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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Embryo

Anzahl kleinerer und kleinster Zellen zu zerfallen, aus denen schließlich in allmählich fortschreitender Entwicklung nach gewissen Gesetzen sämtliche Gewebe und Organe des E. entstehen. Indem zuerst die oberflächlichen Furchungszellen mit der Innenfläche der durchsichtigen Zellhaut der ursprünglichen Eizelle Zona pellucida) verschmelzen, entsteht eine dünne, durchsichtige, von der hellen Dotterflüssigkeit erfüllte Blase, die Keimblase, auf welcher sich sehr bald an einer bestimmten Stelle durch vermehrte Zellenwucherung eine kreisförmige Verdickung, der Fruchthof, entwickelt. An letzterm tritt, wenn das Ei eine Größe von etwa 8 bis 10 mm erreicht hat, als erste Organanlage des E. ein Längsstreifen, der Primitivstreifen, auf, die röhrenförmige Uranlage des Centralnervensystems oder das sog. Medullarrohr, aus dessen vorderm, blasenartig erweitertem Abschnitt das spätere Gehirn hervorgeht, während der hintere schmälere Abschnitt zum Rückenmark wird. Gleichzeitig zerfällt der Fruchthof in drei getrennte hautartige Schichten, die Keimblätter, deren äußeres (Ektoderm, Epiblast oder Hautsinnesblatt) die ersten Anlagen der Haut und des Centralnervensystems wie der höhern Sinnesorgane erzeugt, während aus dem innern (Entoderm, Hypoblast oder Darmdrüsenblatt) die Anlagen der Darmepithelien und der Drüsen des Nahrungskanals, aus dem mittlern oder dem motorisch-germinativen Keimblatt (Mesoderm, Muskelblatt) endlich das Skelett, die Muskeln, Nerven und Gefäße sowie die Harn- und Geschlechtsorgane des spätern Körpers hervorgehen. Indem sich nun diese ursprünglich hautartigen Keimblätter durch Umbiegen ihrer Seitenwände nach unten und durch allmähliches Entgegenwachsen in röhrenförmige Organe verwandeln, entsteht endlich ein Leib mit einer obern Nervenhöhle und einer untern Eingeweidehöhle. Beide werden voneinander geschieden durch einen walzenförmigen, später knorpligen Strang, den Vorläufer der Wirbelsäule, die sog. Rückensaite (Wirbelsaite) oder den Rückenstrang (Chorda dorsalis, s. Chorda); zu beiden Seiten entstehen die sog. Urwirbel, welche im Verein mit der Chorda die erste Anlage der Wirbelsäule darstellen und auch die Anlage zur Schädelkapsel abgeben. In diesem Stadium, ungefähr um die 3. Woche, stellt der E. einen homogenen, halbdurchsichtigen, gelatinösen, kahnförmig gekrümmten Körper von 4 bis 6 mm Länge dar, welcher von drei häutigen Hüllen, den Eihäuten oder Eihüllen, umgeben ist, deren innerste, das Amnion (s. d.), aus dem äußern Blatt der Keimblase entsteht und allmählich den ganzen E. umwächst, während die mittlere, mit zarten Zotten besetzte Haut, das Chorion, aus der Zona pellucida der ursprünglichen Eizelle, die äußere oder hinfällige Haut (Decidua, genauer Membrana decidua) endlich aus der veränderten Gebärmutterschleimhaut hervorgeht. Der Kopf des E. stellt sich zu dieser Zeit nur als eine kleine, durch eine Vertiefung vom übrigen Rumpfe abgeschnürte Hervorragung oder kugelige Masse ohne Öffnungen dar; der Rumpf endigt in eine schwanzförmige Verlängerung und hat weder Arme noch Beine. An jeder Seite des Halses finden sich vier durch Zwischenwände (Kiemenbogen) voneinander getrennte Öffnungen, die sog. Kiemenspalten, welche in den Schlundkopf münden. Der Unterleib hat vorn eine zweite, längsverlaufende Spalte, an welcher sich die Haut umschlägt, um in die den E. dicht umgebende innere Eihaut (Amnion, Schafhaut) überzugehen. Es umfaßt diese Spalte die Stiele zweier Bläschen (des Nabelbläschens und der Harnhaut oder Allantois), die außerhalb des E. an seiner Bauchfläche zwischen den Eihäuten ihre Lage haben und von denen das Nabelbläschen die frühere Höhle der Dotter- oder Keimblase darstellt und mit Blutgefäßchen versehen ist, um den E. zu ernähren; aus der Allantois oder Harnhaut (s. d.) wachsen Blutgefäße in die zarten Zotten des Chorions hinein, wodurch sich an der betreffenden Stelle der für die spätere Ernährung des E. so wichtige Mutterkuchen (Placenta) bildet. Das Herz zeigt sich schon ganz deutlich, läßt bereits eine rhythmische Bewegung bemerken, besteht aber nur aus einer Vor- und einer Herzkammer und hat eine horizontale, mit der Spitze nach vorn gerichtete Lage; hinter demselben liegt die Leber und der Darm mit einem entwickelten Gekröse.

Im zweiten Monat (5. bis 9. Woche), in welchem der E. 2-3 cm lang und fast 4 g schwer wird und sich das Skelett aus Knorpel mit gallertartigen, bleichen Muskeln und Nerven bildet, ist der Kopf verhältnismäßig groß, denn er bildet fast die Hälfte des ganzen E. Das Gesicht fängt an sich zu entwickeln, bleibt aber im Verhältnis zum Schädel sehr klein; die Sinnesorgane sind bereits deutlich zu unterscheiden, die Augen als oberflächliche, seitlich gelegene, schwarze Punkte, die Nasenlöcher als flache Gruben, die Gehörgänge als kleine Gruben, der Mund als weite Spalte, in deren Grunde man die Zunge als eine kleine Hervorragung wahrnimmt. Die Kiemenspalten sind fast ganz geschlossen und erscheinen nur noch als seichte Furchen zwischen den ehemaligen Kiemenbogen. Der Hals ist sehr kurz, der Rumpf hat so dünne Wandungen, daß Herz und Leber durchschimmern. Die Gliedmaßen erscheinen in Form von kurzen, rundlichen Wärzchen, die sich allmählich verlängern, abplatten und an den freien Rändern seichte Einschnitte als Andeutungen der Finger und Zehen zeigen. Der ganze E., der im Frucht- oder Schafwasser (Liquor amnii) schwimmt und überaus beweglich ist, nimmt jetzt eine mehr senkrechte Lage ein, weil sich der Kopf senkt; auch bildet sich nun (nach der 5. Woche) der den E. mit dem Mutterkuchen und dadurch mit der Mutter verbindende Nabelstrang; das Herz zeigt in seinem Innern die Anfänge einer senkrechten Scheidewand; die einzelnen Abteilungen der Wirbelsäule fangen an sichtbar zu werden; die Luftröhre ist ein zarter Faden mit einer kleinen Anschwellung oben für den Kehlkopf; die Lungen bestehen aus fünf bis sechs Läppchen, in denen aber schon Luftwege und Bläschen zu entdecken sind; die Leber ist verhältnismäßig sehr groß; der längliche Magen liegt schon quer, und der Darm zieht sich als lange, etwas gedrehte Schlinge noch weit in den Nabelstrang hinein. Längs der Wirbelsäule findet man beiderseits die sog. Wolffschen Körper, bedeutende Drüsenapparate, welche sich von den Lungen bis zum Grunde des Beckens erstrecken und die Stellen der Nieren zu vertreten scheinen, denn ihre Ausführungsgänge münden in die sog. Kloake, d. i. die Kommunikationsstelle zwischen Harnhaut und Mastdarm, und sie verschwinden, sobald die Nieren ihre Funktion antreten. In der 7. Woche zeigen sich die ersten Verknöcherungspunkte in den bis jetzt noch knorpligen Knochen und zwar zuerst in den Schlüsselbeinen und im Unterkiefer. Die Nieren und Nebennieren sowie die Hoden oder Eierstöcke werden sichtbar, die Harnblase bildet eine