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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ratibor; Ratiborhammer; Ratichius; Rätien

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Ratibor - Rätien.

Oppeln, ist 1821 aus der Herrschaft R. und mehreren ehemaligen geistlichen Besitzungen zusammengesetzt und hat meist polnisch redende Bewohner.

Ratibor, Kreisstadt im preuß. Regierungsbezirk Oppeln, am linken Ufer der hier schiffbar werdenden Oder, Knotenpunkt der Linien Kosel-Oderberg und R.-Leobschütz der Preußischen Staatsbahn, 190 m ü. M., hat eine evangelische und 2 kath. Kirchen, eine Synagoge, ein öffentliches Schlachthaus, ein Wasserhebewerk und (1885) mit der Garnison (2 Eskadrons Ulanen Nr. 2 und 2 Infanteriebataillone Nr. 62) 19,524 Einw., darunter 3075 Evangelische, 15,131 Katholiken und 1317 Juden. Die Stadt besitzt große Eisengießereien und Maschinenbauanstalten, eine Eisenbahnnebenwerkstätte, eine große Schmiede- und Schlosserwerkstätte, bedeutende Zigarren- u. Tabaks-, Schuh- u. Hufnägel-, Schuhwaren-, Schokoladen-, Papier- und Pappe-, Korbwaren- und Glasfabrikation, eine Zuckerfabrik, Möbelfabriken, Konservenfabriken, lithographische Anstalten, Dampfsäge-, -Mahl- und -Ölmühlen, Brennereien etc. Der Handel, unterstützt durch eine Reichsbanknebenstelle, durch die Oberschlesische Fürstentums-Landschaft und durch den Oberschlesischen Kreditverein, ist besonders bedeutend in Landesprodukten. R. ist Sitz eines Landgerichts, eines Hauptsteueramtes, eines Bergreviers, hat ein Gymnasium, ein Realprogymnasium, eine Taubstummenanstalt, ein Krankenhaus, eine Strafanstalt etc. - R. erhielt 1217 deutsches Stadtrecht. Unmittelbar bei der Stadt liegen die Dörfer Bosatz mit 907 Einw. und dem Schloß des Herzogs von R., Ostrog mit 2491, Altendorf mit 3582, Plania mit 2589 Einw. Zum Landgerichtsbezirk R. gehören die neun Amtsgerichte zu Bauerwitz, Hultschin, Katscher, Kosel, Leobschütz, Loslau, R., Rybnik und Sohrau. Vgl. Weltzel, Geschichte der Stadt und Herrschaft R. (2. Aufl., Ratib. 1882).

Ratibor, Viktor Moritz Karl, Herzog von R., Fürst von Korvei, Prinz zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst, geb. 10. Febr. 1818 zu Rotenburg a. d. Fulda, studierte in Göttingen, Bonn und Heidelberg, machte öftere weite Reisen, überließ durch Vertrag vom 15. Okt. 1845 seinem jüngern Bruder, Chlodwig (s. Hohenlohe 6), die Herrschaft Schillingsfürst und übernahm die Verwaltung der 1834 vom Landgrafen von Hessen-Rheinfels-Rotenburg ererbten Besitzungen Ratibor und Korvei, welche 1840 zu einem Herzog-, bez. Fürstentum erhoben worden waren. 1847 war er Mitglied der Herrenkurie des Vereinigten Landtags, 1849 der preußischen Zweiten Kammer, 1850 des Erfurter Parlaments, wurde dann erbliches Mitglied des Herrenhauses, dessen erster Präsident er seit 1877 ist. Seit 1867 ist er Mitglied des norddeutschen, seit 1871 des deutschen Reichstags, in dem er sich der deutschen Reichspartei anschloß.

Ratiborhammer (Hammer bei Ratibor), Dorf im preuß. Regierungsbezirk Oppeln, Kreis Ratibor, an der Ruda und der Linie Kosel-Oderberg der Preußischen Staatsbahn, hat eine Oberförsterei, Eisenhütten für Schienen, Nägel, Stabeisen etc. und (1885) 2048 meist kath. Einwohner.

Ratichius (Ratke), Wolfgang, Schulmann, geb. 1571 zu Wilster in Holstein, erfand im Anschluß an die Philosophie Bacons eine neue Lehrmethode besonders für den Sprachunterricht, die er 1612 den in Frankfurt versammelten deutschen Reichsständen vorlegte, und kam nach längerm Wanderleben 1618 nach Köthen, wo Fürst Ludwig von Anhalt ihm eine Lehranstalt nach seinem Plan einrichtete. Daß von der Sache zum Namen und von der Muttersprache zur Kenntnis fremder Sprachen fortgeschritten werden müsse, betonte R. vor allem. Da ihm aber die Befähigung zur erfolgreichen Anwendung seiner im ganzen gesunden realistischen, auf richtige psychologische Anschauungen gegründeten pädagogischen Prinzipien fehlte, während er durch thörichte Heimlichkeit auf der andern Seite die Erwartungen überspannte, geriet er bald in Streitigkeiten mit seinen Lehrern, mit der reformierten Geistlichkeit und mit seinem fürstlichen Gönner, welcher ihn sogar 1619-1620 über acht Monate gefangen hielt und ihm seine Bibliothek erst 1629 auslieferte. Auch ein zweiter Versuch, in Magdeburg eine Lehranstalt nach seinen Grundsätzen zu errichten (1621), mißlang, und R. führte seitdem ein ziemlich unstetes Leben. Seit 1633 durch einen Schlagfluß gelähmt, starb er 1635 in Erfurt. Seine Einwirkung auf Mit- und Nachwelt war weit größer, als man nach seinem in praktischer Hinsicht ziemlich verfehlten Leben annehmen sollte. Vgl. Krause, W. R. im Licht seiner Zeit (Leipz. 1872); Störl, W. Ratke (das. 1876); Schumann, Die echte Methode W. Ratkes (Hannov. 1876).

Rätien (Raetia), altröm. Provinz seit 15 v. Chr., im N. bis an und über die Donau reichend (mit Einschluß des von Kelten bewohnten Vindelizien), westlich vom Lande der Helvetier in Gallien, südlich von Gallia cisalpina und im O. von Venetia und Noricum begrenzt, also das heutige Graubünden, Tirol, den Süden von Bayern, den Osten von Württemberg und die italienischen Alpen umfassend (s. Karte "Germanien"). Letztere wurden schon durch Augustus mit Italien vereinigt. Nun ging die Südgrenze, das Thal der Rienz anschließend, über Brixen, Meran, nördlich von Chiavenna, über den St. Gotthard und den Kamm der Lepontinischen und Penninischen Alpen; die Westgrenze schloß das ganze Schweizer Hochgebirge und den Bodensee ein. Unter Diokletian wurde R. geteilt in Raetia prima im S., mit der Hauptstadt Curia (Chur), und Raetia secunda im N.; die genaue Grenze zwischen beiden ist nicht nachzuweisen. Das Land enthielt die Quellen fast aller Oberitalien durchfließenden Alpenflüsse, des Addua, Ticinus, Ollius, Clusius, Mincius, Athesis (Etsch) mit dem Nebenfluß Isarcus (Eisack), sodann den ganzen Änus (Inn). Auch die nördlichen Spitzen der Seen Oberitaliens, des Lacus Verbanus, Larius und Benacus, sowie der ganze Lacus Venetus (Bodensee) fallen noch nach R. in seiner weitesten Ausdehnung. Die Rätier waren ein wildes, räuberisches Gebirgsvolk, welches den Angriffen der Römer, denen es erst im 2. Jahrh. v. Chr. bekannt ward, den tapfersten Widerstand entgegensetzte, aber gleichwohl nach mehrjährigem Kampf gegen Drusus und Tiberius der römischen Übermacht erlag. Der Meinung der Alten nach waren sie mit den Etruskern verwandt, und die neuere Forschung (L. Steub) hat Gründe zur Unterstützung dieser Ansicht gefunden. In den letzten Zeiten des weströmischen Reichs fast ganz verödet, hob sich R. erst wieder etwas, nachdem es von den Ostgoten unter Theoderich gegen Ende des 5. Jahrh. in Besitz genommen worden war. Nach Theoderichs Tod breiteten sich die Bajuvarier (Bayern) von Noricum her auch über R. aus. Unter den Städten waren Tridentum (Trient) und Augusta Vindelico-^[folgende Seite]