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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wahrheitsbeweis; Wahrheitseid; Währing; Wahrmund; Wahrsagen; Wahrschaftsrecht beim Viehhandel; Wahrscheinlichkeit

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Wahrheitsbeweis - Wahrscheinlichkeit.

liehener ist, und die, insofern ihre Quelle die Erfahrung ist, auch empirische Wahrheiten genannt werden, zerfallen abermals in zwei Unterabteilungen: in physische Wahrheiten, die in der unmittelbaren Beobachtung der Erscheinungen, auch des psychischen Lebens, insofern diese dem innern Sinn sich wahrnehmbar machen, ihren Grund haben, und zu deren Erforschung die unbefangene Induktion oder der Versuch der geeignete Weg ist, und in historische Wahrheiten, deren Gegenstand der Vergangenheit angehört, aber durch Geschichtsdenkmäler, noch vorhandene Erzeugnisse und Spuren, Zeugenaussagen oder durch sonstige historische Berichte konstatiert ist. Ideelle Wahrheiten nennt man solche, bei denen der von der Sinnenwelt dargebotene Stoff nach innern Bestimmungen verarbeitet und nach dieser Verarbeitung dem Verstand als Gegenstand dargeboten wird, bei denen also der Gehalt der Vorstellungen ein innerer, obgleich noch auf dem Boden der Sinnlichkeit wurzelnder ist. Hierher gehört die innere Kunstwahrheit (ästhetische und poetische W.), vermöge deren ein Kunstwerk der Idee mehr oder weniger entspricht, während die äußere Naturwahrheit sich auf die Übereinstimmung des Dargestellten mit dem in der Wirklichkeit gegebenen Gegenstand bezieht. Ferner die psychologische W. in der Entwickelung eines Charakters, die anatomische Richtigkeit der Zeichnung etc.

Wahrheitsbeweis, s. Beleidigung, S. 637.

Wahrheitseid, s. Eid, S. 367.

Währing, Vorort von Wien, im Westen der Stadt, zur Bezirkshauptmannschaft Hernals gehörig, ist in den letzten Jahren rasch angewachsen, steht mit Wien in Tramwayverbindung, hat ein Bezirksgericht, eine Oberrealschule, 2 Krankenhäuser und andre Wohlthätigkeitsanstalten, Fabrikation von Mühlsteinen, Leder, Schokolade u. a., Bierbrauerei und (1880) 40,135 (1869 erst 16,023) Einw. W. enthält eine Gruppe geschmackvoller Villen des Wiener Kottagevereins. Darüber erhebt sich die sogen. Türkenschanze mit neuangelegtem öffentlichen Park (Aussichtsturm) und der Wiener Sternwarte.

Wahrmund, Adolf, Orientalist, geb. 10. Juni 1827 zu Wiesbaden, studierte in Göttingen Theologie und Philologie, widmete sich dann in Wien besonders dem Studium der lebenden orientalischen Sprachen und war 1853-61 an der k. k. Hofbibliothek daselbst als Mitarbeiter bei der Neukatalogisierung beschäftigt. Seit 1862 wirkt er als Dozent an der Universität, seit 1870 auch an der orientalischen Akademie in Wien. Seine Hauptthätigkeit widmet er seit einer Reihe von Jahren der Bearbeitung der lebenden Sprachen des mosleminischen Orients. Hierher gehören: »Praktisches Handbuch der neuarabischen Sprache« (3. Aufl., Gießen 1886; dazu »Lesebuch«, 2 Bde.); »Praktisches Handbuch der osmanisch-türkischen Sprache« (2. Aufl., das. 1879); »Praktisches Handbuch der neupersischen Sprache« (das. 1875); »Handwörterbuch der neuarabischen und deutschen Sprache« (das. 1874-77). Außerdem schrieb er unter anderm: »Babyloniertum, Judentum und Christentum« (Leipz. 1882), »Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Judenherrschaft« (Karlsr. 1887) und lieferte Übersetzungen des Thukydides (3. Aufl., Stuttg. 1875), des Diodor (das. 1866) und einen Abriß über die »Geschichtschreibung der Griechen« 3. Aufl., Berl. 1886).

Wahrsagen, s. Weissagung und Mantik.

Wahrschaftsrecht beim Viehhandel, die gesetzlichen Bestimmungen über die Haftung für die ausdrücklich verabredeten oder stillschweigend vorausgesetzten Eigenschaften der Haustiere bei ihrer entgeltlichen Veräußerung; s. Gewährsmängel.

Wahrscheinlichkeit (Probabilitas), der Grad der Zuverlässigkeit, mit welchem man den Eintritt oder den Nichteintritt eines Ereignisses erwartet. Im gewöhnlichen Leben bezeichnet man etwas als wahrscheinlich, wenn die für eine Annahme sprechenden Gründe die Gegengründe überwiegen oder auch nur zu überwiegen scheinen; das Gegenteil hält man dann für wenig wahrscheinlich oder unwahrscheinlich. Unter mathematischer W. eines Ereignisses versteht man einen Bruch, dessen Zähler gleich der Anzahl der dem Eintreten dieses Ereignisses günstigen Fälle und dessen Nenner gleich derjenigen aller möglichen Fälle ist, vorausgesetzt, daß alle Fälle gleich möglich sind. Fragt man z. B. nach der W., aus einen Wurf mit Würfeln 9 Augen zu werfen, so ist die Anzahl der günstigen Fälle 4: denn man erhält 9 Augen, wenn man mit dem ersten Würfel 6 und mit dem zweiten 3, oder mit jenem 5 und mit diesem 4, oder mit jenem 4 und mit diesem 5, oder mit jenem 3 und mit diesem 6 wirft. Die Anzahl der mit 2 Würfeln möglichen Würfe ist aber 6 . 6 = 36, denn jeder der 6 Würfe des ersten Würfels kann mit jedem der 6 Würfe des zweiten zusammen vorkommen. Sonach ist die gesuchte W. 4/36 = 1/9. In solchen und ähnlichen Fällen, namentlich wenn es sich um W. beim Spiel handelt, ist die Ermittelung der Anzahl der günstigen und der möglichen Fälle Sache der Kombinationslehre. Im Versicherungswesen wird die W., welche den Rechnungen zu Grunde gelegt werden soll, aus einer sehr großen Anzahl von Beobachtungen bestimmt. Je größer diese Zahl und je größer die Zahl der Fälle ist, für welche die Rechnung angestellt wird, um so zuverlässiger ist das Ergebnis der letztern. Nach der deutschen Sterbetafel erreichen von 54,454 Männern von 30 Jahren 48,775 das 40. Lebensjahr. Daher ist für einen 30jährigen die W., noch 10 Jahre zu leben, 48775/54454 = 0,8957. Von vielen Tausenden wird auch dieser Bruchteil nach 10 Jahren annähernd noch am Leben sein. Man spricht von einer einfachen W., wenn nur ein Ereignis in Frage kommt; von einer zusammengesetzten W., wenn es sich um das Zusammentreffen mehrerer Ereignisse handelt. Ist die einfache W. für einen Mann, noch 10 Jahre zu leben, gleich 0,7, die einfache W. für seine Gattin, bis dahin noch zu leben, gleich 0,8, so ist die zusammengesetzte W., daß beide am Leben bleiben werden = 0,7 × 0,8 = 0,56. Die weitere Entwickelung der im Begriff der W. liegenden Aufgaben fällt der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu, deren erste Anfänge sich in dem Briefwechsel von Fermat und Pascal finden, und die dann von Huygens, Jak. Bernoulli, Moivre, Laplace u. a. weiter entwickelt worden ist. Vgl. Cantor, Historische Notizen über die Wahrscheinlichkeitsrechnung (Halle 1874); Laplace, Théorie analytique des probabilités (Par. 1812) und »Essai philosophique sur les probabilités« (das. 1814; deutsch von Schwaiger, Leipz. 1886); Littrow, Wahrscheinlichkeitsrechnung in ihrer Anwendung (Wien 1832); Hagen, Grundzüge der Wahrscheinlichkeitsrechnung (3. Aufl., Berl. 1882); Meyer, Vorlesungen über Wahrscheinlichkeitsrechnung (deutsch von Czuber, Leipz. 1879); Kries, Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Freib. i Br. 1886).

Ein besonders wichtiger Teil der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist die Methode der kleinsten Qua-^[folgende Seite]