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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bedürfnis

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Bedürfnis.

haben seit einer langen Reihe von Jahrhunderten ihren eigentümlichen Charakter bewahrt. Ein echter Beduine war der herdenreiche Ijob (Hiob) im Land Uz (im Norden Arabiens), und das Alte Testament enthält viele Bilder aus dem Leben der B. Die B. leben in Zelten und ziehen mit ihren Herden umher. Sie sind bieder, gastfrei, stolz auf ihre Abkunft, lieben die Freiheit und Unabhängigkeit mit unzähmbar ausdauerndem Mut und hängen unverbrüchlich treu an der Sitte der Väter; zugleich aber sind sie rachsüchtig, raublustig, leidenschaftlich, eitel und abergläubisch. Ihr Hauptsitz und Mittelpunkt in Arabien ist Nedschd, in der nördlichen Hälfte des Landes, ein Plateau von Bergweiden und trocknen Steppen, das Eigentum der ältesten Stämme. Unwirtbare Seeküsten bilden ihre erste, Wüsten und im Notfall verschüttete Wasserquellen ihre zweite Brustwehr. Kein großer Strom leitet zu ihnen, keine Waldung verbirgt ihnen feindliche Haufen. Alle Heerstraßen im Norden, alle Pilgerstraßen im Innern Arabiens stehen unter ihrem Gebot; nichts verbirgt ihr Horizont, den sie mit scharfen Augen nach allen Seiten hin überschauen. Diese in jeder Hinsicht unerreichbare Lage, verbunden mit ihrer freien, unabhängigen Stammesverfassung, erklärt sowohl die äußere Geschichte als den Charakter der B. Sie beugten sich nie vor irgend einem Eroberer, und es traf sie kein Sturm barbarischer Völkerzüge. Sie zerfallen in verschiedene, voneinander unabhängige Stämme, von denen einige sehr zahlreich sind, während andre, ehemals berühmt und volkreich, jetzt auf einen kleinen Haufen zusammengeschmolzen sind. Die zahlreichsten sind die Änezen (Anezeh) im Land El Hamad, welche, in beständiger Bewegung, ihre Wanderungen von den Ufern des Euphrat bis über die Syrische Wüste ausdehnen; ferner der Stamm der Beni Harb, der gefürchtetste der südlichen Wüste, der Stamm von Asyr, der Stamm Beni Schammar, während der edelste aller Stämme, die Beni Koreisch, besonders als Freunde Mohammeds ausgezeichnet, sowie die Beni Sad und Beni Kathan sehr zusammengeschmolzen sind. Die B. an den syrischen Grenzen beherrschen die Karawanenstraße von Aleppo und Damaskus bis nach Bagdad und Basra. Der Hauptschirmvogt der Karawanen ist der Scheich in der Gegend von Aleppo oder Damaskus; unter ihm stehen alle B., welche Kamele vermieten. Außer den genannten Stämmen sind bemerkenswert die B. in Palästina, besonders zwischen Rama und Jerusalem und am Berg Sinai, welche die Stelle der alten Edomiter, Midianiter und andrer Nachbarvölker der alten Israeliten einnehmen. In Nordafrika bilden die B. die fast ausschließliche Bevölkerung von Bengasi, Tripolis und Tunis und einen sehr starken Prozentsatz der Bevölkerung Algeriens und Marokkos; endlich nehmen sie, rein oder mit Berbern vermischt, als Mauren den westlichsten Teil der Sahara zwischen Marokko und dem Senegal ein. Herrschende Religion unter den B. ist der Mohammedanismus; doch finden sich hier und da auch noch Spuren des alten Feuerdienstes. Die Regierung der Stämme ist eine rein patriarchalische und ruht nach uraltem Herkommen in den Händen eines Scheichs, eines der Ältesten des Stammes, von dem sie sich weitervererbt. Das Volk selbst ist fast nur ein Hirtenvolk, dessen ganzer Reichtum in seinen Herden, besonders Kamelen, auch Schafen, Büffeln, Eseln etc., besteht. Es nährt sich von Milch, Schaffleisch, Reis, Gerstenbrot, Datteln etc., und seine Lebensweise ist äußerst einfach und mäßig. Von Gestalt sind die B. schlank und wohlgebaut und namentlich die Frauen von angenehmer Gesichtsbildung, mit großen Augen und etwas adlerartiger Nase. Die Männer gehen stets bewaffnet. Der soziale Zustand ist ein merkwürdiger. Der Beduine hat nur eine Frau, daneben nicht einmal eine Beischläferin, und er darf sich nur in seinem Volksstamm verheiraten. Scheidung ist erlaubt, jedoch äußerst selten. Der Beduine ist zugleich Räuber, selbst Mörder, und Gastfreund, ein feilschender Zänker wegen der Bezahlung für Dienste und ein Muster hochherziger Hingebung für seine Verwandten und die Brüder seines Stammes. Lesen und Schreiben ist unter den B. eine seltene Kunst, doch trifft man unter ihnen bisweilen einen sogen. Gelehrten. Allgemein aber ist die Neigung und die Fähigkeit, Verse zu machen; eine Menge von Gesängen pflanzen sich von Mund zu Mund fort, und Erzählen von Märchen und Geschichten bildet ihre liebste Unterhaltung.

Bedürfnis ist das Gefühl des Mangels, welchem das Streben nach Befriedigung entspringt. Das menschliche Glück ist bedingt durch Fernhaltung und Beseitigung von Schmerzen und durch Steigerung des Wohlbefindens. Darum trägt der Mensch Verlangen nach dem, was Unlust erspart, und nach allem, was sein Wohlgefühl erhöht. Alles, was erforderlich ist, um diesem Verlangen zu genügen, die Bedürfnisse zu befriedigen, nennt man den Bedarf. Letzterer gibt sonach einen objektiven Maßstab ab für Beurteilung der Art und der Stärke der Bedürfnisse, von denen viele, zumal die sogen. höhern oder geistigen Bedürfnisse, für Dritte nicht erkennbar, noch weniger meßbar sind. In der Bedarfsordnung würde sich die relative Stärke und Dringlichkeit der verschiedenen Bedürfnisse äußern. Dieser Umstand hat Veranlassung dazu gegeben, daß man auch die Gesamtsumme der Bedürfnisse als Bedarf bezeichnet, ja sogar vom B. spricht, wo eine Verwechselung desselben mit dem Gegenstand, welcher zu seiner Befriedigung dient, durchaus unzulässig ist (z. B. Erzeugung von Lebensbedürfnissen, statt von Lebensmitteln, etc.). Das ganze menschliche Leben weist eine ununterbrochene Kette von Bedürfnissen auf, deren Zahl und Mannigfaltigkeit von äußern natürlichen Verhältnissen und vom Stande der Kultur abhängen. Zunächst kommt bei der Befriedigung in Betracht die Erfüllung der ersten Existenzbedingungen, die Selbsterhaltung. Die rein physischen Bedürfnisse (nach Erwärmung, Speise, Trank etc.) sind bedingt von der körperlichen Organisation und von allen äußern Umständen, welche auf dieselbe einwirken (Klima, körperliche Anstrengung etc.). Sie sind an und für sich nur innerhalb sehr enger Grenzen einer Steigerung fähig, doch gestattet ihre Befriedigung eine reiche Wahl mannigfaltiger und bald mehr, bald weniger kostspieliger Mittel. So kann der Durst mit Wasser, Bier und feinem Wein gelöscht, der Hunger mit Schwarzbrot und Leckerbissen gestillt, der Körper mit grobem Beiderwand wie mit Samt und Seide gegen die Unbilden der Witterung geschützt werden. Bei der Wahl werden unter anderm auch Geschmack, ferner Schönheitssinn, Eitelkeit etc. maßgebend sein. So kommen wir denn zum reichen Gebiet der Bedürfnisse geistiger Natur, die je nach Kultur, Bildung, Sitte, Gewohnheit, Standesangehörigkeit einer enormen Steigerung fähig, wenn auch ihre Befriedigung sich jeweilig, um nicht in Überdruß auszuarten, innerhalb gewisser durch die Norm der Wirtschaftlichkeit und die Rücksicht auf gedeihliche soziale Entwickelung gebotener Schranken halten sollte. Im allgemeinen tritt mit steigender, echt sittlicher Kultur eine Vermehrung und Vermannigfaltigung, gleichzeitig aber auch eine Veredelung