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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Sericin; Seuchen, Abwehr; Sexualpsychologie

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Sericin - Sexualpsychologie

bedeutenden Fehlbetrag gewirtschaftet und das erforderliche Geld nur dadurch beschafft, daß er die von der Skuptschina geforderten Anlehensbeträge stets höher veranschlagte, als nötig war. Ernstliche Ersparnisse verlangte zwar die radikale Partei, setzte sie aber nie ins Werk, weil dann vor allem das allzu zahlreiche Beamtentum hätte vermindert werden müssen; ebensowenig war eine Steuererhöhung von den Radikalen zu erhoffen. Im Gegenteil wagte die Regierung nicht, 12 Mill. Steuerrückstände einzutreiben, um das Volk sich nicht abspenstig zu machen. Eine ausländische Anleihe behufs Umwandlung der Staatsschuld, von welcher man Hilfe erwartete, scheiterte. Der Finanzminister Vuitsch fand daher nach seiner Rückkehr von einem längern Urlaub die Staatskasse gänzlich leer vor, während die Beamten und Offiziere seit Monaten keinen Gehalt bezogen hatten. Es kam darüber zwischen ihm und seinem Stellvertreter, dem Handelsminister Tauschanowitz, zu einem heftigen Streit, in welchem das Ministerium für letztern Partei ergriff, so daß Vuitsch seine Entlassung nahm. Mit Mühe und eigentlich nur zum Schein wurde das Budget für 1892 auf 60 Mill. in Einnahme und Ausgabe von der Skuptschina festgestellt. Überhaupt hatte die herrschende radikale Partei ihre Einigkeit eingebüßt; namentlich die bäuerlichen Deputierten wollten sich der Regierung nicht mehr fügen, und im Frühjahr 1892 mußte der Ministerpräsident Paschitsch das Ministerium völlig umgestalten. Der Regentschaft gegenüber mußten unter diesen Umständen die Radikalen sich nachgiebig zeigen, und so genehmigte die Skuptschina im März auch die völlige Entlassung des Exkönigs Milan aus dem serbischen Staatsverbande, obwohl das schmähliche Verhalten Milans allgemein gemißbilligt und die Gesetzlichkeit seines Verzichts angezweifelt wurde. Indem dem Exkönig jede weitere Forderung an S. und jedes Wiederkommen bis zur Großjährigkeit des Königs untersagt wurde, war er für S. politisch und bürgerlich tot. Zur Befestigung der Dynastie Obrenowitsch trug der Vorfall aber nicht bei.

Sericin, s. Seide.

Seuchen, Abwehr, s. Gesundheitspflege, S. 381.

Sexualpsychologie, die Lehre von den Gefühlen und Trieben geschlechtlicher Art hat erst neuerdings eine wissenschaftliche Behandlung gefunden. Das Geschlechtsgefühl entsteht unter regelmäßigen Verhältnissen etwa 2 Jahre nach dem Eintreten der Pubertät. Es ist anfangs undifferenziert, d. h. nicht mit völliger Sicherheit auf das andre Geschlecht bezogen und daher manchmal in der Form einer sinnlich angehauchten Freundschaft enthalten. Alsdann wandelt es sich in sentimentale Schwärmerei, bis es etwa 4 oder 5 Jahre nach dem Eintreten der Geschlechtsreife vollkommen gefestigt ist und sich eindeutig auf den Besitz einer Person des andern Geschlechts bezieht. Diese Stellung im Seelenleben behält es bis zum Erlöschen der physiologischen Fähigkeit; gleichzeitig hiermit verliert es seine Triebelemente, während die nunmehr vom Verlangen freie Fühlfähigkeit noch einige Jahre anzudauern pflegt. Für die Stärke des Geschlechtsgefühles innerhalb der geschilderten Entwickelung sind sowohl physiologische Thatsachen als psychologische Momente von Bedeutung. Bei den letztern unterscheiden wir vier Glieder. Das erste besteht entweder aus peripherisch bedingten Wahrnehmungen oder aus zentral geweckten Vorstellungen, z. B. aus dem wirklichen Anblick oder aus der Erinnerung eines schönen Menschen. Hieran schließen sich Lustgefühle, welche in die Klasse der sinnlichen Gefühle gehören, daran schließt sich der Drang zu geschlechtlicher Befriedigung. Es folgt nun als letztes Stadium eine Vorstellungsthätigkeit, die in der sexuellen Richtung liegt, wenn jener Befriedigung nichts im Wege steht, während sie im andern Falle aus hemmenden Ideen besteht. Treibende und hemmende Kräfte sind wandelbare Größen. Auf die Stärke der treibenden Momente haben Konstitution, organische Einflüsse (besonders Alkoholübergenuß), auf die der Gegenvorstellungen Erziehung und Selbstbeherrschung gewichtigen Einfluß. Die sittliche Höhe des Individuums besitzt ihr Maß in der Schnelligkeit und Stärke der Hemmung. Von den Abweichungen des Sexuallebens gehören drei Gruppen insofern zusammen, als bei ihnen der Inhalt des Triebes unverändert ist und die Unregelmäßigkeit in der Zeit des Auftretens sowie in Verminderung oder Verstärkung der Intensität liegt: a) Paradoxie des Geschlechtsgefühls nennt man (v. Krafft-Ebing) das Auftreten desselben außerhalb der Zeit anatomisch-physiologischer Vorgänge, also bei Kindern und Greisen; b) Anästhesie oder Hypästhesie ist das Fehlen jedes sexuellen Verlangens oder ein übermäßiges Zurücktreten desselben, das teils angeboren, teils erworben sein kann; c) Hyperästhesie oder die krankhafte Steigerung des Triebes. Sie äußert sich entweder in der Häufigkeit des Bedürfnisses oder darin, daß es beim Anblick von an sich sinnlich reizlosen Personen, bez. Sachen erwacht. Unter Parästhesien versteht man eine Veränderung des Inhaltes der Sexualgefühle, insofern Vorstellungen, die sonst mit Unlustgefühlen betont sind, mit sinnlichen Lustgefühlen einhergehen und Affekte hervorzurufen vermögen. Das praktische Resultat sind verkehrte Handlungen (Perversion des Geschlechtstriebes, v. Krafft-Ebing): a) Sadismus. Nach den berüchtigten Romanen des Marquis de Sade nennt die Psychologie die Verquickung der sexuellen Triebe mit einer unnatürlichen Freude an Grausamkeiten »Sadismus«. Diese Verbindung von Wollust mit der Lust an Schmerzen der geliebten Person zeigt sich auf niedriger Stufe in den Fällen, wo schmerzhaftes Pressen, Kratzen, Beißen dem aktiven Teil seinen Genuß erhöht. Die Parästhesie kann sich aber zum Blutigstechen, Schlagen, Geißeln, Besudeln steigern und schließlich in Notzucht, Lustmord, Anthropophagie gipfeln. Für die Erklärung ist es wichtig, daß meist, Ausnahmen wie Kleists »Penthesilea« abgerechnet, Männer dieser Verirrung unterliegen. Denn schon unter gewöhnlichen Verhältnissen sieht sich der Mann einem durch die Keuschheit des geehelichten Weibes gegebenen Widerstande gegenüber, den er zum Teil mit Gewalt überwinden muß, und von vielen Naturvölkern wissen wir, daß bei ihnen der Raub, ja selbst die Wehrlosmachung der Frau durch Keulenschläge die Liebeswerbung ersetzt. Außerdem verlangen Affekte, wie Zorn und Liebe, eine Entladung in starken Bewegungen, die dem Gegenstande des Affektes zugefügt werden, b) Masochismus, so genannt nach den Romanen Sacher-Masochs, welche diese Ausartung mit Vorliebe behandeln, ist das Gegenstück des Sadismus. Während jener Schmerzen zufügen und Gewalt ausüben will, geht dieser daraus aus, Schmerzen zu leiden und sich der Gewalt unterworfen zu fühlen; während jener die krankhafte Steigerung des männlichen Geschlechtscharakters in seinem psychischen Beiwerk ist, stellt dieser eine Übertreibung spezifisch weiblicher seelischer Eigentümlichkeiten dar. Der Masochismus durchläuft die ganze