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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Harnabfluß; Harnack

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Harnabfluß - Harnack (Adolf)

eine eigentümliche Säure, die Kynurensäure. Im H. des noch saugenden Kalbes findet sich ein der Harnsäure ähnlicher Körper, das Allantoin. Der H. der Pflanzenfresser ist reich an Hippursäure und kohlensauren Salzen (wegen der Gegenwart dieser trübe), wogegen der konsistente H. der Vögel und Schlangen fast nur aus sauren harnsauren Salzen, die Exkremente der meisten Insekten aus Harnsäure und Guanin bestehen.

Der bei weitem größte Teil der Harnbestandteile ist schon in den Geweben und im Blute enthalten, wo sie zum Teil gebildet werden, und wird von der Niere aus dem Blute bloß geschieden, gewissermaßen abfiltriert. Andere Stoffe erleiden in den Nieren selbst noch eine weitere Umänderung, ehe sie abgeschieden werden. Aus den Nieren gelangt der H. beim Menschen und den Säugetieren durch die mit trichterförmiger Mündung beginnenden Harnleiter (ureteres) in die Blase. Die Harnleiter sind häutige, nicht sehr weite, mit Muskeln versehene Schläuche, welche an der hintern Bauchwand zum kleinen Becken herabsteigen und durch peristaltische Bewegungen den abgesonderten H. tropfenweise in die Harnblase befördern. Die letztere bildet einen der Aufbewahrung und zeitweisen Entleerung des H. dienenden häutigen, dehnbaren Sack, der in der Mittellinie des Körpers im kleinen Becken hinter dem Schambeinbogen liegt. (S. Harnblase.) Der Grund der Harnblase spitzt sich trichterförmig in den Blasenhals zu, und dieser setzt sich in einen häutigen Kanal, die Harnröhre (urethra) fort. Um den Blasenhals liegt beim Manne die Vorsteherdrüse (prostata), eine kastaniengroße, aus drei Lappen bestehende Drüse, welche erst mit dem Eintritt der Geschlechtsreife ihre volle Entwicklung erreicht. (S. Prostata.) Die Harnröhre des Weibes ist kurz und weit und mündet in den vordern Teil der Scheide; die engere und längere Harnröhre des Mannes ist in dem untern Teil des männlichen Gliedes eingebettet und befördert zugleich den Samen nach außen. (S. Geschlechtsorgane, Bd. 7, S. 897 b.)

Wenn der entleerte H. mit der Luft in Berührung kommt, so erleidet er zunächst eine saure Gärung, wobei sich Milch- und Essigsäure bilden und die saure Reaktion zunimmt, geht aber bald in Fäulnis und alkalische Gärung über, indem durch ein eigentümliches pflanzliches Ferment (Gärungspilze) der Harnstoff in kohlensaures Ammoniak zersetzt wird. Solcher H. ist trübe, setzt Salze (namentlich die phosphorsauren Erden, Phosphate) ab (s. Harnsediment) und stinkt. Da der einmal vorhandene Gärungserreger fortwirkt, so erklärt sich, warum unreinlich gehaltene Nachtgeschirre immer einen übeln Geruch verbreiten. Die Abscheidungen, welche der H. außerhalb der Blase erleidet, können infolge langwieriger Katarrhe schon innerhalb der Blase vor sich gehen, und die sedimentierten Körper werden dann als solche entleert (Harngries); verbleiben sie in der Blase, so geben sie zur Steinbildung Anlaß. (S. Harnsteine.) Über die wichtigsten Störungen in der Harnentleerung s. Harnblase, ferner Harnabfluß, Harnstrenge, Harnverhaltung und Enuresis. Bei der Blasenlähmung muß der H. mit dem Katheter (s. d.) abgenommen werden. Die Harnröhre, zu deren Untersuchung man sich neuerdings des Endoskops (s. d.) bedient, nimmt an den Krankheiten ihrer Nachbarschaft teil; eine häufige, ihr allein zukommende, ist der Katarrh derselben oder Tripper (s. d.), der trotz seiner anscheinend geringfügigen Bedeutung sorgsame und gewissenhafte Behandlung erfordert, weil er sonst leicht Hodenentzündungen, Impotenz, Verengungen der Harnröhre (s. Striktur) und andere schwer wiegende Störungen der Gesundheit im Gefolge hat. - Vgl. Löbisch, Anleitung zur Harnanalyse (2. Aufl., Wien 1881); Salkowski und Leube, Die Lehre vom H. (Berl. 1882); Neubauer und Vogel, Anleitung zur qualitativen und quantitativen Analyse des H. (9. Aufl., Wiesb. 1890).

Harnabfluß oder unwillkürlicher Harnfluß, soviel wie Enuresis (s. d.).

Harnack, Adolf, prot. Theolog, Sohn von Theodosius H. (s. d.), geb. 7. Mai 1851 zu Dorpat, studierte daselbst 1869-72, habilitierte sich 1874 in Leipzig für Kirchengeschichte, wurde daselbst 1876 außerord., 1879 in Gießen ord. Professor, siedelte 1886 in gleicher Eigenschaft nach Marburg über und wurde 1888 trotz lebhaften Widerstrebens des altpreuß. Oberkirchenrates nach Berlin berufen. 1890 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften. H.s Standpunkt ist der historisch-kritische; theologisch stimmt er meist mit Ritschl überein, zu dessen Schule er trotz aller Selbständigkeit oft gerechnet wird. Er gehört zu den anregendsten und fruchtbarsten Kirchenhistorikern der Gegenwart. Seine Studien gelten vorzugsweise der Erforschung der ältern Kirchengeschichte. Epochemachend ist besonders sein Hauptwerk "Lehrbuch der Dogmengeschichte" (1. u. 2. Aufl., 3 Bde., Freib. i. Br. 1886-90), worin er die Entstehung und Entwicklung des kirchlichen Dogmas darstellt und dasselbe als "eine Conception des griech. Geistes auf dem Boden des Evangeliums" erweist, welche durch die in apologetischem Interesse vollzogene Hineinstellung der kirchlichen Überlieferung in den Rahmen griech.-philos. Weltanschauung entstanden ist. Ein Auszug aus dem Lehrbuch erschien als "Grundriß der Dogmengeschichte" (Freib. i. Br. 1889; 2. Aufl. 1893). Mit von Gebhardt giebt H. die "Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristl. Litteratur" (Bd. 1-10, Lpz. 1882-93) heraus, eine fortlaufende Sammlung eigener Arbeiten und solcher von Gesinnungsgenossen und Schülern. Mit von Gebhardt und Zahn veröffentlichte er: "Patrum apostoloricum opera" (3 Bde., Lpz. 1875-78; editio minor 1877), mit von Gebhardt allein: "Evangeliorum codex graecus purpureus Rossanensis" (ebd. 1880). Die wichtigsten seiner übrigen Schriften sind: "Zur Quellenkritik der Geschichte des Gnosticismus" (Lpz. 1873), "De Apellis gnosi monarchica" (ebd. 1874), "Die Zeit des Ignatius und die Chronologie der antiochenischen Bischöfe" (ebd. 1878), "Das Mönchtum, seine Ideale und Geschichte" (Gießen 1881; 3. Aufl. 1886), "Die Überlieferung der griech. Apologeten des 2. Jahrh." (Lpz. 1882), "Martin Luther in seiner Bedeutung für die Geschichte der Wissenschaft und der Bildung" (Gießen 1883; 2. Aufl. 1886), "Lehre der zwölf Apostel, nebst Untersuchungen zur ältesten Geschichte der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts" (Lpz. 1884; neue Ausg. 1893), "Die Quellen der sog. apostolischen Kirchenordnung, nebst einer Untersuchung über den Ursprung des Lektorats und der andern niedern Weihen" (ebd. 1886), "Die Apostellehre und die jüd. beiden Wege" (ebd. 1886), "Der pseudocyprianische Traktat de aleatoribus, die älteste lateinische christl. Schrift, ein Werk des röm. Bischofs Victor I." (ebd. 1888), "Das Neue Testament um das J. 200, Theod. Zahns Geschichte des neutestamentlichen Kanons geprüft" (Freib. i. Br. 1889),