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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gemeindehaushalt

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Gemeindehaushalt (Steuersystem).

Deckung der obligatorischen Ausgaben, d. h. solcher, welche die Gemeinde zu machen gesetzlich gehalten ist. Die centimes ordinaires werden in der Höhe von 5 Cent. erhoben und sind den Gemeinden ein für allemal zugewiesen. Die centimes spéciaux dienen besondern Zwecken und dürfen auf Beschluß des Conseil municipal innerhalb eines durch Gesetz festgestellten Maximums erhoben werden. Die centimes extraordinaires dienen zur Bestreitung fakultativer Ausgaben, d. h. solcher, über welche die Gemeindevertretung nach ihrem Ermessen entscheiden kann. Das Maximum dieser Zuschläge ist 20 Cent.; für Überschreitung dieses Satzes ist Genehmigung des Staatsoberhauptes erforderlich. Außerdem besitzen die Gemeinden noch Anteile an der staatlichen Gewerbesteuer (8 Proz.) sowie an verschiedenen direkten Verbrauchssteuern. Dazu kommen eigne Einnahmen aus Vermögen, Gebühren etc. Eine wichtige Rolle spielt bei vielen städtischen Gemeinden das Oktroi, eine Verbrauchssteuer, deren Ursprung bis ins Mittelalter reicht, und welche von Verbrauchsgegenständen beim Eingang in die Stadt erhoben wird. Einrichtung und Tarifierung des Oktroi stehen dem Gemeinderat zu, vorbehaltlich der Genehmigung durch die Regierung. Strenge Regel ist, daß die Gemeinden die im Ort selbst hergestellten Artikel ebenso hoch besteuern müssen wie die eingeführten gleicher Art, um die Errichtung innerer Schutzzollschranken zu verhindern. Belgien hat seinen Gemeinden eine weitgehende Freiheit in der Gestaltung ihres Haushalts zugestanden. 1860 wurde das Oktroi gesetzlich mit der Maßgabe aufgehoben, daß dasselbe auch auf Umwegen nicht wieder eingeführt werden darf. Dafür genießen die Gemeinden jetzt große Freiheit in der Wahl der Abgaben, welche denn auch in bunter Mannigfaltigkeit vorkommen. Für die Zuschlagscentimes auf Vermögens-, Personal- und Gewerbesteuer sowie für verschiedene Gebühren und Taxen genügt Genehmigung durch den ständischen Ausschuß des Provinzialrats. Für die übrigen Abgaben ist Genehmigung des Königs erforderlich, und zwar können, wenn diese erteilt ist, alle Arten von Steuern erhoben werden, sofern nicht dadurch Vorrechte geschaffen oder das Oktroi unter verdeckter Form wieder eingeführt wird.

In Deutschland und Österreich ist die Gestaltung des Gemeindesteuerwesens eine sehr bunte. Wir finden hier Zuschläge zu Staatssteuern, Verbrauchssteuern in Form des Oktroi sowie selbständige direkte Steuern, wie die Mietsteuer. Im Gegensatz zu Frankreich ist die direkte Steuer überwiegend. Viele Gemeinden haben ihre Wirtschaft fast ausschließlich auf Zuschläge zu einer oder zwei direkten Staatssteuern gestützt. Infolge davon ist bei steigendem Bedarf die Steuerlast eine sehr ungleichmäßige und für einzelne Klassen von Gemeindebürgern sehr drückende geworden. Belaufen die Zuschläge sich doch in mehr als 100 preußischen Gemeinden auf 300, in einigen selbst auf 600 Proz. der Staatssteuern.

Die Anschauungen über die zweckmäßigste Gestaltung des Gemeindesteuersystems sind geteilt. Nach einer früher vielvertretenen Ansicht sollte die Gemeindesteuer nach dem Grundsatz, daß die Leistung der Gegenleistung entspreche, bemessen, sonach gebührenartig gestaltet werden. Als eine diesem Zweck entsprechende Steuer schlug Faucher die Mietsteuer vor, während andre, wie Karl Braun, die Grundsteuer als alleinige Gemeindeabgabe befürworteten. Nun sind aber sicherlich Miet- und Grundrente nicht die ausschließlichen Maßstäbe zur Bemessung der Vorteile, welche den Steuerpflichtigen aus dem Gemeindeleben erwachsen. Auch lassen sich diese Vorteile überhaupt nicht immer abwägen. Für die Abgaben der Gemeinde gelten im wesentlichen die gleichen Grundsätze wie für diejenigen des Staats. Gemeindegebühren sind am Platz, wenn die Gemeinde von einem Einzelnen besonders in Anspruch genommen wird, wenn besondere Vorteile aus Gemeindeeinrichtungen gezogen werden (Benutzung von Schulen, Wasserleitungen etc.). Zu den Gebühren sind auch die Beiträge und Societätslasten zu rechnen, welche von einzelnen Klassen der Gemeindeangehörigen erhoben werden. Beiträge zahlen Interessentengruppen zur Deckung der Kosten von Gemeindeunternehmungen, von welchen sie vorwiegend Vorteil ziehen, wie die Hausbesitzer für Straßenanlagen, Kanalisierung etc. Besondere Societäten werden bisweilen gebildet, wenn deren Mitgliedern gewisse Gemeindeeinrichtungen ausschließlich zu gute kommen. Sie haben dann die Kosten derselben nach bestimmtem Verteilungsmaßstab besonders aufzubringen. Im übrigen sind die Lasten der Gemeinde als Steuern von deren Angehörigen gemeinsam nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zu tragen. Grund- und Gebäudesteuern empfehlen sich schon deswegen, weil durch die Gemeindewirtschaft dem Besitz an Boden und Häusern besondere Vorteile zuwachsen; die Personalsteuern, weil die zahlungsfähigen Personen am Gemeindeleben teilnehmen; die Verbindung von Personal- mit Real-, bez. Ertragssteuern, weil Wohnsitz und Einnahmequelle nicht immer in einer Gemeinde vereinigt sind und diejenige Gemeinde, welche für liegende Gründe und Erwerbsanstalten Aufwendungen machen muß, ebensogut Abgaben erheben will wie jene, in welcher der Besitzer wohnt und Annehmlichkeiten des Gemeindelebens genießt. In größern Gemeinden mit höherm Bedarf und wechselnder Bevölkerung wird man auch die oft sehr einträgliche indirekte Steuer nicht entbehren können, da nur durch solche diejenigen zu treffen sind, welche sich nicht dauernd an einem Ort aufhalten, insbesondere auch die Angehörigen der untern Klassen. Als Erhebungsform empfiehlt sich besonders in größern Städten das Oktroi. Sehr leicht kann bei Gemeinden, die ihr Steuerwesen ganz autonom gestalten wollten, die Doppelbesteuerung (s. d.) eintreten. Schon deshalb wie auch wegen der Konkurrenz mit der Staatssteuer bedarf die Gemeindesteuer der gesetzlichen Regelung. Wegen dieser Konkurrenz sind aber auch selbständige Steuern, welche von denen des Staats unabhängig sind, nicht zu entbehren.

Viele Gemeinden befassen sich auch mit Erwerbsunternehmungen (Gemeindeunternehmungen), welche in andern von Privaten unterhalten und betrieben werden (Theater, Gas-, Wasserbeschaffung, Pferdebahn etc.); man bezeichnet dieselben auch wohl als Gemeinderegalien, wenn bei ihnen durch Monopolisierung die Konkurrenz ausgeschlossen ist. Solche Unternehmungen eignen sich unter Umständen recht gut für die Gemeinde, insbesondere wenn der Betrieb nicht mit zu großem Risiko verknüpft ist, wenn die Vorteile derselben allen Mitgliedern der Gemeinde zu gute kommen und die Monopolisierung durch die Natur der Sache geboten ist, weil ohne solche dem Gemeindebedürfnis nicht in geordneter Weise genügt werden könnte. Ob solche monopolisierte Unternehmungen durch die Gemeinde selbst zu verwalten, oder ob sie unter bestimmten Bedingungen besser an Privatgesellschaften zu übertragen sind, dies hängt von der Art der Unternehmung, der Finanzlage der Gemeinde etc. ab. Die Einnahmen aus solchen