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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Aktie und Aktiengesellschaft

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Aktie und Aktiengesellschaft (Statistisches, Reformbestrebungen etc.).

rungsgesellschaften von 1862 ab), sich als Joint stock companies with limited liability zu konstituieren. Weiter ging die Companys' Act vom 7. Aug. 1862, nach welcher sich jeder Verein von wenigstens sieben Personen mit oder ohne Zerlegung seines Vermögens in Kapitalanteile (shares) frei bilden kann. Es wurden gestattet Kapitalvereine: 1) mit unbeschränkter Solidarhaft (company unlimited having a capital divided into shares); 2) mit auf die Anteile beschränkter Haftung (company limited by shares); 3) mit einer bestimmt begrenzten, über den Betrag der Aktie hinausgehenden Haftung (company limited by guarantee and having a capital divided into shares). Bei beschränkter Haftbarkeit müssen Firma und Anzeigen mit dem Beisatz limited versehen sein. Die Staatsaufsicht ist nur eine regressive, direkte Regierungseinmischung findet nur auf Antrag eines Teils der Aktionäre statt. War durch dieses Gesetz die Inhaberaktie noch verboten, so wurde sie durch die Companys' Act vom 20. Aug. 1867 für Gesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit unter der Bedingung der vollen Einzahlung des Aktienbetrags gestattet. Auch kann das Handelsamt die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit und mit Ausschließung der Dividendenzahlung zu gemeinnützigen Zwecken erlauben. Endlich gestattete die Companies' Act vom 15. Aug. 1879 allen Gesellschaften mit Solidarhaft, sich in solche mit beschränkter Haftbarkeit zu verwandeln. Dagegen bleibt bei Notenbanken, mit Ausnahme der Bank von England, die volle Haftbarkeit bestehen. Die Gründung erfolgt einfach durch Vereinigung von wenigstens sieben Personen und durch Eintrag beim Registrierungsamt. Die Zahl der Aktiengesellschaften Großbritanniens war 16. Febr. 1883: 8849 mit 489,2 Mill. Pfd. Sterl. Kapital.

In Deutschland gab es zwar auch früher Gesellschaften mit ähnlichen Einrichtungen wie die heutigen Aktiengesellschaften, so die Iglauer Tuchkompanie (1592-1620), die 1719 in Wien gegründete Orientalische Kompanie sowie einige unter Friedrich II. in Preußen ins Leben gerufene Gesellschaften; doch waren die meisten Gesellschaften Staatsanstalten mit privaten Vermögenseinlagen, errichtet auf Grund verliehener Spezialprivilegien. Nun machte der Eisenbahnbau den Erlaß allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen nötig, so in Preußen des Eisenbahngesetzes vom 3. Nov. 1838, des Gesetzes über Aktiengesellschaften vom 9. Nov. 1843, des österreichischen Patents vom 26. Nov. 1852. Eine allgemeine Regelung trat durch das Handelsgesetzbuch, welches, wie die frühern Gesetze, am Erfordernis staatlicher Genehmigung festhielt. Doch wurde der Konzessionszwang für das Deutsche Reich durch Gesetz vom 11. Juni 1870, ebenso der Unterschied zwischen Aktien-Gesellschaften, welche Handelsgeschäfte treiben, und den übrigen (Zivil-) Aktiengesellschaften, die früher durch Landesgesetze geregelt wurden, aufgehoben. Auch in Ungarn wurde der Konzessionszwang 1875 beseitigt, während er, wie überhaupt die bezüglichen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs, in Cisleithanien noch in Kraft steht. Das neue Gesetz mit seinen die Konzession ersetzenden Normativbestimmungen erleichterte nicht allein die Gründung neuer Gesellschaften, sondern es bot auch Umgehungen und Mißbräuchen großen Spielraum.

In Preußen bestanden 1867 (ohne Eisenbahn- und Wegebaugesellschaften) 225 Aktiengesellschaften, davon waren konzessioniert 1790-1842:31, 1843-49:25, 1850-59:111 und 1860-67:58 Gesellschaften. Mit dem Jahr 1871, in welchem 185 neue Gesellschaften gegründet wurden, trat eine plötzliche Steigerung ein, die aber ebenso schnell wieder einer Abnahme Platz machte, denn es entstanden

^[Liste]

1872: 470 Gesellschaften mit 1477,7 Mill. Mk.

1873: 237 - 544,2 -

1874: 84 - 105,9 -

Bis 1878 fiel die Zahl der gegründeten Gesellschaften auf 38 mit einem Aktienkapital von nur 13,2 Mill. Mk. Von da an stieg die Gründungsthätigkeit aber wieder schnell, so daß 1881:102 Gesellschaften mit einem Kapital von 199,2 Mill. Mk. entstanden und 1883:121 mit 86,3 Mill. Mk. Kapital. Die Gesamtzahl der in Preußen seit Einführung des Aktiengesetzes eingetragenen Aktiengesellschaften beträgt bis Ende 1883:1620; davon sind vom 1. Jan. 1872 bis 31. Dez. 1883 gegründet worden 1411 mit 2738,6 Mill. Mk. Kapital. Für 1882 liegen 1196 Bilanzen vor; danach verzinsten sich 93 Versicherungsgesellschaften (92 Mill. Kapital) mit 16,2, 41 chemische Fabriken (79,4 Mill.) mit 12,8, 42 Zuckerfabriken (45,7 Mill.) mit 10,6, 43 Gas- und Wasserversorgungen (50,5 Mill.) mit 10,7, 79 Textilfabriken (198,8 Mill.) mit 7,7, 205 Banken (1344,7 Mill.) mit 7, 95 Brauereien (114,7 Mill.) mit 5,5, 102 Anstalten der Metallindustrie (198,8 Mill.) mit 5,1, 50 Eisenbahnen (940,9 Mill.) mit 4,3, 115 Anstalten der Montanindustrie (823,8 Mill.) mit 2,9, 52 Baugesellschaften (138,7 Mill.) mit 1,4 Proz. Die Gummifabriken realisierten 10,6, die Müllerei 7,7, die Reederei 7,2, die Pferdebahnen 4,6, die Industrie der Steine und Erden 4,4, die in Holz und Leder 4,2 Proz. Doch können diese Zahlen nicht als absolut maßgebend für die Ertragsfähigkeit dieser Gesellschaften angesehen werden, da auch der relativ sehr verschiedene Stand der Obligationen, Hypotheken und Reservefonds in Betracht zu ziehen ist.

Die Reformbestrebungen der neuern Zeit zielen teils auf Wiedereinführung der Staatsgenehmigung, teils auf Erweiterung der Staatsaufsicht ab. Ferner wird vorgeschlagen, die Aktiengesellschaften möglichst durch öffentliche Unternehmungen (Staatseisenbahnen, Gemeindeanstalten) zu ersetzen, während von andrer Seite größere persönliche Verantwortlichkeit der Gründer und Gesellschaftsorgane, volle Öffentlichkeit, Wegfall statutarischer Vorbehalte für Gründer und erste Zeichner, Erweiterung der Individualrechte der Aktionäre, Ermöglichung einer schärfern Kontrolle etc. gefordert werden. Nicht alle Vorschläge sind unbedenklich. Die Geschichte des Aktienwesens beweist, daß Schwindel und Mißbrauch bei den verschiedensten gesetzlichen Regelungen vorkamen. Lassen sich dieselben auch durch gesetzliche Reformen zum Teil mindern und beseitigen, so wird doch das Publikum selbst durch Hebung der wirtschaftlichen Einsicht und Förderung einer gesunden Geschäftsmoral das Wichtigste zur Besserung beitragen müssen. Das deutsche Aktiengesetz vom 18. Juli 1884 bestrebt sich, die Mangel der seitherigen Gesetzgebung dadurch zu beseitigen, daß es die Pflichten des Aufsichtsrats schärfer präzisiert, seine Verantwortlichkeit erweitert, über eine Reihe von Gegenständen ausschließlich die Beschlußfassung der Generalversammlung vorbehält, den Mehrheitsbeschluß derselben möglichst unverfälscht zum Ausdruck bringen und den Aktionären Gelegenheit zur eignen Prüfung der Sachlage verschaffen will, daß es ferner die Minoritätsrechte in erweitertem Umfang zur Anerkennung bringt, die Haftung bei nicht voll eingezahlten Aktien ausdehnt, durch neue Bestimmungen über die Bildung eines Reservefonds eine größere Sicherheit für Unternehmen und Beteiligte zu erzielen sucht etc.