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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bildhauerkunst

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Bildhauerkunst (moderne: Deutschland).

(s. Tafel VIII, Fig. 4), erntete den größten Beifall unter allen. Er schuf auch das Reiterbild Friedrich Wilhelms IV. für die Eisenbahnbrücke in Köln; seine große Meisterschaft in der Wiedergabe scharf aufgefaßter Persönlichkeit bekundet das Relief der Einweihung der Dirschauer Brücke. Von Albert Wolff rühren das Reiterbild des Königs Ernst August in Hannover und das Denkmal Friedrich Wilhelms III. im Berliner Lustgarten her. Für die Freitreppe des Berliner Museums arbeitete Wolff die Gruppe eines zu Pferde gegen einen Löwen ankämpfenden Jünglings, als Gegenstück zur Amazone (s. Tafel VII, Fig. 6) von Kiß. Anmutige Erfindung und realistische Lebendigkeit bekundete Hagen durch seine Reliefs an Rauchs Thaerdenkmal in Berlin. August Fischer starb 1866, ohne daß er die Ausführung seiner pathetischen und edel erfundenen Gruppen für den Belle-Allianceplatz erlebte, die von Franz vollendet worden sind. Eine andre Gruppe von Nachfolgern Rauchs hat nicht Werke großen Stils ausgeführt, sondern teils, wie Wichmann, in trefflichen Bildnisdarstellungen sich gezeigt, teils, wie Wredow (Ganymed), genreartige Vorwürfe mit Formsinn und antikem Schönheitsgefühl behandelt. Kalide (1801-63) leistete Bedeutendes in Gruppen, die menschliche und tierische Gestalt in anmutiger Verbindung zeigen. Sein Knabe mit dem Schwan ist durch ganz Deutschland als Fontänenschmuck verbreitet. Andre Arbeiten halten sich oft von bedenklicher Gesuchtheit und Unruhe nicht frei, wie der Knabe mit dem Bock und die Bacchantin auf dem Panther, diese bei aller Keckheit, die bis in das Unschöne streift, doch in der Schilderung bacchischer Lust wahrhaft imposant. Afinger (1813-82) ist der Meister des Arndtdenkmals in Bonn. Kiß (1802-65) brachte in seiner Amazone zu Pferde (s. Tafel VII, Fig. 5), die mit dem Panther kämpft (in Bronze ausgeführt für die Freitreppe des Berliner Museums), ein populär gewordenes Werk hervor. Sein mit dem Drachen kämpfender St. Georg (im Schloßhof zu Berlin) trägt einen mehr romantischen Charakter. Unter seinen Reiterstatuen ist diejenige Friedrichs d. Gr. zu Breslau die bedeutendste. Ein Tierbildner ersten Ranges ist Wilhelm Wolff (geb. 1816), welcher namentlich das Aufbrausen tierischer Leidenschaft und Wildheit großartig zu geben versteht. Hermann Heidel (1812-65), der Schöpfer des meisterhaften Händeldenkmals in Halle, ursprünglich Schwanthalers Schüler, zeichnet sich durch edel und innig behandelte Kompositionen aus dem Kreis der antiken Mythe aus. Die gegenwärtigen Vertreter der B. in Berlin spalten sich in zwei Richtungen. Die eine hält an der antikisierenden Formensprache Rauchs fest, sucht sie aber zum Teil durch Streben nach Anmut und Gefälligkeit zu mildern, wobei die monumentale Plastik in erster Linie kultiviert wird. Schaper (Goethedenkmal, s. Tafel X, Fig. 8), Siemering (Gräfedenkmal, s. Tafel X, Fig. 3), Encke (Luisendenkmal), Calandrelli, Pfuhl, Keil, Schweinitz sind die erfolgreichsten Vertreter dieser Richtung. Die andre, deren Haupt der geniale Reinhold Begas ist (Schillerdenkmal; Alexander v. Humboldt; Raub der Sabinerin, s. Tafel X, Fig. 11), betont in der B. das malerische Element im naturalistischen Sinn und führte zu einem bestimmt ausgeprägten Stil, in welchem sich Eberlein, Karl Begas, Hundrieser, M. P. Otto u. a. mit Geist und Geschick bewegen, freilich in der Formenbehandlung oft an das Barocke oder das Rokoko streifend.

Aus der Schule Rauchs ging auch der sächsische Meister Rietschel (1804-60) hervor. Seiner Erfindung, zum Teil auch seiner ausführenden Hand, verdankte Dresden die leider zerstörten Giebelfelder des abgebrannten Theaters (s. Tafel VII, Fig. 3) und den plastischen Schmuck des Museums, Berlin die Giebelfelder des Opernhauses. Berühmt sind seine Standbilder: Thaer in Leipzig, Lessing in Braunschweig (s. Tafel IX, Fig. 3), eine realistische Figur im Kostüm ihrer Zeit und doch voll monumentaler Würde, edel, groß und stilvoll; die Goethe-Schillergruppe in Weimar, und endlich das K. M. v. Webers in Dresden. Das Luthermonument für Worms vollendeten seine Schüler Donndorf, Kietz, Schilling, Wittig, Rietschels Gestalt des großen Reformators steht seinem Lessing ebenbürtig zur Seite (s. Tafel IX, Fig. 4); weniger glücklich ist die Gruppierung des Ganzen. Die wunderbare Pietà (Maria mit Christi Leichnam) im Hof der Friedenskirche bei Potsdam beweist, daß auch die heutige Plastik noch der höchsten religiösen Schöpfungen fähig ist. Unter Rietschels Schülern muß Wittig (Hagargruppe) genannt werden. Außerdem wirkt in Dresden, einer strengern Stilrichtung als Rietschel folgend, Hähnel (geb. 1811, bacchischer Fries am Theater, Denkmal Beethovens in Bonn, das Friedrich Augusts II. in Dresden und das Karls IV. in Prag). Sehr bekannt sind seine Reliefs und Statuen zum Schmuck des Dresdener Museums, besonders die Statue Raffaels mit ihrer edlen Durchbildung und dem überaus glücklichen Motiv (s. Tafel VIII, Fig. 5). Johannes Schilling, der Schüler und geistige Erbe Rietschels, schuf die vier Gruppen der Tageszeiten auf der Brühlschen Terrasse in Dresden (s. Tafel IX, Fig. 5 u. 6), die Schillerstatue für Wien und das Nationaldenkmal auf dem Niederwald. In seinem Schüler R. Diez hat auch der kecke Realismus in Dresden seinen Vertreter gefunden (s. Tafel X, Fig. 4).

In München besteht Schwanthalers Schule (s. oben) in einzelnen Vertretern immer noch fort. Doch macht sich auch hier in den jüngern Kräften das Streben nach einer freiern Wirkung und einer durchgebildetern Form wahrnehmbar. Dies zeigt sich vor allem bei Kaspar Zumbusch (geb. 1830, Maximiliansdenkmal, s. Tafel IX, Fig. 7), der seit 1873 nach Wien übergesiedelt ist. Schärfer noch schließen sich andre (Wagmüller, Roth, Ungerer) der realistischen Richtung an, haben sich aber zum Teil nicht von unruhigem, allzu malerischem Wesen freizuhalten vermocht. (Die Büste Liebigs von Wagmüller, s. Tafel X, Fig. 14.) Tüchtige Bildhauer der kirchlichen Skulptur sind Joseph Knabl und Joseph Bayrer, die trotz ihres Anschließens an die Gotik eine freiere Formauffassung nicht vermissen lassen. Die neuere Richtung der Wiener Bildhauerei wurde von Fernkorn (1813-1878), der aus Schwanthalers Schule hervorgegangen war, bestimmt. Sein Reiterbild des Prinzen Eugen am Burgplatz ist zwar geschlossener und ruhiger als der ältere, ganz mißglückte Erzherzog Karl; doch ist bei einem Pferde, das sich über stützende und raumfüllende Trophäen bäumend streckt, eine wirklich monumentale Haltung des Ganzen nicht möglich. Von lebendiger Wirkung ist sein St. Georg, den Lindwurm tötend (s. Tafel VIII, Fig. 6). Ein talentvoller Künstler war Hans Gasser (1817-68), dem aber der Sinn für das Monumentale (Statue Wielands in Weimar etc.) gänzlich versagt war. Die neue großartige Bauentwickelung hat auch die B. (Vinzenz Pilz, kräftig realistischer Künstler) gehoben und eine Menge von ausgezeichneten Werken der dekorativen Plastik (Kundmann, s. Tafel X, Fig. 6) hervorgebracht. Als naturalistischer Porträtbildner ist Tilgner (s. Ta-^[folgende Seite]