Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Berufung

800

Berufung (in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten).

ten, so wurde doch stets der Grundsatz anerkannt, daß auch diese Territorien eine Appellationsinstanz haben müßten. Die deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 (Art. 12) aber bestimmte ausdrücklich, daß es in jedem Bundesstaat drei Instanzen geben und daß sich kleinere Staaten unter 300,000 Einw. zur Bildung gemeinsamer Appellationsgerichte zusammenschließen sollten. Die Oberberufung (B. an die dritte Instanz, Oberappellation) war in bürgerlichen Rechtssachen jedoch nur bei einem bestimmten höhern Wertbetrag des Streitgegenstandes zulässig (Appellationssumme, summa appellabilis). Je mehr sich jedoch in dem modernen Prozeß der Grundsatz der Mündlichkeit des Verfahrens Bahn brach, desto mehr machte sich auch das Streben nach einer Einschränkung der B. geltend. Wohl sprachen für die Beibehaltung der B. und Oberberufung die gewichtigen Gründe einer gründlichern, sorgfältigern und wiederholten Prüfung der Sache. Aber dem stand das Bedenken entgegen, daß der erste Richter auf Grund mündlicher Verhandlung, der zweite und dritte dagegen wesentlich auf Grund des Aktenmaterials entscheide, und daß somit die Erkenntnisquelle des ersten Richters eine andre sei als die des Obergerichts. Dazu fand das französische System in Deutschland mehr und mehr Anerkennung, welches die Thätigkeit des Obergerichts auf eine nochmalige Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage, d. h. der Frage, ob die rechtliche Beurteilung der Thatumstände eine richtige sei, beschränkt, eine wiederholte Feststellung und Prüfung der Thatfrage dagegen ausschließt. Gleichwohl hat die neue deutsche Justizgesetzgebung das Rechtsmittel der B. nicht beseitigt, sondern nur beschränkt, und zwar ist diese Beschränkung im Strafprozeß eine erheblichere als im Zivilprozeß. Der gegenwärtige Stand der deutschen Gesetzgebung ist folgender.

Berufung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.

Nach der deutschen Zivilprozeßordnung ist ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes eine einmalige B. gegeben. Diese B. ist der Regel nach statuiert gegen Endurteile erster Instanz im Gegensatz zur Beschwerde (s. d.), welch letztere gegen Zwischenurteile, Beweisbeschlüsse und sonstige dem Endurteil vorausgehende richterliche Entscheidungen gerichtet ist, insofern dieselben überhaupt anfechtbar sind. Ein Versäumnisurteil kann von der dadurch betroffenen Partei nur dann mit der B. angefochten werden, wenn dagegen ein Einspruch nicht statthaft war, und auch dann nur aus dem Grund, weil die Voraussetzungen eines Versäumnisurteils nicht vorhanden gewesen. Die B. geht gegen das einzelrichterliche Urteil des Amtsgerichts an das kollegiale Landgericht und in denjenigen Fällen, in denen das Landgericht in erster Instanz entscheidet, an das Oberlandesgericht. Die ausschließende Berufungsfrist beträgt einen Monat vom Tag der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an. Diejenige Partei, welche die B. einlegt, wird Berufungskläger (Appellant) genannt; die Gegenpartei ist der Berufungsbeklagte (Appellat). Die B. erfolgt, ähnlich wie die Klagerhebung, durch die Zustellung eines Schriftsatzes (Berufungsschrift), welcher nicht bei dem Untergericht, sondern bei dem Berufungsgericht zur Bestimmung des Termintags für die Berufungsverhandlung übergeben wird. Die Berufungsschrift muß von einem bei dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Sie muß die Bezeichnung des angefochtenen Urteils, die Erklärung der Einlegung der B. und die Ladung des Berufungsbeklagten vor das Berufungsgericht zur mündlichen Verhandlung über die B. enthalten. Als vorbereitender Schriftsatz soll die Berufungsschrift auch das zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Erforderliche, insbesondere die einzelnen Beschwerdepunkte (gravamina) und die Berufungsanträge auf Abänderung des angefochtenen Urteils, enthalten. Der Gerichtsschreiber des Berufungsgerichts hat binnen 24 Stunden die Akten vom Untergericht einzufordern. Sodann wird gleichfalls binnen 24 Stunden vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts der Terminstag bestimmt. Durch die B. wird der ganze Rechtsstreit zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung vor das Berufungsgericht gebracht. Die Rechtskraft des angefochtenen Urteils ist dadurch zu gunsten beider Parteien suspendiert. Der Berufungsbeklagte kann sich der B. "anschließen", d. h. auch seinerseits Abänderungen des angefochtenen Urteils beantragen, selbst wenn er auf die B. verzichtet hatte, und selbst wenn die Berufungsfrist verstrichen ist. Anschließung (Adhäsion) während der Berufungsfrist gilt als selbständige B. (Prinzipaladhäsion), während die sonstige Anschließung (accessorische Adhäsion) hinfällig wird, wenn die B. vom Berufungskläger zurückgenommen oder vom Berufungsgericht als unzulässig verworfen wird. Zwischen der Zustellung der Berufungsschrift und dem Verhandlungstermin muß dem Berufungsbeklagten eine Einlassungsfrist von mindestens einem Monat, in Meß- und Marktsachen von mindestens 24 Stunden frei bleiben. Innerhalb der ersten zwei Dritteile dieser Frist muß der Berufungsbeklagte dem Berufungskläger die ebenfalls von einem Rechtsanwalt unterschriebene Beantwortung der B. zustellen lassen. Es ist dies ein vorbereitender Schriftsatz, welcher namentlich die Anträge enthält, die der Berufungsbeklagte im Verhandlungstermin zu stellen gedenkt, desgleichen die neuen Thatsachen und Beweismittel, welche er vorbringen will. Die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht richtet sich im wesentlichen nach den für den landgerichtlichen Anwaltsprozeß geltenden Grundsätzen. Der Rechtsstreit wird in thatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht vor dem Berufungsgericht nochmals neu verhandelt. Neue Angriffs- und Verteidigungmittel, Thatsachen wie Beweismittel (nova), können nachgebracht werden; doch ist eine Änderung der Klage selbst nicht zulässig. Der Prozeßstoff erster Instanz gilt auch für die Berufungsinstanz als solcher. Es kann jedoch auch in der letztern ein neuer Beweisbeschluß und eine neue Beweisaufnahme erfolgen. Abgeändert wird das Urteil erster Instanz nur insoweit, als die Abänderung beantragt ist und rechtlich wie thatsächlich als begründet erscheint. Nur ausnahmsweise (Zivilprozeßordnung, § 500) wird die Sache an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen. Je nachdem das zweitinstanzliche Urteil (in appellatorio) bestätigend oder abändernd ausfällt, wird es konfirmatorisch (sententia confirmatoria) oder reformatorisch (sententia reformatoria) genannt; doch kann der Vorderrichter auch teilweise reformiert und teilweise in seinem Urteil bestätigt werden. Versäumt der Berufungskläger den Verhandlungstermin, so wird er auf Antrag seines Gegners abgewiesen. Versäumt sich der Berufungsbeklagte, so werden die Thatsachen der B. für zugestanden erachtet. Erscheint keine Partei, so wird das Verfahren ausgesetzt. Eine nochmalige Anfechtung des zweitinstanzlichen Erkenntnisses im Weg der Oberberufung (Oberappellation) ist ausgeschlossen. Nur gegen zweitinstanzliche Urteile des Oberlandesgerichts ist das Rechtsmittel der Revision (s. d.) bei einem Beschwerdewert