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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gesellenvereine; Gesellschaft

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Gesellenvereine - Gesellschaft.

sten Art, welche sich die moralische Hebung von Gesellen zur Aufgabe machen, Arbeiterbildungsvereine, an denen auch die Arbeitgeber sich beteiligen, Gesellen-, Handwerker- und Gewerbevereine, Innungen etc. Gegen den Übelstand, daß vom Lohn am Sonnabend Abend und Sonntag zu viel im Wirtshaus verbraucht und dann noch ein blauer Montag gemacht wird, ist das einfache Heilmittel: die Verlegung des Zahltags auf einen andern Wochentag als den üblichen Sonnabend. Ein spezifischer Übelstand endlich, die Notlage wandernder Gesellen, welche keine Arbeit finden und keine Existenzmittel haben, ist zu heben, mindestens zu mildern durch Errichtung von Herbergen (s. d.), mit welchen Arbeitsnachweisungsbüreaus zu verbinden sind, seitens der Innungen oder andrer gewerblicher Korporationen oder durch entsprechende Organisation von Gesellenvereinen, event. durch gemeinnützige Vereine zur Unterstützung wandernder Gesellen. - Im Bergbauwesen heißen Gesellen die Teilhaber (Eigenlöhner) an einem gemeinschaftlichen sogen. Bau, sofern deren nicht über acht sind; der Bau einer solchen Gesellschaft heißt dann Gesellenbau, Gesellenzeche.

Gesellenvereine. Unter dieser Bezeichnung ist seit 40 Jahren eine größere Zahl von Vereinen gegründet worden, welche, unter geistlicher Leitung stehend, auf katholisch-konfessioneller Grundlage ruhen. Um dieselben machte sich besonders verdient Domvikar Adolf Kolping (geb. 1813, gest. 1865 in Köln), welcher, ursprünglich selbst Schuhmachergeselle, seine eignen Erfahrungen bei seiner Wirksamkeit für das Vereinswesen verwerten konnte. Nachdem er sich dem geistlichen Stand gewidmet, gründete er als Kaplan in Elberfeld den ersten Gesellenverein. 1849 als Domvikar nach Köln versetzt, gelang es ihm bald, den Gesellenvereinen eine weitere Verbreitung zu verschaffen (vgl. seine Schrift "Der Gesellenverein", Köln 1849). Als Ziel derselben wird bezeichnet: Anregung und Pflege eines kräftigen religiösen Sinnes und Lebens, Verbreitung nützlicher Kenntnisse und Fertigkeiten in Verbindung mit geselliger Unterhaltung. Zureisenden und bedürftigen Gesellen wird Unterstützung in Form freier Herberge und von Naturalien gewährt. Doch wird auf solche kein Recht zuerkannt, und der Geselle soll durch Weckung des Ehrgefühls daran gewöhnt werden, nur im dringenden Notfall Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mit andern, mehr als untergeordnet betrachteten Aufgaben (Kassenwesen, Arbeitsvermittelung etc.) haben die G. keine besondern Erfolge erzielt. Ordentliche Mitglieder können nur ledige katholische Gesellen werden. Jeder Lokalverein hat eine aus Ehrenmitgliedern bestehende Vorstandschaft, an deren Spitze ein von ihr gewählter, vom Bischof genehmigter und nur durch diesen absetzbarer Präses steht, der nur ein katholischer Geistlicher sein darf. Die Vereine bilden mehrere größere Verbände unter dem gemeinsamen Vorsitz eines Generalpräses, welcher der jeweilige Vorsitzende des Kölner Vereins ist. Abreisende Gesellen erhalten eigne Wanderbücher, auf Grund deren sie in andern Vereinen Aufnahme finden können. Etwa 85 dieser Vereine besitzen eigne Vereinshäuser. In Deutschland bestehen zur Zeit über 100, in Österreich gegen 100, in der Schweiz etwa 20 G. Die Gesamtzahl aller G. wird auf etwa 540 mit 70-80,000 Mitgliedern angegeben. Organe der deutschen G. sind die "Rheinischen Volksblätter" (Köln, seit 1853) und der "Arbeiterfreund" (Münch., seit 1873). Ähnliche Vereine wie die deutschen G. sind die französischen Cercles catholiques d'ouvriers, deren Zahl auf 200 beziffert wird, mit dem Organ "L'association catholiques" (seit 1874) und die belgische Fédération des sociétés ouvrières catholiques mit dem Organ "L'Économie chrétienne" (Lüttich). Vgl. Bongartz, Das katholisch-soziale Vereinswesen in Deutschland (Würzb. 1873); Dehn, Die katholischen G. in Deutschland (Berl. 1882); Krönes, Winke und Ratschläge bezüglich der Gründung und Leitung eines katholischen Gesellenvereins (Paderb. 1886). - Über die protestantischerseits den Gesellenvereinen entsprechenden Jünglingsvereine s. d.

Gesellschaft (Societät, lat. Societas), die Vereinigung mehrerer Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes. Der Zweck der G. kann auf gemeinsamen Vermögenserwerb oder auf sonstige Güter gerichtet sein. Die Rechte und Pflichten der Gesellschaftsmitglieder (Gesellschafter, Societäre, Socii) sowie die Zwecke werden durch ein Statut (Gesellschaftsvertrag) bestimmt. Das Gesellschaftsmitglied (socius) hat gewöhnlich einen Beitrag zu geben, die zugesagten Dienste zu leisten, über die Geschäfte für die G. Rechenschaft abzulegen. Ein Rechtsverhältnis in der G. entsteht überall nur dann, wenn zum Zweck der G. vermögensrechtliche Verbindlichkeiten eingegangen werden. Die G. kann entweder das ganze gegenwärtige und zukünftige Vermögen ihrer Mitglieder umfassen (societas omnium bonorum) oder auch nur einzelne bestimmte Teile desselben (societas particularis). Die Anteile an den Beiträgen sowohl als überhaupt am Gewinn und Verlust der G. können für die einzelnen Mitglieder auf verschiedentliche Weise festgestellt werden. Wenn nicht besondere Vereinbarungen vorliegen, wird Gleichheit als die Absicht angenommen. Eine Löwengesellschaft (societas leonina), so genannt nach der bekannten Fabel Äsops, bei welcher der ganze Gewinn Einem Gesellschafter ausschließlich zufallen soll, wird als Schenkung angesehen. Zur Geltendmachung seiner Rechte aus dem Gesellschaftsvertrag steht jedem Gesellschafter gegen den andern eine besondere Klage (actio pro socio) zu. Die G. wird nach römischem Recht aufgelöst durch den Tod eines Socius, durch dessen Konkurs oder Vermögenskonfiskation, durch Erreichung eines vorher bestimmten Endtermins, durch Untergang der gemeinsamen Sache, durch Erreichung des Societätszwecks, durch freiwillige Aufhebung des Vertrags seitens der Kontrahenten oder durch einseitigen Rücktritt eines solchen, welcher jedoch, wenn er unzeitig und ohne die ausbedungene Kündigung geschah, zum Schadenersatz verpflichtet. Während das römische Recht bei der G. das persönliche Element als das Prinzipale ansah, hat das deutsche Recht bei den Erwerbsgesellschaften die gemeinsame Kapitalmacht als die Grundlage derselben aufgefaßt. Daher hat im modernen Rechte der Gesellschaftsvertrag wesentliche Veränderungen erfahren, namentlich in Ansehung der Handelsgesellschaften (s. d.) und der als deutsch-rechtlich zu bezeichnenden Genossenschaften (s. d.).

[Gesellschaftswissenschaft.] Das Wort "Gesellschaft" bezeichnet nicht nur einen Rechtsbegriff, sondern auch eine wegen ihrer wechselseitigen Lebensbeziehungen (wirtschaftlicher Verkehr, Geselligkeit, geistiger Zusammenhang, gegenseitige Förderung etc.) als ein zusammengehöriges Ganze aufgefaßte Gruppe von Menschen. In diesem Sinn kann als G. eine besondere Klasse, deren Mitglieder unter sich ausschließlichen Verkehr pflegen, zumal auf dem Boden, auf welchem sie einander begegnen ("in die G. einführen", "aus der G. ausstoßen"), erscheinen. Dann kann als solche auch die Gruppe aufgefaßt werden, welche auf Grund ihrer