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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Argentinische Republik

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Argentinische Republik (Geschichte).

Seeflagge haben, gegenseitige Zollfreiheit bestehen und die Pässe im Namen beider Regierungen ausgefertigt werden.

Aber die Eintracht dauerte nicht lange. Als im Dezember 1855 Bevollmächtigte beider Staaten über eine größere Annäherung verhandelten, fielen einige argentinische Flüchtlinge von Montevideo aus in Buenos Ayres ein, um die Wiedervereinigung zu erzwingen. Die Folge hiervon war, daß der Vertrag vom 8. Jan. 1855 von beiden Seiten für aufgehoben erklärt wurde. Wiederholte Versuche zur Wiederanknüpfung des gelösten Bandes scheiterten, es entspann sich sogar wieder ein Kampf zwischen der Konföderation und dem ausgeschiedenen Staat, bis infolge des für Buenos Ayres ungünstigen Treffens bei Cepeda (11. Nov. 1859) letzteres durch Vertrag vom 11. Nov. 1860 sich der Argentinischen Konföderation wieder anschloß und zum Sitz des Kongresses und der Bundesregierung bestimmt wurde. Jedoch die Ansprüche der Hauptstadt auf die politische Suprematie und eine exzeptionelle Stellung in Bezug auf Zollgesetze und Bundesaufgaben riefen schon 1861 einen neuen Kampf hervor, in welchem die Truppen von Buenos Ayres unter der Führung des Generals Bartolomeo Mitre 17. Sept. bei Pavon siegten. Infolge dieses Siegs legte der damalige Präsident der Argentinischen Republik, Santiago Derqui, seine Stelle nieder, und der Kongreß von Parana löste sich auf. Hierauf wurde Mitre im September 1862 zum Präsidenten der Konföderation erwählt. Buenos Ayres wurde für die nächsten fünf Jahre zum Sitz der Zentralbehörden bestimmt, aber zugleich der Fortbestand der autonomen Stellung dieses Landes und aller seiner besondern Rechte gesichert. An innern Unruhen fehlte es der Argentinischen Republik indes auch jetzt nicht. In mehreren Provinzen, namentlich Rioja, Santiago del Estero, San Luis, Cordova, Catamarca, regten sich anarchische Gelüste und zogen sich teilweise auch in das Jahr 1864 hinein. Dazu kamen Streifzüge der Indianerstämme, welche sich der Zentralregierung in Buenos Ayres nicht fügen wollten, und denen während der vorangegangenen politischen Wirren der Mut erheblich gewachsen war. Ein weiteres Hemmnis einer ruhigen, gedeihlichen Entwickelung bildete die schlechte Finanzlage; die nur provisorischen Festsetzungen über die Zentralgewalt schwächten deren Ansehen, wozu noch der mißliche Umstand kam daß zwei legislative Versammlungen, die der Konföderation und die des Staats, gleichzeitig nebeneinander in Buenos Ayres tagten.

Gleichwohl gelang es Mitre, durch Förderung der allgemeinen Wohlfahrt, durch zweckmäßige Bank- und Finanzgesetze, Begünstigung der europäischen Einwanderung u. a. sein Ansehen zu befestigen. Nur ließ er sich ebenfalls auf eine Einmischung in die innern Verhältnisse Uruguays ein und leistete der aufständischen Partei daselbst, den Colorados (Liberalen) unter General Flores, wirksamen Beistand. Als darauf Truppen von Uruguay argentinisches Gebiet verletzten, verweigerte die Regierung jede Genugthuung. In ihrem weitern Verlauf führten diese Zwistigkeiten zu einer Konstellation, welche die A. R. an die Seite Brasiliens stellte und in einen langwierigen Kampf hineinzog, dessen nächste Folge der Sturz der konservativen Regierung in Uruguay, die Erhebung des Generals Flores zum Gouverneur der dortigen Republik und die Tripelallianz vom Mai 1865 zwischen der Argentinischen Republik, Brasilien und Uruguay gegen den Diktator Lopez von Paraguay war. Veranlassung zum Streit zwischen der Argentinischen Republik und Paraguay war, daß Lopez im Interesse seines Landes nicht dulden wollte, daß die A. R. die Insel Martin-Garcia besetzt hielt und dadurch die Mündung des für den Handel Paraguays so wichtigen La Plata ganz in seiner Gewalt hatte. Lopez, im Begriff, einen Einfall in Uruguay zu machen, verlangte die Erlaubnis des Durchmarsches durch die argentinische Provinz Corrientes, und als dies abgeschlagen wurde, erklärte er den Krieg, nahm 18. April 1865 zwei argentinische Dampfer weg, besetzte die Stadt Corrientes, drang mit zwei Heerhaufen vorwärts und schlug die argentinischen Truppen zurück, sah sich aber, von drei Seiten angegriffen, bald auf die Defensive beschränkt. Präsident Mitre verließ 17. Juli 1865 Buenos Ayres, um mit seinen Truppen zu denen der beiden Alliierten zu stoßen und, obgleich er keine strategischen Kenntnisse besaß, den Oberbefehl über die gesamten Streitkräfte zu übernehmen. In den Schlachten am Paso de la Patria 31. Dez. 1865, am Estero Bellaco 24. Mai 1866 und bei Curupaity 22. Sept. fochten die Argentiner mit mehr Ruhm als Erfolg. Erst als Mitre Anfang 1868 den Oberbefehl niederlegte, da nach dem Tode des Vizepräsidenten Marcos Paz seine Anwesenheit in Buenos Ayres notwendig ward, und der brasilische Marschall Caxias das Kommando über die alliierten Truppen übernahm, wurde der Krieg planmäßiger und energischer geführt, wenngleich es auch jetzt noch mehr als zwei Jahre brauchte, um die Entscheidung herbeizuführen. Erst 1870, nach dem Tod Lopez', war der fünfjährige Krieg zu Ende, der definitive Friede mit Paraguay kam 3. Febr. 1876 zu stande. Aber dieser Krieg hatte der schlecht bevölkerten Argentinischen Republik 40-50,000 Mann und 40 Mill. Doll. gekostet, ganz abgesehen von den noch zahlreichern Menschenverlusten, welche die durch den Krieg ins Land eingeschleppte Cholera verursachte.

Mitres Amtsperiode war im Oktober 1868 abgelaufen, und 12. Okt. 1868 wurde trotz seiner Ränke der damalige argentinische Gesandte in Washington, Domingo Faustino Sarmiento, ein durch gründliche Bildung ausgezeichneter Mann und gemäßigter Föderalist, zum Präsidenten gewählt. Derselbe suchte den Volksunterricht auszudehnen und zu heben, Ackerbau und Handel zu fördern und durch Einwanderung dem Land neue Kräfte zuzuführen. Nach Ablauf der sechsjährigen Amtsperiode Sarmientos ward 1874 Avellaneda, ebenfalls Föderalist, zum Präsidenten erwählt. Mitre versuchte einen Aufstand, um sich an die Spitze des Staats zu bringen, wurde aber 28. Nov. 1874 bei La Verde von den Regierungstreuen geschlagen und gefangen genommen. Als 1880 ein neuer Präsident gewählt werden sollte und Avellaneda die Kandidatur des Generals Roca begünstigte, erhoben sich Buenos Ayres und die Partei der Nationalisten (die alten Unitarier), denen sich auch die Provinz Corrientes anschloß, dagegen und erklärten, sich der Wahl Rocas nicht unterwerfen zu wollen. Als in der Hauptstadt Unruhen ausbrachen, verlegte Avellaneda seine Residenz nach Belgrano, ließ Buenos Ayres blockieren und zwang durch wenige Gefechte im Juni die Nationalisten zur Unterwerfung, Roca wurde zum Präsidenten gewählt und trat 12. Okt. 1880 sein Amt an. Buenos Ayres wurde zur Hauptstadt der Republik gemacht und föderalisiert, d. h. der Verwaltung der Nationalregierung direkt unterstellt; zum Sitz der Provinzialregierung von Buenos Ayres ward Ensenada bestimmt. Der Streit mit Chile über die Grenze in Patagonien wurde durch Vertrag vom 23. Juli 1881 geschlichtet.