Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

197

Vielfuß - Vienne.

Fleck zwischen Augen und Ohren und einer hellgrauen Binde, welche von der Schulter längs der Seiten verläuft. Er bewohnt den Norden der Alten und Neuen Welt; früher fand er sich südlich bis zu den Alpen, jetzt nur noch bis zum südlichen Norwegen und Finnmarken; er bevorzugt die nackten Höhen der Gebirge, schweift beständig umher, ist plump und ungeschickt, verfolgt aber seine Beute mit großer Ausdauer und überfällt größere Tiere, indem er ihnen von Baumästen aus auf den Rücken springt und die Halsadern durchbeißt. Er nährt sich hauptsächlich von Mäusen, vertilgt Lemminge in großer Zahl, bewältigt das Moschustier, das Renntier und das Elen und beißt Kühen die Gurgel ab. Er frißt auch den Köder und die gefangenen Tiere aus den Fallen, plündert die Hütten der Lappen und soll Menschenleichen ausgraben. Der V. ist ungemein stark und wild und stellt sich in der Gefahr auch gegen Menschen zur Wehr. Das Weibchen wirft in hohlen Bäumen oder Erdhöhlen. Den Namen hat das Tier wahrscheinlich von seiner Freßgier; nach andern stammt derselbe aus der schwedischen Sprache von Fjal-Fräs und bedeutet Felsenkatze. Das Fell (Karkajou) ist bei den nordischen Völkerschaften, besonders bei den Kamtschadalen, sehr geschätzt; in den europäischen Handel kommen jährlich etwa 3500 Stück, meist aus Nordamerika.

Vielfuß, Tintenschnecke, s. Pulpe.

Vielfuß (Tausendfuß, Julus L.), Gattung aus der Klasse der Tausendfüßer und der Ordnung der Schnurasseln, Tiere mit cylindrischem, spiralig aufrollbarem Körper, doppelten, kurzen Beinpaaren an den Leibessegmenten, großem, freiem Kopf, Fühlern von Kopfeslänge und zum Kauen eingerichteten Mundteilen. Der gemeine V. (J. terrestris L.), 6,5 cm lang, mit etwas nach oben gebogenem Schwanzspitzchen, auf allen Ringen mit feinen Längsrissen, in sieben Reihen stehenden 28 Augen jederseits, dunkel braungrau mit zwei hellgelben Längsstreifen auf dem Rücken, lebt häufig unter Moos und Steinen. Der getupfte V. (J. guttulatus L.), klein, dünn, fadenförmig, augenlos, blaßbraun, an den Seiten blutrot gefleckt, findet sich zahlreich an abgefallenem Obst, frißt sich in die großen Erdbeeren ein, zerstört auch die fleischigen Wurzeln des Gemüsegartens und keimende Bohnen-, Kürbis-, Gurken-, Rübensamen.

Vielgötterei, s. Polytheismus.

Vielhufer, s. v. w. Dickhäuter (s. d.).

Viella (Vielle), im Mittelalter Name des gewöhnlich Viola (span. Vihuela, deutsch Fiedel, Fidula) genannten Streichinstruments, dessen letzter Vertreter die Gambe war, aus dem sich jedoch unsre heutigen Streichinstrumente naturgemäß entwickelten (s. Viola und Streichinstrumente). In Frankreich war seit dem 15. Jahrh. V. der Name der Drehleier (s. d.).

Vielliebchen (franz. Philippine, engl. Fillipeen), die Sitte, Zwillingsfrüchte oder die in Krachmandeln etc. vorkommenden Doppelkerne geteilt zu essen, worauf die Beteiligten sich beim Wiedersehen mit »Guten Morgen, V.« zu begrüßen haben und derjenige, welcher dies zuerst thut, vom andern ein Geschenk zu erhalten hat. Es gibt altfranzösische Variationen dieses Spiels, von denen die bekanntesten darin bestehen, daß derjenige, welcher zuerst aus der Hand des andern etwas annimmt, ohne J'y pense (»ich denke daran«) zu sagen, das V. verliert, oder daß derjenige die Buße zu zahlen hat, welcher irgendwo ohne ein grünes Blatt angetroffen wird, woher die altfranzösische Redensart prendre quelqu'un sans vert, d. h. jemand überraschen, herrührt. Ob »V.«, wie einige Autoren behaupten, eine Korrumpierung des französischen Philippine ist, steht dahin, das Umgekehrte erscheint eher wahrscheinlich.

Vielmännerei, s. Polyandrie.

Vielweiberei, s. Polygamie.

Vien (spr. wjäng), Joseph Marie, franz. Maler, geb. 18. Juni 1716 zu Montpellier, Schüler von Natoire, ging 1744 als Pensionär nach Rom und leitete seit 1750 zu Paris eine Malschule. 1775 ward er Direktor der französischen Akademie in Rom, kehrte 1781 nach Paris zurück und wurde 1789 erster Maler des Königs. Napoleon I. ernannte ihn zum Senator und Reichsgrafen. Er starb 27. März 1809 in Paris. V. bezeichnet den Übergang vom Rokoko zu einer ernstern, einfachern Kunstweise, indem er der Natur und der Antike mehr Rechte einräumte. Seine Hauptwerke (die Heiligen Germain und Vincent, Dädalus und Ikarus, spielende Amoretten) befinden sich im Louvre. David ist sein Schüler.

Vienenburg, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Hildesheim, Kreis Goslar, an der Mündung der Radau in die Oker, Knotenpunkt der Linien Halle-Zellerfeld und V.-Neuekrug der Preußischen wie Wolfenbüttel-Harzburg der Braunschweigischen Staatsbahn, 145 m ü. M., hat eine evangelische und eine kath. Kirche, eine Zuckerfabrik, ein Kalisalzbergwerk, Kunstdüngerfabrikation und (1885) 2571 Einw.

Vienne (spr. wjenn, bei den Alten Vigenna), Fluß im westlichen Frankreich, entspringt im Departement Corrèze auf dem Plateau von Millevache unweit des Mont Odouze, durchfließt in westlicher und nördlicher Richtung die Departements Obervienne, Charente, V. und Indre-et-Loire und fällt dort nach einem Laufe von 372 km, wovon 75 km (von Châtellerault an) schiffbar sind, bei Candes zwischen Tours und Saumur links in die Loire. Sein wichtigster Nebenfluß ist rechts die Creuse.

Das Departement Vienne, aus dem größten Teil der frühern Landschaft Oberpoitou, dann Teilen der Touraine und des Berry gebildet, wird von den Departements Maine-et-Loire und Indre-et-Loire (nördlich), Indre und Obervienne (östlich), Charente (südlich) und Beide Sèvres (westlich) umschlossen und umfaßt 6970 qkm (125,33 QM.). Das Land ist im allgemeinen ziemlich fruchtbar und meist eben, nur im S. sind einige Hügelreihen. Bewässerung geben die Vienne und die Creuse (mit der Gartempe), die Dive du Nord, ein Zufluß des Thouet, dann die Charente, von denen die zwei erstern auf kurze Strecken schiffbar sind. Das Klima ist mild und gesund, aber der im Frühjahr aus NW. wehende Galerne wirkt oft nachteilig auf die Vegetation. Die Bevölkerung belief sich 1886 auf 342,785 Einw. und ist verhältnismäßig spärlich und geistig noch sehr zurückgeblieben. Vom Gesamtareal kommen auf Äcker 451,606, Wiesen 40,695, Weinberge 43,197, Wälder 84,445, Heiden und Weiden 41,059 Hektar. Die wichtigsten Produkte sind: Getreide und zwar Weizen (über 2 Mill. hl) und Hafer (1¾ Mill. hl), weniger Gerste, Halbfrucht und Roggen, ferner Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Hanf, Futterrüben, Wein (in guten Jahren 1 Mill. hl), Kastanien, Obst, Holz; ferner Vieh (1886 zählte man 31,985 Pferde, 13,635 Esel, 108,636 Rinder, 380,650 Schafe, 28,765 Ziegen und 90,662 Schweine), Wild, Geflügel und Fische. Das Mineralreich bietet außer Kalkstein nicht viel. Die Industrie, welche ohne wesentliche Bedeutung ist, umfaßt Hanfspinnerei, Fabrikation von Posamentierwaren, Maschinen, Messerschmiedewaren (zu Châtellerault), Leder, Papier, Kerzen etc. Zu Châtellerault besteht eine große staatliche Waffenfabrik. Der Handel ist ebenfalls