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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

auch nicht fähig, ohne solche überhaupt zu schaffen, und so ersetzten sie jene durch das "Vorbild" des Meisters. Dies war eigentlich schlimmer als der frühere Zustand. Die persönliche Eigenart des Künstlers kann in seinen Werken sich nicht ausprägen, sobald er ein Vorbild für maßgebend erachtet und nicht den Mut hat, anders zu handeln. Man glaubte zwar, alles wagen zu können und zu dürfen, aber es sollte nur in der Art und mit den Mitteln des Vorbildes geschehen. Daß man für ein neues Ziel auch neue Wege braucht, eine neue Aufgabe nur dann glücklich zu lösen ist, wenn man die hierzu erforderlichen Mittel sich erfindet, wurde nicht erkannt. Zwischen "Wollen" und "Können" eröffnete sich eine Kluft; nur im ersteren wurde man "schrankenlos", das letztere blieb "gebunden". Die Handfertigkeit wurde wohl ausgebildet, aber die geistige Strebsamkeit war erlahmt.

Dazu trug aber auch nicht wenig bei, daß die Kunst - namentlich die Bildnerei - die Fühlung mit dem Volke verloren hatte und sich nach den Anschauungen eines kleinen Kreises richten mußte, der wieder im Banne von Vorurteilen und Ueberlieferungen lag. In der ganzen breiten Masse eines Volkes herrscht allzeit einige Bewegung, auch in einer anscheinend stillen, fortschrittslosen Zeit; die obersten Schichten der Gesellschaft und die Höfe sind "konservativ", bleiben in einem Beharrungszustand, bis irgend eine gewaltige Strömung von unten heraus sie aufrüttelt und zur Aufnahme neuer Anschauungen veranlaßt. Weit mehr als die Malerei war aber die Bildnerei von den höfischen Kreisen und staatlichen Akademien abhängig. Sie konnte einfach nicht zum "freien" Schaffen gelangen, weil sie für ein solches kein Verständnis, keine Empfänglichkeit gefunden hätte. Der Künstler bedarf aber derselben; er ist ja doch mehr oder minder darauf angewiesen, daß man seine Werke abnimmt, muß also auf die Auftraggeber Rücksicht nehmen.

Eigenart der Bildnerei in der Barockzeit. Schon in der Einleitung zu diesem Zeitraume habe ich darauf hingewiesen, daß in den maßgebenden Kreisen der Gesellschaft, also vor allem an den Höfen Europas eine gewisse Gleichheit der Anschauungen und des "Geschmackes" herrschte. Daraus ergiebt sich, daß auch die Kunst eine solche Gleichmäßigkeit annehmen mußte. Volkliche Einflüsse konnten ebenso wenig zur Geltung gelangen wie eine persönliche Eigenart der Künstler, die sich höchstens im rein äußerlichen der Formgebung, aber auch da nur in geringem Maße äußern konnte. Man findet daher in allen Ländern und bei allen Meistern eine auffällige Verwandtschaft in den Schöpfungen, keine starken Unterschiede mehr, sondern eine allgemein herrschende Kunstweise, wie nicht einmal in der hellenistisch-römischen Zeit dies so ausgeprägt in Erscheinung getreten war.

^[Abb.: Fig. 656. Girardon: Raub der Proserpina.

Versailles.]