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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Aachen.

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Aachen'

und 1794 von den Franzosen ausgebrochen und nach Paris entführt wurden, sind 1815 beim Friedensschluß, wenn auch nicht vollständig (die kostbarsten, namentlich zwei rote Porphyrsäulen, bilden noch heute einen vorzüglichen Schmuck der Antikengalerie des Louvre), zurückgegeben und 1846 auf Kosten des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen an ihrer alten Stelle wieder aufgestellt und ergänzt worden. Westlich vor dem Oktogon steht ein Glockenturm, durch eine Steinbrücke mit jenem verbunden und flankiert von zwei runden (karolingischen) Treppentürmen, die nach den Reliquienkammern führen. Die ehemalige rechtwinkelige Altarnische an der Ostseite des Oktogons wurde später durch das angebaute hohe Chor verdrängt, welches, der zweitälteste Teil des Doms, 1353-1413 im gotischen Stil Aufgeführt wurde, 34,5 m hoch, 25 m lang und 12,5 m breit ist und insbesondere durch die prachtvollen modernen Glasgemälde seiner 13 großen Fenster (26,7 m hoch, 5 m breit) die Aufmerksamkeit fesselt. Auch zu beiden Seiten des Achtecks und des Chors wurden im 15. Jahrh. noch einige reichdekorierte gotische Kapellen angefügt, unter denen sich namentlich außer der Karlskapelle, die wie die übrigen im Innern restauriert ist, die Annakapelle durch ihre zierliche Form auszeichnet. Eine dritte Bauperiode, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts fallend, verunstaltete das damals schon planlos erweiterte Gebäude durch Anbau einer neuen Kapelle im Zopfstil (neben dem Eingangsturm), der Ungarischen, die jetzt den Domschatz birgt, sowie durch geschmacklose Rokokostukkatur und verschiedene Übermalungen im Innern. Die Entfernung dieser entstellenden Zuthaten und die Herstellung der Kirche in ihrer reinen und ursprünglichen Gestalt hat sich der 1849 gegründete Karlsverein zur Aufgabe gestellt. In der Mitte des Oktogons bezeichnet am Boden eine flache Steinplatte mit der Metallinschrift "Carolo Magno" die Stelle, unter welcher die Gebeine des Kaisers angeblich ruhten. Karls erstes Grab ist noch nicht gefunden; seit 1215 ruhen seine Gebeine im schönen Karlsschrein (vgl. Käntzeler, Karls d. Gr. Behälter, Aach. 1858, und in den Bonner "Jahrbüchern", Heft 33). Außer Karl d. Gr. fand auch Kaiser Otto. III. seine Ruhestätte im Münster. Über Karls angeblicher Gruft hängt ein kolossaler Kronleuchter von vergoldetem Kupfer in Ringform (4 m im Durchmesser) für 48 Kerzen, eine kunstvolle Arbeit des Meisters Wibertus und von Kaiser Friedrich I. geschenkt. Die großen Heiligtümer des Münsters, welche alle sieben Jahre von der Turmgalerie vom 10. bis 24. Juli (zuletzt 1881) dem Volk gezeigt werden, sind: ein Unterkleid der Mutter Gottes von gelblichweißer Leinwand (eine Art Byssus), die Windeln des Christuskinds, das Lendentuch Christi und das Leintuch, auf welchem Johannes der Täufer enthauptet wurde. Ein interessanter Teil des kostbaren Münsterschatzes ist das angebliche Hifthorn Karls d. Gr. Auf der Empore des Oktogons (dem sogen. Hochmünster) ist der weißmarmorne, später mit Gold plattierte Kaiserstuhl aufgestellt, auf welchem Karl d. Gr. angeblich im Grab saß, und der dann vor und nach der Krönung von den spätern Kaisern im vollen Ornat eingenommen ward, eigentlich aber das Archisolium (der Erzthron) ist. Endlich ist noch die prachtvolle Evangelienkanzel in dem Chor zu erwähnen, die, bei feierlichen Messen zum Absingen des Evangeliums dienend, mit Goldblech überzogen und mit kostbaren Gemmen, merkwürdigen Elfenbeinreliefs und emaillierten Darstellungen geschmückt ist, ein Geschenk Kaiser Heinrichs II. Vgl. Quix, Historische Beschreibung der ↔ Münsterkirche zu A. (Aach. 1825); Debey, Die Münsterkirche zu A. und ihre Wiederherstellung (das. 1851); Schervier, Die Münsterkirche zu A. und deren Reliquien (das. 1853); Floß, Geschichtliche Nachrichten über die Aachener Heiligtümer (das. 1855); Bock, Karls d. Gr. Pfalzkapelle und ihre Kunstschätze (Köln 1866-67); Kessel, Geschichtliche Mitteilungen über die Heiligtümer der Stiftskirche zu A. (Aach. 1874).

Außer dem Münster besitzt A. noch 27 Gotteshäuser, darunter 8 Pfarrkirchen, eine evangelische Kirche und eine neue Synagoge im maurischen Stil. Nur drei dieser Kirchen sind mittelalterlichen Ursprungs: die St. Foilans-Pfarrkirche (aus dem Anfang des 12. Jahrh.), die spätgotische Kirche zu St. Paul (mit einer Himmelfahrt von Schadow) und die Nikolauskirche. Unter den übrigen sind die gotische Marienkirche und die im romanischen Stil erbaute Redemptoristenkirche als Perlen moderner Baukunst sowie die Michaelskirche (1628 geweiht) wegen ihres berühmten Altarbilds (einer Pietà von Honthorst) und die neue Jakobskirche im Übergangsstil hervorzuheben.

Das historisch wichtigste profane Bauwerk Aachens, das im 14. Jahrh. erbaute gotische Rathaus, am Markt, an der Stelle der karolingischen Kaiserpfalz, nimmt sich besonders in der dem Markt zugekehrten Nordfronte majestätisch aus. An beiden Seiten erhoben sich bis zur Vernichtung ihres hohen Dachwerks durch die Feuersbrunst von 1883 zwei Türme, von denen der eine (östliche), der gewaltige Granusturm, aus dem 13. Jahrh. stammte (vgl. Kessel, Das Rathaus zu A., 1884). Im obern Geschoß enthält das Rathaus den schönen, 51 m langen und 19 m breiten Kaisersaal, der einst zur Abhaltung der Krönungsfestlichkeiten diente und jetzt vollständig restauriert ist. Von den übrigen öffentlichen Gebäuden sind zu nennen: das Kurhaus mit großem Konzertsaal, daneben die sogen. Alte Redoute (mit dem Suermondt-Museum und der Stadtbibliothek), der in griechischem Stil ausgeführte Elisenbrunnen (1822-24 von Schinkel erbaut und nach der damaligen Kronprinzessin Elisabeth benannt), das Präsidialgebäude, das Theater (1822 von Cremer erbaut), das Regierungsgebäude, das gotische Karlshaus, das schloßähnliche Bürgerspital Mariahilf (1848 bis 1865 erbaut), das 1870 vollendete Polytechnikum (im italienischen Renaissancestil, von Cremer Sohn erbaut), das neue Gefangenhaus und großartige Fabrikbauten. Auf dem Platz, wo die drei Monarchen beim Kongreß 1818 Gott für den Frieden dankten, wurde 1844 ein Monument errichtet; ein Kriegerdenkmal (von Fr. Drake) steht vor dem Rheinischen Bahnhof. Merkwürdig ist noch das sogen. Gras, das ältere Bürgerhaus und ehemalige Gefängnis aus der Zeit Richards von Cornwallis, und die sogen. Aachener Masse, jetzt in der Technischen Hochschule, ein 3700 kg schwerer, vor dem Kaiserbad 1815 ausgegrabener Eisenblock, der die bei einem Brand zusammengeschmolzene Reiterstatue des Königs Theoderich I., nach andern (wohl richtiger) ein Meteorstein sein soll. - Eine großartige Wasserleitung, zu welcher das Wasser aus dem etwa 4 km entfernten Kohlenkalkgebirge mittels einer Stollenanlage gewonnen wird, und eine Pferdebahn sind jetzt vollendet.

Die Zahl der Einwohner, welche 1799: 23,699; 1825: 35,428 und 1867: 67,923 betrug, belief sich bei der Zählung von 1880 mit Einschluß der Garnison (2 Bat. Nr. 53) auf 85,551 Seelen (darunter 5396 Protestanten und 1091 Juden). Im September 1884 wurde die Gesamtbevölkerung auf 89,710 Personen berechnet.

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 4.