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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Athene

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Athene.

Tempelstatuen, wie Zeus, mit der Nike auf der ausgestreckten Hand abzubilden. Die Hauptthätigkeit der A. liegt aber in den Werken des Friedens. Wie alle Gottheiten des natürlichen Segens, fördert sie das Gedeihen der Kinder; als Göttin des reinen Himmels und der reinen Luft ist sie Verleiherin der Gesundheit und Abwehrerin aller bösen Krankheiten. Neben Zeus gilt sie in Athen als Schutzgottheit der Geschlechtsverbände (Phratrien), in Athen und Sparta auch der Volks- und Ratsversammlungen, an vielen Orten, wie vornehmlich in Athen, als Schirmerin des gesamten Staatswesens (A. Polias, Poliuchos), an andern als oberste Vorsteherin größerer Stammverbindungen. So war das Fest der A. Itonia bei Koroneia ein Bundesfest der gesamten Böotier, und in Paträ wurde sie unter dem Namen Panachais als achäische Bundesgöttin verehrt. Am allgemeinsten ist ihre Verehrung als Göttin des lichten, hellen Geistes (als Abbild des Äthers), also der Weisheit, und so als Vorsteherin des gesamten geistigen Lebens der Menschen. Alles, was Verstand und Weisheit bewirken, alle Wissenschaft und Kunst des Kriegs und Friedens kommt von ihr, der die Menschen eine Fülle von Erfindungen verschiedenster Art verdanken. Daß ihr die Erfindung des Pflugs und des Anschirrens der Stiere zugeschrieben wurde, ist bereits erwähnt. Neben Poseidon galt sie vielfach auch als Erfinderin der Rossebändigung und des Schiffbaues. Nach der athenischen Sage hatte sie den Erichthonios die Rosse an den Wagen zu schirren, nach der korinthischen den Bellerophon den Pegasos zu zügeln gelehrt; zu Lindos auf Rhodus verehrte man sie als die Göttin, welche den Danaos zur Erbauung des ersten Fünfzigruderers anleitete, während die Argonautensage die Argo, das erste Schiff, nach ihren Angaben erbauen ließ. Schon bei Homer werden alle Erzeugnisse weiblicher Kunstarbeit, des Spinnens und Webens, als Werke der A. bezeichnet. Manche Palladien trugen in der Linken Spindel und Rocken. Als Lehrerin und Beschützerin der Künste und Handwerke wurde sie in Athen unter dem Namen Ergane an den Chalkeien oder dem Schmiedefest neben Hephästos gefeiert und auf der Burg in einem eignen Tempel angebetet. Auch auf das Gebiet der Musik und Orchestik erstreckten sich ihre Erfindungen. So galt sie als Erfinderin der kriegerischen Trompete sowie der Pyrriche ^[richtig: Pyrrhiche], des Waffentanzes, den sie selbst zur Feier des Siegs über die Giganten zuerst getanzt haben sollte. Auch die Flöte soll sie erfunden, jedoch als das Gesicht entstellend wieder weggeworfen und den Marsyas, der sie aufhob, gezüchtigt haben. Aus Griechenland ging die Verehrung der A. nach Großgriechenland über, wo sie an zahlreichen Orten Tempel hatte. Im eigentlichen Italien wurde sie mit der einheimischen Göttin der Weisheit und des Mutes, Minerva (s. d.), identifiziert und im Verein mit Jupiter und Juno verehrt. Vgl. G. Hermann, De graeca Minerva (Leipz. 1837); O. Müller, Kleine Schriften, Bd. 2, S. 134 ff. (Bresl. 1847); Forchhammer, Geburt der A. (Kiel 1841); Benfey in den "Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften" 1868, S. 36 ff.; Schneider, Die Geburt der A. (Wien 1880); Voigt, Beiträge zur Mythologie des Ares und der A. (in den "Leipziger Studien für klassische Philologie", Bd. 4, 1881).

Die ältere Kunst stellte die A. als Vorkämpferin (Promachos) dar, meist weit ausschreitend, im langen, steif gefalteten Gewand, die kragenartige Ägis mit dem Medusenhaupt und Schlangen um die Schultern, Helm, Schild und Speer führend. Daneben finden sich auch Sitzbilder, namentlich mehrere hochaltertümliche aus Athen, wo die Göttin durch alle Zeit Lieblingsgegenstand der Kunst blieb (vgl. Tafel "Terrakotten", Fig. 9). Hier entstand die vollendete künstlerische Gestaltung ihres Wesens in dem kolossalen Goldelfenbeinbild der A. Parthenos, einem Werk des Phidias, welches 438 v. Chr. im Parthenon aufgestellt wurde. Wir können uns dieselbe nach einer 1879 beim Varvakion zu Athen gefundenen, vortrefflich erhaltenen Marmorstatuette, mit welcher eine große Anzahl andrer Kopien übereinstimmen, und nach den Beschreibungen der Alten folgendermaßen vorstellen: sie stand ruhig da im langen Chiton, die doppelteilige Ägis um die Schultern, auf dem Haupte den Helm (oben mit drei Sphinxen, am vordern Rand mit einer Reihe von Greifen geschmückt), in der rechten Hand die goldene Nike haltend, mit der linken den Speer und zugleich den am Boden stehenden Schild, unter dem sich die Erichthoniosschlange barg; die Eule saß vermutlich rechts neben ihr auf dem Boden. Zahlreicher Einzelschmuck war über das Werk verbreitet; so sah man außen am Schild eine Darstellung des Amazonenkampfes, innen die Gigantomachie, am Rande der Sandalen Kentaurenkämpfe. Unter den vielen Athenestatuen des Phidias sind noch die ca. 25 m hohe eherne Statue der A. Promachos auf der Akropolis zu Athen und die ebenda sich befindende, wegen ihrer Schönheit hochberühmte lemnische A. zu nennen. Die folgende Zeit bildete das Ideal der A. nach der Seite des Schwungvoll-Majestätischen aus, bekleidete

^[Abb.: Athene von Velletri (Paris, Louvre).]