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Abhandlung von der Stadt Ulm

Bruder Felix Fabris, Druck der Buchdruckerei von Heinrich Frey, Ulm, 1909

Nach der Ausgabe des litterarischen Vereins in Stuttgart verdeutscht von Professor K. D. Haßler.

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Kirche bei die in alter Kunst angefertigten (Stein)-Bildwerke der alten Pfarrkirche, die oben in den Vorhallen und Giebelfeldern der Türen dieser Kirche angebracht sind. Es hat aber die Kirche folgende 9 besondere Vorzüge vor allen Pfarrkirchen in der ganzen Christenheit.

Erstlich ist sie eine größere Pfarrkirche als jede andere, sie ist nämlich weder eine Kollegiatkirche, noch eine bischöfliche, noch Abteikirche, sondern nur eine einfache Pfarrkirche, größer als viele bischöfliche und herrlicher als die meisten Patriarchenkirchen. Nicht jedoch wage ich sie mit der Sophienkirche in Konstantinopel zu vergleichen, welche die berühmteste auf dem ganzen Erdkreis ist, von 900 Priestern einst bedient, in wunderbarer Kunst und kostbarem Stoff erbaut, die jetzt leider der Unreinigkeit Mahomets unterworfen ist; wer diese war eine Patriarchenkirche.

Zweitens hat diese Kirche eine größere Schönheit als alle andern, nicht zwar im Schmuck der Wände oder in der Art des Bodenbelags oder den steinernen Bildwerken oder Gemälden oder der Vertäferung, sondern in dem Glanz des Lichtes, worin die eigentliche Schönheit besteht. Denn viele Kirchen habe ich gesehen, die an Kunst und Stoff glänzender sind, aber keine, die von so reichlichem Licht durchströmt, keine, die in allen Winkeln so hell ist wie diese; und sie hat keinen finstern Winkel oder schattigen Aufenthaltsort oder dunkeln Wohnraum, wie große Kirchen zu haben pflegen; auch hat sie keine verborgenen Kapellen, sondern sie sind zugänglich und hell.

Drittens ist sie reicher an Altären als alle Pfarrkirchen: denn sie hat 51 Altäre, die alle ihre Gebühren und Einkünfte haben und nicht von Fürsten oder edlen Herren oder Fremden, sondern von den Einwohnern von Ulm selbst begabt sind, und wie sie die Patrone der Kirche sind, so sind sie auch die Kollatoren (Besetzer) aller Altäre. Viele Altäre aber gibt es, die 5, einige, die 4, einige, die 3 Präbenden haben.

Und daraus folgt viertens, daß keine Kirche, die eben nur eine einfache Pfarrkirche ist, so viele Geistliche an der Zahl habe, als die Ulmer Kirche.

Fünftens ist diese Kirche reicher an freiwilligen Gaben als alle andern. Wer aber wissen will, wie groß ihre Gaben sind, die täglich durch das Ulmer Volk am Opferstock oder Opferbecken für ihren Batt (pag. 40), und an den Altären in Silber und Wachs zum Gebrauch des Herrn Pfarrers dargebracht werden, der erwäge die Kosten der Bauleute, die täglich arbeiten und von entfernten Orten die Steine herbeiführen, deren Ankauf und Herbeiführung eine unglaubliche Summe erfordert, weil die Steine dieser Kirche nicht von ulmischem Boden, sondern von entfernten Orten herbeigeführt werden; der erwäge überdies die prächtige Stellung des Herrn Pfarrers: denn er hat nicht die Stellung eines Stadtpfarrers oder Kanonikers (Stiftsherren) sondern nimmt die Stellung eines reichen Bischofs ein, der an seinem Hofe fünf Gehilfen und eine zahlreiche Dienerschaft hat; und doch hat er keine anderen Gebühren und Einkünfte als die freiwilligen Gaben seiner Untergebenen. Deshalb hat auch diese Pfarrei gewöhnlich einen ausgezeichneten, adeligen und gelehrten Mann, der einer solchen Pfründe würdig und wert ist.

Sechstens ist diese Kirche, ich sage es kühnlich, bevölkerter als alle andern in der ganzen Christenheit; denn obwohl sie so groß ist, so herrscht doch an Festtagen ein dichtes Gedränge bis an die Ecken des Altares, und wenn es keine Klöster gäbe, so könnte sie das Volk nicht