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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bismarck

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Bismarck (Fürst).

Staaten zur Vernichtung. Am Krieg nahm B. im Gefolge des Königs teil. Das in der Konfliktszeit scharf geschliffene Schwert Preußens bewährte sich auf dem Schlachtfeld in glänzendster Weise. Nachdem Sieg wollte B. mit Österreich direkt Frieden schließen, dieses aber zog es vor, sich in die Arme Frankreichs zu werfen und dessen Vermittelung anzurufen, die B. nicht ablehnen konnte. Er sah die Notwendigkeit ein, in der Ausbeutung des Siegs sich zu beschränken, und so setzte er gegen den König und dessen militärische Umgebung den Abschluß des Waffenstillstandes, die Integrität des österreichischen Gebiets (außer Venetien), die Schonung der süddeutschen Staaten durch und begnügte sich damit, das preußische Gebiet durch die Annexion Schleswig-Holsteins, Hannovers, Kurhessens, Nassaus und Frankfurts abzurunden und seine Hegemonie über Norddeutschland zu begründen; auch den Paragraphen über die Volksabstimmung in Schleswig im Prager Frieden gestand er auf Verlangen Frankreichs zu. Dagegen wies er dessen Kompensationsforderungen von Rheingebiet entschieden zurück und verband die süddeutschen Staaten durch die geheimen Schutz- und Trutzbündnisse mit Norddeutschland.

Nachdem schon die Neuwahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus 3. Juli 1866 die Anhänger der Regierung vermehrt und die glänzenden militärischen und diplomatischen Erfolge einen völligen Umschwung in der Volksmeinung hervorgebracht hatten, vollendete B. die Versöhnung mit der Volksvertretung durch die Anerkennung des Budgetrechts derselben in der Forderung der Bewilligung der Indemnität für die budgetlose Verwaltung 1862-66. Er fand fortan in der größern Hälfte der bisherigen Opposition, der nationalliberalen Partei, wirksame Unterstützung. Die ihm bewilligte Dotation verwendete er zum Ankauf der Blumenthalschen Herrschaft Varzin in Hinterpommern. Bei der Beratung der Verfassung des Norddeutschen Bundes zeigte er sich gegen die kleinern Staaten sehr loyal und erwarb sich das Vertrauen der Fürsten. Die Bestimmungen derselben verteidigte er im konstituierenden Reichstag 1867 mit großem Eifer und meist mit Erfolg, namentlich das allgemeine, direkte Wahlrecht für den Reichstag und die alleinige Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers. Der Welt gab er in der Luxemburger Frage 1867 einen unzweideutigen Beweis seiner Friedfertigkeit; er sah wohl den Krieg mit Frankreich voraus, das ihn fortwährend mit Anträgen eines Bündnisses und gemeinschaftlicher Annexionen behelligte, die er nicht annahm und nicht ablehnte, wollte aber jede Möglichkeit wahrnehmen, einen so blutigen Kampf zu vermeiden. Um Napoleon jeden Vorwand zu entziehen, vermied er auch alles, was den Eintritt der süddeutschen Staaten in den Bund beschleunigen konnte; selbst als sein Versuch mit dem Zollparlament 1868 scheiterte, übte er keinen Druck auf dieselben aus. Es gelang ihm so, wirklich den Krieg hinauszuschieben und die Ungeduld der französischen Politiker so zu reizen, daß dieselben endlich die spanische Thronkandidatur zum Vorwand einer Kriegserklärung nahmen, sich dadurch als Angreifer ins Unrecht setzten und sich ihrer Allianzen beraubten. Durch seine Enthüllungen über Napoleons Absichten auf Belgien in seinem Rundschreiben vom 29. Juli 1870 machte er die öffentliche Meinung in England Frankreich abspenstig. Er begleitete wiederum den König in den Krieg und leitete die auswärtige Politik vom Hauptquartier aus. Zur rechten Zeit verkündete er in den Rundschreiben vom 13. und 16. Sept. die Absicht und das Recht Deutschlands, sich gegen künftige französische Angriffe durch Verlegung der schutzlosen süddeutschen Grenze nach Westen und den Besitz der eroberten Rhein- und Moselfestungen zu sichern, und hütete sich wohl, den nationalen Standpunkt in seinen Verhandlungen mit den Franzosen über Gebühr zu betonen. Fremde Einmischung in die Friedensverhandlungen wehrte er mit dem Hinweis ab, daß Deutschland den Krieg allein ausgekämpft, also auch das Recht habe, den Frieden allein abzuschließen. Die Verträge über den Eintritt der süddeutschen Staaten in das Deutsche Reich brachte er in Versailles zum Abschluß und scheute sich nicht, Bayern beträchtliche besondere Zugeständnisse zu machen. Den Frieden von Frankfurt a. M. 10. Mai 1871 schloß er persönlich ab. Mit der Errichtung des Deutschen Reichs ward er zum Reichskanzler ernannt, 21. März 1871 in den Fürstenstand erhoben und ihm eine große Domäne in Lauenburg mit dem Sachsenwald geschenkt.

Den neuerworbenen Reichslanden Elsaß-Lothringen wendete er seine besondere Fürsorge zu, und alle diese betreffenden Maßregeln sind auf seine eigne Anregung erfolgt und von ihm selbst im Reichstag verteidigt worden. Hauptsächlich aber wurden seine Kräfte nach dem deutsch-französischen Krieg von dem Kulturkampf in Anspruch genommen, den er mit der ganzen ihm eigentümlichen Kraft und Energie führte, sobald die Zentrumspartei ihn durch Mobilmachung aller reichsfeindlichen Elemente unter klerikaler Fahne eröffnet hatte. In den ersten Jahren trat er im Landtag mit mehreren bedeutenden Reden für die Sicherung des Staats gegen die päpstliche Anmaßung ein, zog sich freilich auch dadurch die heftigsten Angriffe seitens der Ultramontanen zu; 13. Juli 1874 machte sogar ein fanatisierter Böttchergeselle, Kullmann, in Kissingen einen Mordanfall auf ihn. Die ungeheure Last der Geschäfte, die auf ihn drückte, die aufreibende Thätigkeit der frühern Jahre, die unaufhörlichen Anfeindungen, welche er auch von seiten früherer Parteigenossen erfuhr, seit er sich auf die Liberalen im Parlament stützte, besonders seit dem Arnimschen Fall, erschütterten seine Gesundheit so, daß er sich 21. Nov. 1872 bis 10. Nov. 1873 vom preußischen Ministerpräsidium entbinden und 1878 eine geregelte Stellvertretung einsetzen ließ. Wiederholt bat er um seine Entlassung, die der König aber nicht bewilligte, da er sich nicht von ihm trennen zu wollen erklärte. Seine Aufenthalte in Varzin und Friedrichsruh zur Erholung dehnten sich daher oft auf mehrere Monate aus; im Sommer gebrauchte er meist in Kissingen die Kur. Sein unermüdlicher Geist schuf sich immer neue Aufgaben zur Verwirklichung seines Ziels, der Macht und Größe seines Vaterlandes, so das Reichseisenbahnprojekt, nach dessen Scheitern er den Ankauf der Bahnen in Preußen durch den Staat durchsetzte, und 1879 die neue Zoll- und Wirtschaftspolitik, in deren weiterer Verfolgung er mit den Nationalliberalen brach, worauf er, um die Ultramontanen zu gewinnen, den Kulturkampf aufhören ließ; auch übernahm er der wirtschaftlichen Reformen wegen das preußische Handelsministerium. An die neue Zollgesetzgebung, welche die Einnahmen des Reichs steigerte und manche Zweige der Industrie hob, schlossen sich soziale Reformen, welche durch Befriedigung der berechtigten Forderungen des Arbeiterstandes denselben vor dem verderblichen Einfluß der Sozialdemokratie bewahren sollten. B. stieß hierbei allerdings auf Opposition bei den Liberalen. Er trug kein Bedenken, deren Schwächung und Spaltung zu befördern, ohne daß es ihm jedoch gelang, eine