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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Anam

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Anam.

Elefanten; sehr stark wird der Fang der Fische und Krokodile (wegen ihres besonders geschätzten Schwanzes) betrieben. Die Produkte der Pflanzenwelt sind die gewöhnlichen tropischer Länder (Reis, Baumwolle, Gewürze, Zucker etc.); der Teakbaum scheint hier nicht vorzukommen, dagegen findet sich das vielgeschätzte Aloeholz. Das Bergland ist mit Wäldern bedeckt, welche allerlei Nutzhölzer enthalten; die Niederung und in den mittlern Provinzen auch die Hügel prangen mit Kulturen aller Art; die Düngung wird durch Bewässerung aus den unzähligen auch der Schiffahrt dienenden Kanälen bewerkstelligt. Die Viehzucht ist unbedeutend. Schon die alten Kulturvölker, dann im Mittelalter die Araber unterhielten einen lebhaften Handel mit dem an Kambodscha angrenzenden Bezirk Tschampa (Hauptort Binhtuan).

Die Bewohner, deren Zahl sich auf ca. 21 Mill. belaufen soll, wovon 15 Mill. allein auf Tongking gerechnet werden, gehören zu den Indochinesen und haben sich in ihrer ursprünglichen Reinheit nur noch in den Gebirgen erhalten, wo sie ziemlich unabhängig leben. Diese Muong (Myong) oder Wilde genannten Bergbewohner sind hellfarbiger und schlanker, aber kräftiger und mutiger als die durch Vermischung mit Chinesen (welche von Jünnan und über die Seegrenze einwandern) beeinflußten Anamiten. Diese sind klein (im Mittel 1,6 m groß), aber gut proportioniert, selten dick, schwach, aber gewandt, mit breitem, glattem Gesicht, niedriger Stirn, meist platter Nase, schräg stehenden, schwarzen Augen, die aber lebendig sind, und schwarzem, dichtem Haupthaar, aber spärlichem Barte. Die Hautfarbe schwankt zwischen Schmutzigweiß und Schokoladenbraun. Die Gesichtsform ist mehr rund, die Backenknochen sind weniger vorstehend als bei den Chinesen. Die Kleidung beider Geschlechter ist die altchinesische Tracht: buntfarbige, weite Beinkleider, um den Gürtel mit einer Schärpe; ein bis auf die Waden reichender Rock von Baumwolle, mit sehr weiten Ärmeln, auf der rechten Seite am Hals eng zugeknöpft; darüber tragen die Frauen noch einen bis auf die Knöchel herabfallenden Rock und die Männer als Staatskleid einen ebensolchen seidenen, buntfarbigen oder schwarzen, der je nach ihrem Rang mit verschiedenartigen Stickereien verziert ist. Das gemeine Volk kleidet sich in dunkelfarbige Baumwolle. Orange ist die Farbe des Königs, die Flagge aber weiß. Das Haar bleibt ungeschoren und wird hinten aufgebunden; Kopfbedeckung ist ein Turban von blauem oder schwarzem Krepp, bei Ärmern ein großer gefirnißter Strohhut. Die Wohnhäuser stehen in der Niederung auf Pfählen. Die anamitische Sprache ist eine einsilbige Wurzelsprache wie die chinesische, der sie auch viele Wörter entlehnt hat. Sie besitzt sechs Accente, durch welche die Bedeutung der Wurzeln verschiedentlich ausgedrückt werden kann; grammatische Beziehungen werden durch angehängte Hilfswurzeln (z. B. das Geschlecht der Hauptwörter durch Beifügung von Wurzeln, die "Mann" und "Frau" bedeuten) oder bloß durch die Wortstellung ausgedrückt. (Vgl. Aubaret, Grammaire de la langue annamite, Par. 1867.) Die anamitische Schrift ist in einer frühen Epoche aus dem chinesischen Alphabet entstanden. Langweilig genau ist der Anamit in der Wahl der Worte zur Bezeichnung der Grade von Respekt und Ehre, die man dem Höhern schuldet; die Phrasen sind widerlich gedreht. Eine andre Litteratur als die chinesische gibt es nicht. Das Volk ist heiter, schwatzhaft, voll Humor, verweichlicht, eitel; es hält sich für das erste Volk nach den Chinesen. Durch den Despotismus, der vom Herrscher an bis zum untersten Diener geltend gemacht wird, ist aber jedes bessere Gefühl erstickt; die Beamten sind im höchsten Grad raubsüchtig. Die Religion der großen Masse des Volks ist ein Kultus von Schutzgeistern, die Gebildeten sind meist Anhänger des Konfutse, die übrigen sehr laue Buddhisten. Die dortigen katholischen Christen, vermischte Abkömmlinge der (1624) aus Macao und Japan nach dem Christenmord im letztern Land eingewanderten sowie der aus Malakka vertriebenen Portugiesen, sollen etwa 420,000 Köpfe zählen und stehen unter sechs Bischöfen, sind aber ohne politischen Einfluß. Die Gewerbserzeugnisse sind gut in Lack- und feinern Metallwaren; Eisen zu stahlen, ist den Anamiten noch unbekannt. Die der Entwickelung noch sehr fähige Seidenzucht und Seidenweberei steht derjenigen von China weit nach. Der Binnenhandel ist nicht unbedeutend, und es fehlt nicht an Landstraßen mit schönen Brücken, wie auch die Kanäle und im N. der Songka bequeme Wasserverbindungen gewähren. Am auswärtigen Handel beteiligen sich die Anamiten dagegen wenig; er ist in den Händen der Chinesen. Die Kleinhändler sind meist Chinesen. Das Geld wird nach dem Gewicht benannt, ist aber gemünzt. Die kleinste Münze ist das Sapek von Zinn mit dem Bilde des Kaisers, 60 = 1 Maß, 10 Maß = 1 Kwan, deren 1½ auf den spanischen Piaster (zu 4 Mk.) gerechnet wird. Sapeks werden gewöhnlich zu 600 an ein Rohr gesteckt (= 1 Kwan) und so ausgegeben. Auch Gold- und Silberklumpen sind in Umlauf.

Verfassung und Regierung in A. sind denen von China nachgebildet, aber die Zustände sind ungleich trauriger. Der Kaiser ist unumschränkter Herrscher; er beansprucht, als landesväterlich gesinnter Monarch betrachtet zu werden, aber seine und seiner Beamten Herrschaft ist eine Schreckensregierung. Die Erbfolge geht auf den ältesten Sohn über, wenn der Kaiser nicht anders verfügt. Nur eine Gemahlin ist Kaiserin, Frauen zweiten Ranges und Konkubinen gibt es aber in Menge. Ein Staatsrat und sechs Minister (für Zeremonien und Religion, Archive, Krieg, Schatz, Justiz, Bau- und Seewesen) mit drei Kun, deren einer, der Mandarin der Elefanten, eigentlich Premierminister ist, regieren das Reich. Die Aristokratie der Zivil- und Militärmandarinen ist im Besitz der Verwaltung; sie teilt sich in zehn Klassen. Jede Provinz hat ihren Gouverneur (einen Militärmandarin) und ihren Neben- und Untergouverneur (zwei Zivilmandarinen), die zusammen den Rat der Provinz bilden. Jede Provinz zerfällt in 3 Huen (Departements), diese in 3-4 Fu (Distrikte), jeder Distrikt in Dörfer. Die Bauerschaft wählt ihren Bauermeister, der die Steuern eintreibt. Die Rechtspflege wird ganz nach Willkür gehandhabt und zwar in der untersten Instanz von Dorfrichtern mit aus der Gemeinde gewählten Beisitzern, in den höhern Instanzen von den Behörden der Huen und Fu. Die Strafen sind höchst grausam: für kleinere Vergehen Prügel, Gefängnis, Tragen eines hölzernen Halsbandes; für größere Verbrechen Einschmieden in Eisenketten, Verstümmelungen, Enthauptung; auch die Tortur wird nur zu regelmäßig in Anwendung gebracht. Die Finanzen wurden sparsam verwaltet, aber die Abtretung Kambodschas an die Franzosen und die vielen Kriege haben den Schatz geleert und die Bedrückungen gehäuft. Kopfsteuer (1 Doll. auf den Kopf), Grundsteuer, Fronen, Handelszoll und außerordentliche Auflagen, Pacht von Krongütern, Monopole bilden die Einnahme in Geld und Natu-^[folgende Seite]