psalter
und der Apostelgeschichte), sowie mit Predigten und
stiller, pictistisch thränenreicher Meditation; die Ge-
schlechter sitzen dabei gesondert und auch Anders-
gläubige haben freien Zutritt, wie denn die N. stets
eifrig um die Ausbreitung ihrer Lehre bemüht sind.
Sie verwerfen den Heiligen- und Reliquienkultus,
ebenso das Kreuz und die Bilder, sowie auch die Er-
richtung von Kirchen. Ihre Lebensweise ist streng sitt-
lich; das Singen weltlicher Lieder, Tanz und Musik,
Gastmähler und auch das Tabakrauchen sind ver-
pönt, ebenso die nichtgeistliche Litteratur. Dafür ist
ihre Belesenheit und Schlagfertigkeit in der Heiligen
Schrift groß. Bei dem sehr einfachen Begräbnis sind
die Verwandten nicht anwesend und dürfen über-
haupt nicht klagen. Die N. sind Gegner der welt-
lichen und höhern Bildung, des Handels und der
Industrie und schicken ihre Kinder ungern in die
Schule. Mit dem Staat kommen sie in Konflikt durch
ihre Gegnerschaft gegen den Eid und noch mehr
gegen den Kriegsdienst, weshalb viele schon jahre-
lange Kerkerstrafen durchgemacht haben. Die Sekte
ist kosmopolitisch und kennt keine Nationalität. Der
ungar. Staat hat sie als Konfession nicht anerkannt.