Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

10

Naturalkomputation - Naturforscherversammlungen.

den Niederlanden durch Rubens, vornehmlich aber durch Jordaens und durch Rembrandt und seine Schule ausgebildet. Doch gaben diese Künstler durch Farbe und Licht dem N. ein poetisches Gegengewicht. Zu einer platten Naturnachahmung ohne poetische Elemente artete der N. erst im 19. Jahrh. durch die Franzosen Courbet, Manet und die Impressionisten sowie durch die sogen. Naturalien (Bastien-Lepage, L'Hermitte u. a.) aus, welche nach dem Grundsatz: "Le laid c'est le beau" ("das Häßliche ist das Schöne") verfuhren. Durch französische und holländische Einflüsse hat der N. auch in Deutschland Boden gewonnen, in seiner übertriebenen Erscheinungsform durch M. Liebermann, mit weiser Benutzung seiner unbestreitbaren Rechte durch F. v. Uhde und W. Firle. Vgl. auch Hellmalerei und Impressionisten. N. wird auch oft identisch mit Realismus (s. d.) gebraucht. Doch besteht zwischen beiden Richtungen der Kunst insofern ein Unterschied, als der N. ein wirkliches Abbild der Natur mit allen ihren Zufälligkeiten bieten will, während der Realismus nur den Schein des Lebens in kleinerm Maßstab wiedergibt. - Im philosophischen Sinn bezeichnet N. die Verwerfung aller Glaubenssätze, von deren Gültigkeit man sich nicht durch eignes Denken überzeugt hat, und unterscheidet sich vom (theologischen) Rationalismus dadurch, daß er die Thatsache der Offenbarung selbst leugnet, während dieser sich nur das Recht zur Prüfung der geoffenbarten Lehren gewahrt wissen will.

Naturalkomputation, in der Rechtssprache die Berechnung einer Frist nach ihrem natürlichen Lauf (a momento ad momentum), im Gegensatz zur Zivilkomputation, bei welcher der Tag des Anbeginns der Frist nicht mitgezählt wird.

Naturalleistungen, die für die bewaffnete Macht im Frieden seitens der Zivilbevölkerung aufzubringenden Leistungen (s. Militärlasten).

Naturalobligation, s. Obligation.

Naturalquartier, die in Kriegs- und Friedenszeiten von den Gemeinden nach Bedarf zu beschaffende Wohnung für die Truppen (s. Einquartierung).

Natural selection (engl., spr. nehtschörĕl ssiléckschön), natürliche Zuchtwahl, s. Darwinismus, S. 566.

Naturalverpflegung, s. Militärlasten.

Naturam expellas furca, tamen usque recurret (lat.), "Du magst die Natur (das Naturell) mit Gewalt austreiben, sie wird doch stets zurückkehren", Citat aus Horaz' Episteln (I, 10, 24).

Natūra natŭrans (lat.), bei Spinoza Bezeichnung des Urgrundes aller endlichen Dinge, im Gegensatz zu der Natura naturata, dem Inbegriff dieser selbst.

Naturanlage, s. v. w. Naturell.

Natura non facit saltum, lat. Sprichwort: "die Natur macht keinen Sprung", d. h. in der Natur geht alles stufenweise.

Naturarzt, s. Naturheilkunde.

Naturbeschreibung, s. Naturgeschichte.

Naturdichter, Bezeichnung solcher Dichter, welche, ohne höhere Bildung genossen zu haben, bloß von ihrem natürlichen Gefühl geleitet, sich poetisch aussprechen. Der vorwaltende Charakter dieser Naturpoesie ist heiter und gemütlich, und ihr Inhalt pflegt selten über die Gegenstände des gewöhnlichen Lebens hinauszugehen; aber diese werden in einfacher Natürlichkeit aufgefaßt und dargestellt, weshalb N. nicht mit schlecht gebildeten Dilettanten zu verwechseln sind, wie häufig geschieht. Als N. sind vornehmlich die sogen. Dialekt- oder Volksdichter zu nennen, unter den Deutschen der Nürnberger Flaschnermeister Grübel, unter den Franzosen der Friseur Jasmin, der Müller Basselin, der Bäckermeister Jean Reboul, unter den Schotten Robert Burns und James Hogg.

Naturdienst, religiöser Kult, der sich den vergötterten Gegenständen der Natur zuwendet. Weiteres darüber vgl. in den Artikeln "Ackerkulte", "Baumkultus", "Feuerdienst", "Höhendienst", "Quellenkultus", "Sabäismus", "Schlangenkultus", "Sonnenkultus", "Steindienst", "Tierdienst".

Naturell (franz. naturel), der Inbegriff der ganzen leiblichen Eigentümlichkeit des Individuums, sofern seine geistige dadurch bleibend beeinflußt wird. Dasselbe unterscheidet sich sowohl von der leiblichen Natur, bei welcher von deren Einfluß auf den Geist abgesehen, als von dem Temperament (s. d.), bei welchem nur der Einfluß des Nervensystems auf denselben berücksichtigt wird. Streng genommen hat jeder Mensch, weil unter besondern äußern physikalischen Einflüssen (Boden, Klima, Nahrungsverhältnissen etc.) und von besondern Eltern (Goethes "Frohnatur" von der Mutter, "Statur" und "des Lebens ernste Führung" vom Vater) geboren, sein eignes N. Wird im weitern Sinn die ganzen Familien, Stämmen, Völkern, die unter gemeinsamem Himmelsstrich und verwandten physischen Bedingungen leben, sowie die Geschlechtern und Lebensaltern allenthalben gemeinschaftliche leibliche Beschaffenheit in Betracht gezogen, so läßt sich von einem Familien-, Stammes-, Volks- sowie von einem Geschlechts- und Altersnaturell sprechen. Südlichen Völkern wird ein hitziges, nördlichen ein kälteres N. beigelegt; gewisse Familien, z. B. die der ersten römischen Cäsaren, zeichneten sich durch ein erbliches N. ("Cäsarenwahnsinn") aus; große Herrscherinnen, wie Elisabeth, Maria Theresia, Katharina II., vermochten doch niemals vollständig das N. des Weibes zu verleugnen; im Knaben, Jüngling, Mann und Greis äußert sich nach der berühmten Schilderung der Lebensalter in Horatius' "Brief an die Pisonen" ein verwandeltes N. Da sich die leibliche Konstitution bis zu einem gewissen Grade durch künstliche Mittel (Diät, ausschließlicher Genuß gewisser Nahrungsstoffe, Vegetarismus) bleibend umstimmen läßt, wodurch auch deren Einfluß auf das geistige und Gemütsleben sich ändert, so kann man im Gegensatz zum ursprünglichen (angebornen) auch von einem anerzogenen (erworbenen) N. reden.

Naturforschende Gesellschaften, s. Naturwissenschaftliche Vereine.

Naturforscherversammlungen, jährliche Versammlungen deutscher Naturforscher und Ärzte. Oken forderte in seiner Zeitschrift "Isis" im J. 1821 auf, die Naturforscher möchten sich alljährlich zum Zweck geselligen und wissenschaftlichen Verkehrs und Austausches einmal versammeln, nachdem Graf Sternberg schon 1815 solche Kongresse der Botaniker vorgeschlagen und ein Kapital dafür gestiftet hatte. Am 18. Sept. 1822 fand zu Leipzig die Eröffnung der ersten Versammlung statt. Graf Sternberg war es auch, der A. v. Humboldt und den Minister v. Altenstein für diese durch Okens Auftreten einigermaßen diskreditierten Versammlungen gewann und sowohl die erste großdeutsche Naturforscherversammlung in Berlin (1826) als in Wien (1832) zu stande brachte. Damit waren die politischen Vorurteile überwunden, und seitdem hat mit wenigen durch Seuchen oder Kriege veranlaßten Ausnahmen alljährlich vom 18. bis 25. Sept. eine solche Versammlung stattgefunden, und diese Einrichtung ist auch von andern Kulturvölkern adoptiert sowie von andern Fachkreisen nachgeahmt worden. Aus den Statuten ist von allgemeinerm Interesse nur das Folgende: Zutritt zu den