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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Atmosphäre

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Atmosphäre (Temperatur).

schen Breite als auch für eine und dieselbe Breite nach Tages und Jahreszeit. Daher ist auch die Erde oder vielmehr ihre Oberfläche als Wärmequelle sehr veränderlich, indem ihre Temperatur von der veränderten Sonnenwirkung hervorgerufen wird. Aus beiden Gründen entsteht nicht nur neben der Temperaturverschiedenheit in senkrechter Richtung eine andre in der Richtung der Meridiane, sondern auch an einem und demselben Ort ein dem täglichen und jährlichen Gang der Sonne entsprechendes Schwanken derselben. Hierzu kommt noch, daß die A. eine große Beweglichkeit in ihren Teilchen besitzt und die ungleiche Erwärmung daher Strömungen und Winde hervorruft. Namentlich am Boden wird die Luft häufig stärker erwärmt und ausgedehnt, als mit dem Gleichgewichtszustand in Bezug auf die obern Schichten verträglich ist, und so entstehen ausstehende Luftströme, durch welche die wärmere und daher leichtere Luft aufwärts geführt wird und diese wieder durch kältere und daher schwerere Luft, welche von allen Seiten hinzuströmt, ersetzt wird. Solche aufsteigende Luftströme bilden sich überall am Tage und stärker im Sommer als im Winter; besonders mächtig aber sind sie in den Äquatorialregionen, wo die zur Mittagszeit nahe lotrechten Sonnenstrahlen ihre volle Kraft entfalten können. Durch diese immerwährenden Äquatorialströme, die, nachdem sie sich erhoben haben, gegen die Pole der Erde abfließen und in der Nähe der Erdoberfläche eine Luftströmung von den Polen nach dem Äquator hervorrufen, entsteht eine allgemeine Zirkulation in der A., welche die entstandenen Temperaturunterschiede teilweise ausgleichen muß. Stände die direkte Erwärmung der Erdoberfläche nur überall in einem festen Verhältnis zur Sonnenwirkung, so würde doch die Temperatur der A. noch immer eine sehr gesetzmäßige Verteilung und Schwankung darbieten; sie würde bloß nach geographischer Breite, nach Höhe über dem Meer, nach Tages und Jahreszeit verschieden sein. Allein die Temperatur, welche ein Stück der Erdoberfläche durch die Sonnenstrahlen erlangt, hängt nicht bloß von der direkten Wirkung dieser Strahlen ab, sondern wesentlich auch von der Beschaffenheit des Bodens und von der örtlichen Lage. Ein trockner, dürrer Sandboden wird stärker erhitzt als ein feuchter Wiesengrund oder eine Waldfläche, ein dunkles Gestein stärker als ein helles, eine tief liegende Ebene stärker als ein hohes Gebirge, überhaupt das Land stärker als das Meer. Zu diesen örtlichen Ungleichheiten in der Erwärmungsfähigkeit, die mit dem Wärmeausstrahlungsvermögen im geraden Verhältnis stehen, treten noch die Störungen hinzu, welche das Meer dadurch veranlaßt, daß es als eine in seinen Teilen bewegliche Masse durch die in Richtung der Meridiane ungleiche Erwärmung in Strömungen gerät und auf diese Weise, ähnlich der A., die Temperaturunterschiede teilweise ausgleicht. Alle diese Vorgänge wirken auch wieder insofern auf die A. zurück, als sie die Richtung und Stärke der allgemeinern Luftströme modifizieren und eine große Zahl von Luftströmen mehr oder weniger lokaler Natur hervorrufen. Besonders verwickelt werden die Temperaturverhältnisse der A. endlich noch durch die Verdunstungsfähigkeit des Wassers. Nicht nur, daß überall, wo Wasser verdampft, Wärme gebunden wird und, wo der gebildete Dampf sich niederschlägt, die latente Wärme wieder frei wird, so wird auch durch die Anwesenheit des Wasserdampfs die Durchsichtigkeit der A. aufs mannigfaltigste getrübt, und dadurch werden die erwärmenden Wirkungen der Sonne und der Erde sowie die erkältenden der Wärmestrahlung der Erde und der Luftschichten in hohem Grad verändert. Am Tage mäßigt eine dicke Wolkenschicht die Temperatur, indem sie nur einen geringen Teil der Sonnenwärme durchläßt, den größern aber reflektiert und absorbiert; bei Nacht dagegen wirkt sie erwärmend, indem sie die untern Luftschichten und die Erdoberfläche verhindert, Wärme gegen den Himmel auszustrahlen. Im ganzen geht also die Wirkung einer Bedeckung oder Trübung der A. dahin, die Temperatur gleichförmiger oder ihre Schwankungen geringer zu machen. Orte, die wegen der Nähe des Meers oder wegen des Vorwaltens von dort herkommender Winde häufig bedeckten Himmel haben, zeigen deshalb in allen ihren Temperaturverhältnissen geringere Extreme als andre, die, obwohl unter derselben geographischen Breite, aber mitten im Kontinent liegend, eines mehr heitern Himmels genießen. Alle diese sekundären Wirkungen tragen dazu bei, die ursprüngliche Verteilung und Schwankung der Temperatur in der A. zu verwischen und sie mehr oder weniger von der allgemeinen Konfiguration und Beschaffenheit der Länder abhängig zu machen. An ein allgemeines Gesetz für die Temperaturerscheinungen der A. ist daher für jetzt und auch wohl für immer nicht zu denken; alles, was bisher erreicht worden, besteht darin, daß man aus den sehr zahlreich angestellten Beobachtungen einige partielle Gesetze oder empirische Regeln abgeleitet hat. Ebensowenig kann man ein einfaches Gesetz über die Abnahme der Wärme bei steigender Höhe aufstellen, weil die beständigen Luftströmungen, Wolken, Nebelschichten etc. einen mehr oder weniger störenden Einfluß ausüben. Gay-Lussac stieg 1804 in einem Luftballon bis zur Höhe von ca. 6800 m; während das Thermometer am Boden 31° C. zeigte, beobachtete er in jener Höhe die Temperatur von -9,5° C., also eine Temperaturdifferenz von mehr als 40° C. Barral und Bixio, welche 27. Juli 1850 ungefähr zu gleicher Höhe aufstiegen, gelangten in einer Höhe von ca. 1900 m in eine Nebelschicht, deren obere Grenze erst erreicht wurde, nachdem sie sich bis zu einer Höhe von 6300 m über den Boden erhoben hatten; nahe an der obern Grenze dieser Nebelschicht zeigte das Thermometer noch -10° C., sank aber unmittelbar über derselben auf -23° C. In einer Höhe von 6800 m zeigte das Thermometer nur noch -40° C. Die Abnahme der Temperatur mit zunehmender Erhebung von der Erdoberfläche läßt sich am leichtesten auf Gebirgen beobachten, auf denen die Vegetation desto mehr den Charakter kälterer Himmelsstriche annimmt, je höher man steigt. Auf den südamerikanischen Gebirgen unter dem Äquator fand A. v. Humboldt eine Temperaturabnahme von 25° C. für eine Erhebung von 4873 m, und daher ergibt sich dort im Durchschnitt eine Erhebung von 195 m für eine Temperaturabnahme von 1° C.; derselben Temperaturabnahme entspricht in den Alpen eine Erhebung von durchschnittlich 192 m, jedoch ändert sich dieselbe in den verschiedenen Jahreszeiten. Nach den Angaben von A. und H. Schlagintweit findet in den Alpen eine Abnahme der Temperatur um 1° C. im Juli bei einer Erhebung von 140 m und im Januar bei einer Erhebung von 230 m statt. Im Kaukasus entspricht nach den Beobachtungen von Kupffer im Juli im Durchschnitt eine Erhebung von 165 m einer Temperaturabnahme von 1° C. In den Polargegenden fanden Parry und Fischer auf Melville bei einer Temperatur der untern Luftschichten von -31,2° C. für eine Erhebung von 105 m keine Tem-^[folgende Seite]