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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gemeindefinanzen; Gemeindegebühren; Gemeindegerichte; Gemeindehaushalt

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Gemeindefinanzen - Gemeindehaushalt.

heiten gegen die Gemeinde, namentlich mit der Verpflichtung zur Entrichtung von Gemeindeabgaben, verbunden ist: Insassen. In den meisten Staaten sind, nachdem in Deutschland die Freizügigkeit (s. d.) eingeführt worden ist, diese Unterscheidungen geschwunden, und die Grundlage der modernen Gemeindeverfassung ist vielfach die Einwohnergemeinde im Gegensatz zu der frühern Bürgergemeinde. Vgl. Gemeinde.

Gemeindefinanzen. Die Worte Finanz, Finanzwesen werden heute vorzugsweise in der Anwendung auf politische Gemeinwesen gebraucht. Sie beziehen sich auf den Haushalt derselben, insbesondere auf die Aufbringung und Verwaltung der für Deckung der Ausgaben erforderlichen Mittel. Vgl. Finanzwesen und Gemeindehaushalt.

Gemeindegebühren, s. unter Gebühren und Gemeindehaushalt.

Gemeindegerichte, im Gegensatz zu den Staatsgerichten solche Gerichte, welche mit Gemeindebeamten besetzt sind, und deren Gerichtsbarkeit von den Gemeinden ausgeht. Das moderne Recht faßt die Gerichtsbarkeit lediglich als einen Ausfluß der Staatsgewalt auf, und hieraus erklärt es sich, daß die Gemeindegerichtsbarkeit mehr und mehr beseitigt wurde. Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz (§ 15) erklärt die Gerichte schlechthin für Staatsgerichte. Gleichwohl nahm man bei der neuen Justizgesetzgebung auf Württemberg, woselbst in geringfügigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die G. sich bewährt hatten, Rücksicht und ließ die G. als Vergleichsgerichte zu, jedoch nur, insoweit ihnen die Entscheidung über vermögensrechtliche Ansprüche obliegt, deren Gegenstand in Geld oder Geldeswert die Summe von 60 Mk. nicht übersteigt. Gegen die Entscheidung dieser G. steht beiden Teilen die Berufung auf den Rechtsweg zu; auch dürfen als Kläger oder Beklagter nur solche Personen der Gemeindegerichtsbarkeit unterworfen werden, welche in der betreffenden Gemeinde Wohnsitz, Niederlassung oder Aufenthalt haben. Die Zuständigkeit der Gemeindeverwaltungsbehörden zum Erlaß von Strafbefehlen in Polizeistrafsachen ist nach der deutschen Strafprozeßordnung auf Übertretungen beschränkt. Auch kann gegen die Strafbescheide der Polizeibehörden auf gerichtliche Entscheidung angetragen werden. Vgl. Deutsches Gerichtsverfassungsgesetz, § 14, Ziffer 2; Strafprozeßordnung, § 453 ff.

Gemeindehaushalt, die Wirtschaft, welche die Gemeinde zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse führt. Die hierfür erforderlichen Ausgaben sind, wie im Staatshaushalt, teils ordentliche (regelmäßig wiederkehrende), teils außerordentliche. Für die planmäßige Deckung derselben und für dauernde Aufrechthaltung des Gleichgewichts zwischen Ausgaben und Einnahmen gelten im allgemeinen die gleichen Grundsätze wie für einen geordneten Staatshaushalt. Zur Bestreitung der ordentlichen Ausgaben haben regelmäßig fließende (ordentliche) Einnahmen aus Vermögen, Erwerbsunternehmungen, Gebühren und Steuern zu dienen. Zunächst dient den Gemeindezwecken das Gemeindevermögen. Dasselbe ist teils dem allgemeinen Gebrauch zugänglich gemacht, wie Straßen, öffentliche Anlagen, teils dient es Verwaltungszwecken, wie die Amtsgebäude, teils wird es für Erwerbszwecke benutzt. Nutzungen aus dem Vermögen der letztern Art oder aus Teilen desselben fließen noch in manchen Gemeinden den Gemeindegliedern direkt zu (Gemeindegliedervermögen, in manchen Städten Bürgervermögen genannt; vgl. Allmande). Meist aber ist dies Vermögen (oft Kämmereivermögen genannt) zur Bestreitung der Lasten und Ausgaben der Gemeinden bestimmt und kommt insofern den Gemeindeangehörigen mittelbar zu gute. Ursprünglich kommt das Gemeindevermögen nur in Form von Äckern, Waldungen, Weiden etc. vor. Solches Grundvermögen hat sich insbesondere noch in süddeutschen Gemeinden erhalten und hier bisweilen in solchem Maß, daß es nicht allein zur Deckung des Gemeindebedarfs ausreicht, sondern auch oft noch den berechtigten Mitgliedern Nutzungen von Wald und Feld ("Bürgernutzen") überwiesen werden können. Neu einziehende Mitglieder der politischen Gemeinde können gewöhnlich die Berechtigung zum Bezug solcher Nutzungen gegen Entrichtung eines Einkaufsgeldes erlangen. Zu dem Vermögen an Grund und Boden sind in neuerer Zeit noch vielfach Güter und Veranstaltungen gekommen, welche industriellen und Verkehrszwecken dienen. Reich an solchem werbenden Gemeindevermögen ist unter anderm Görlitz. Diese Stadt bezieht auf den Kopf der Bevölkerung im Durchschnitt 53 Mk. Reineinnahmen aus demselben (im Durchschnitt entfallen in den 40 größten Städten Preußens 7-8 Mk. auf den Kopf), während in großen, erst in der neuern Zeit stark angewachsenen Industriestädten das Gemeindevermögen von geringer Bedeutung ist (z. B. Barmen bezieht 8 Pf. Reineinnahme auf den Kopf). In der ältern Zeit wurde der geringe Gemeindebedarf vorwiegend durch persönliche Leistungen der Angehörigen und durch die Nutzungen des Gemeindevermögens gedeckt. Nur selten war eine Steuer aufzulegen nötig, welche dann meist in der Form von vorübergehend erhobenen Vermögenssteuern vorkam. Im Lauf der Zeit hat sich indessen der Bereich der Gemeindeaufgaben erheblich ausgedehnt (Verkehr, Unterricht, Sicherheit, Befriedigung vieler früher unbekannter gemeinwirtschaftlicher Bedürfnisse); infolgedessen wurde die dauernde Besteuerung, d. h. die Belastung der Gemeindeangehörigen mit Abgaben auf Grund der der Gemeinde vom Staat übertragenen Zwangsgewalt, zur Notwendigkeit (in den preußischen Städten wurden 1849 durchschnittlich 3,77 Mk. an Gemeindeabgaben auf den Kopf erhoben, 1883/84 war die Zahl auf 11,42 Mk. gestiegen). Doch hat sich dieselbe bei ungleichen Bedürfnissen und Rechtszuständen sehr buntscheckig entwickelt.

Eine Ausnahme macht in dieser Beziehung England, wo schon frühzeitig das Kommunalsteuerwesen gesetzlich geregelt und von staatlicher Willkür befreit wurde. Jede Ausgabenart wurde auf eine besondere, nach Maßgabe des Miet- und Pachtwertes des Realbesitzes von dem Eigentümer oder Mieter ("nutzenden Inhaber") erhobene Steuer angewiesen, daher der Name Zwecksteuersystem. Dieses System ist freilich längst nicht mehr prinzipiell durchgeführt, indem mit Zunahme der Bedürfnisse auch eine Steuer zu den verschiedensten Zwecken dienen mußte. In Frankreich geriet die Gemeinde in finanzieller Hinsicht in vollständige Abhängigkeit von der Regierung. Zur Erhebung einer jeden Abgabe ist Genehmigung erforderlich, und zwar werden in jedem Budgetsatz die zugelassenen Abgaben genau bezeichnet. Die direkten Gemeindesteuern, welche etwa 25 Proz. aller Gemeindeeinnahmen ausmachen, bestehen in Zuschlägen (centimes additionnels, wobei Centimes den Zuschlag auf jeden Frank der Staatssteuer bedeuten) zu den vier großen direkten Staatssteuern. Sie zerfallen in centimes ordinaires, spéciaux und extraordinaires. Die erstern beiden dienen zur